Vielleicht kein "Telekolleg", aber doch deutlich mehr aus dem Bereich Wissen und Bildung, den Sie beim MDR verantworten...

Sie meinen, ich habe leicht reden?

Ganz im Gegenteil. Sie wissen aus eigener Erfahrung, wie schwierig es ist, mit Bildungsformaten um Budgets und Sendeplätze gegen Florian-Silbereisen-Shows anzutreten. Ist dieser Kampf nicht repräsentativ für das Dilemma der Öffentlich-Rechtlichen?

Ich glaube, das ist eine Diskussion, die man immer wieder führen muss. Glücklicherweise erlebe ich es so, dass man mit guten Ideen auch Gehör findet. Bei SRF1 war ich für die "Sternstunde" verantwortlich, eine dreistündige Sendung am Sonntagvormittag – eine Stunde Religion, gefolgt von einer Stunde Philosophie und einer Stunde Kunst. So eine Programmierung gibt's nicht mal bei Arte. Das hatte nie die große Quote, aber dafür eine sehr hohe Reputation. Und über die On-Demand-Abrufe kommt im Laufe der Zeit durchaus eine solide Reichweite zusammen. Anders als bei Nachrichten, Sport oder Live-Shows muss man eben nicht alle auf einen Schlag erreichen. Viele Kultur- und Wissensformate haben das Potenzial, einen längeren Weg zu gehen.

Mehr "Sternstunde" wäre somit ein besseres Argument für den Wert der Öffentlich-Rechtlichen, als wenn man am Sonntagvormittag mit "Immer wieder sonntags" gegen den "Fernsehgarten" antritt.

Wobei man es natürlich auch nicht übertreiben sollte mit elitären Programmen, die von vielen Zuschauern möglicherweise als abgehoben empfunden werden. Ein gutes öffentlich-rechtliches Programm sollte ausgewogen gestaltet sein und für alle Teile unserer Gesellschaft Anknüpfungspunkte bieten – aber eben nicht für alle auf einmal mit dem kleinsten gemeinsamen Nenner.

Sie haben unlängst eine Doku im MDR Fernsehen samt crossmedialem Schwerpunkt zu Georg Cantor gesendet, dem Begründer der Mengenlehre und der mathematischen Unendlichkeit. Statt trockenem Fachwissen wurde emotional erlebbar gemacht, was Unendlichkeit bedeutet und wie fließend die Grenzen zwischen Mathematik und Philosophie sein können. Anspruchsvoll aber nicht abgehoben. Davon gibt es viel zu wenig.

Bei uns gibt es künftig mehr davon. Wir wollen unter dem Label "MDR Wissen" stärker in den Wissenschafts- und Forschungsbereich gehen – aber nicht einfach nur abbilden, was gerade so erforscht wird, sondern spannende Denktraditionen im breiteren Kontext beleuchten. Gerade hier in Mitteldeutschland gibt es eine reichhaltige Wissenschaftsgeschichte mit bedeutenden Mathematikern oder Physikern, die multidisziplinär geforscht haben. Wie bei Cantor möchte ich gern einen spielerischen Ansatz wählen, um eine komplexe Materie begreifbar zu machen und ihre gesellschaftspolitische Relevanz aufzuzeigen. Mit meinem Kollegen Wolf-Dieter Jacobi [MDR-Programmdirektor in Leipzig, Anm. d. Red.] habe ich mich darauf verständigt, dass wir den Sonntagabend ab Oktober in regelmäßigen Abständen mit Wissenschaftsdokus bespielen werden. Dafür müssen wir jetzt erstmal kräftig Material produzieren.

"Ein öffentlich-rechtliches Programm darf die Welt nicht nur den einfachen Hauptsätzen und simplen Parolen überlassen"

Nathalie Wappler Hagen, MDR-Programmdirektorin in Halle

 

WDR-Intendant Tom Buhrow hat kürzlich in der "Maischberger"-Sendung zum Thema "Wozu brauchen wir noch ARD und ZDF?" gesagt, die Quizshows mit Pflaume, Pilawa & Co. seien gut für den Bildungsauftrag. Das scheint in den Anstalten eine weit verbreitete Ansicht zu sein.

Das kann man so sehen. Wenn ich von Wissen und Bildung spreche, geht es mir eher darum, auch disziplinübergreifende Zusammenhänge verständlich zu machen. Ich finde, wir müssen in unseren Programmen Kontextualisierung vermitteln, weil wir heute in einer so komplexen Welt leben, dass es für jeden wichtig ist, Zusammenhänge zu verstehen, mitunter über sehr lange Zeiträume. In einer Quizshow geht es ja in aller Regel um einzelnes Faktenwissen, weniger um Kontext. Was bringt es Ihnen, wenn Sie wissen, dass der Dreißigjährige Krieg von 1618 bis 1648 stattfand? Wäre es nicht viel wichtiger, darüber nachzudenken, wie uns der damalige Übergang vom Religionskrieg zur Entstehung der europäischen Nationalstaaten bis heute beeinflusst? Ein öffentlich-rechtliches Programm darf die Welt meiner Meinung nach nicht nur den einfachen Hauptsätzen und den simplen Parolen überlassen.

Frau Wappler Hagen, herzlichen Dank für das Gespräch.

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