Herr Coridaß, zurzeit wird wieder viel darüber diskutiert, was die Öffentlich-Rechtlichen dürfen und was nicht. Wie viel Gegenwind hatten Sie eigentlich, als Sie vor 25 Jahren die kommerzielle Sendertochter ZDF Enterprises ins Leben riefen?
Gegenwind war in der Gründungsphase kein entscheidender Gesichtspunkt, jedenfalls haben wir uns nicht allzu sehr darum gekümmert. Das ZDF war ja ein Spätentwickler bei der Ausgründung kommerzieller Aktivitäten. Die ARD-Anstalten hatten damals längst umfangreiche Werbe- und Produktionstöchter, auch wenn die zum Teil nicht so eng mit dem Namen der jeweiligen Mutter verknüpft waren wie wir. Wir haben also nur nachgeholt, was andere öffentlich-rechtliche Sender national und international zum Teil schon Jahrzehnte vorher praktiziert hatten, ganz zu schweigen von kommerziellen Medienverbünden. Heute ist alles eher entspannter, jedenfalls haben wir keinerlei ideologische Scheuklappen, was sinnvolle Partnerschaften mit nationalen und internationalen Partnern angeht.
Ging es damals nur darum, Programmvertrieb und -einkauf auszugliedern, oder war der Aufbau einer eigenen Produktionsinfrastruktur von vornherein Teil des Plans?
Diese Option gab es von Anfang an. Es war tatsächlich auch allerhöchste Zeit. Nicht nur, dass alle anderen schon große Produktionstöchter hatten. Etliche für das ZDF wichtige Produzenten hatten nach dem Aufkommen des kommerziellen Rundfunks auch eine Haltung nach dem Motto: Jetzt kommt die goldene Zeit – wir sind nicht mehr auf ARD und ZDF angewiesen! Es setzte ein gewisses Wegziehen von Protagonisten und Projekten hin zu den neuen Wettbewerbern ein. Da war es einfach notwendig, sich durch eine eigene Produktionsstruktur ein Stück unabhängiger und selbstständiger aufzustellen.
In der Programmbeschaffung war das ZDF damals noch ein wichtiger Kunde der KirchGruppe. Leo Kirch war berüchtigt dafür, sein Geschäft nicht einfach ziehen zu lassen, sondern es mit allerlei Finten zu verteidigen. Sie müssen mit ihm aneinander geraten sein.
Ohne das auf einen bestimmten Marktteilnehmer einschränken zu wollen, würde ich sagen: Wir sind nicht von jedem etablierten Platzhirsch mit offenen Armen empfangen worden. Damals schien der Markt in der Tat relativ klar aufgeteilt, und manche Leute gingen vermutlich davon aus, so etwas wie ein gesichertes Terrain zu haben. Da wird man als ambitionierter Neuling natürlich argwöhnisch beobachtet. Das ZDF hatte etwa zu vielen internationalen Lizenzgebern keine direkten Geschäftsbeziehungen. Es war eine unserer Aufgaben, wieder direkte Beziehungen zu etablieren und bessere Konditionen auszuhandeln. Das ist uns ziemlich schnell gelungen, indem wir hart gearbeitet, gute Kontakte aufgebaut, überzeugende Angebote gemacht haben und später auch ein starker Koproduktionspartner geworden sind.
ZDF Enterprises steht heute auf drei Säulen: dem Programmeinkauf fürs ZDF, dem Programmvertrieb und einem Portfolio von Beteiligungen im Produktionsmarkt. Hat die Tochter im Laufe eines Vierteljahrhunderts ihren eigenen Kopf entwickelt und will nicht mehr nur Dienstleister für die Mutter sein?
Das klingt mir zu konfrontativ. Es war Wunsch und Vorgabe des ZDF, dass wir uns im Markt bewähren. Der Einkauf ist für uns zwar betriebswirtschaftlich nicht so relevant, weil wir hier lediglich unsere Kosten ersetzt bekommen und keinen Gewinn erwirtschaften wollen. Gleichwohl betreiben wir diesen Bereich für die Sender der ZDF-Familie nach wie vor mit enormem Engagement, Stolz und Erfolg. Für unseren Unternehmensgewinn sind dagegen grosso modo jeweils etwa zur Hälfte der Handel mit Programmen und das Beteiligungsportfolio verantwortlich. Wir investieren pro Jahr in unterschiedlicher Größenordnung, aber bis zu deutlich zweistelligen Millionenbeträgen, in Programme auf dem internationalen Markt, von denen wir glauben, dass wir damit am Ende ein bisschen mehr verdienen können, als wir vorher reingesteckt haben. Ich möchte hier nur auf die Koproduktionen mit den Skandinaviern, unsere australischen Serien aus dem Genre 'Teenage Live Action' und auf viele Dokumentarprogramme hinweisen, die wir meist zusammen mit dem ZDF und ausländischen Partnern umgesetzt und für die wir uns die internationalen Vertriebsrechte gesichert haben, die mittlerweile einen ganz wesentlichen Teil unseres Unternehmenserfolgs ausmachen.
Das sind aber immer häufiger auch Serien, die nicht unbedingt zum ZDF passen.
Für uns ist es nach wie vor die interessanteste Variante, wenn wir etwas mit unserem Gesellschafter zusammen machen können. Das hat nicht nur mit der finanziellen Größenordnung eines Projekts zu tun, sondern auch damit, dass die redaktionelle Betreuung und überhaupt die Beteiligung des ZDF eine Art Qualitätssiegel ist, das von internationalen Produzenten und Sendern außerordentlich geschätzt wird. Darüber hinaus investieren wir aber – tendenziell zunehmend – auch in Programme, bei denen nicht von Anfang an eine Beteiligung des ZDF feststeht, an deren internationalen oder deutschen Vertriebsrechten wir jedoch interessiert sind und zu denen wir wegen der Konkurrenzlage eine rasche Entscheidung fällen müssen. Dabei schauen wir durchaus auch nach Themen, die von der Ausrichtung her zu spitz für das ZDF-Hauptprogramm sind. "Tabula Rasa" ist so ein Beispiel, unsere mit VRT in Belgien koproduzierte Psychothriller-Serie. Die hatten wir entdeckt, ZDFneo ist eine Weile nach uns an Bord gekommen und wird die neun Folgen 2018 ausstrahlen.
"Zuweilen entsteht der Eindruck, als sei deutsches Programm erst in den letzten zwei, drei Jahren so richtig international verwertet worden"
Alexander Coridaß, scheidender Geschäftsführer der ZDF Enterprises
Auf diese Weise sichern Sie sich Zugriff auf moderne, horizontal erzählte Serien, die international stark gefragt sind, die der deutsche TV-Markt aber noch nicht so oft hergibt. Müssen Sie also progressiver als das ZDF denken, um morgen noch ein erfolgreicher Vertrieb zu sein?
Wir reden hier über zwei verschiedene Segmente, die in der Diskussion oft vermischt werden. Ihre Frage zielt auf innovative 'Limited Series', die ich außerordentlich bewundere und gerne in unserem Katalog habe. Deren Volumen liegt jedoch meist bei sechs bis acht Episoden – mit Aussicht auf eine zweite Staffel, wenn man Glück hat. Wie gesagt, wir wollen das gleichwohl im Vertrieb haben, obwohl es sich um ein spezifisches Programmsegment und einen spezifischen Kundenkreis handelt – die wenigsten dieser Titel könnten auf einem Mainstream-Sender zur Primetime laufen. Deshalb empfinde ich auch die Ausspielung dieses Programmgenres gegen die fürs Free-TV gemachten Produktionen als ein bisschen unfair. Es handelt sich um völlig unterschiedliche Produkte, und jedes Medienunternehmen muss das anbieten, was seine Seher und Nutzer von ihm erwarten. Zuweilen entsteht der Eindruck, als sei deutsches Programm erst in den letzten zwei, drei Jahren so richtig international verwertet worden. Wir machen das aber seit drei Jahrzehnten, und zwar in Größenordnungen, die früher zum Teil insgesamt viel höher lagen. ZDF-Formate wie "Schwarzwaldklinik", "Rivalen der Rennbahn", "Derrick", "Ein Fall für zwei" oder "Terra X" sind quer durch Europa und weit darüber hinaus gelaufen, in den meisten Ländern am Hauptabend. "Derrick" hatte 180 Folgen, "Ein Fall für zwei" über 200. In manchen Ländern haben wir sogar echte Bieterwettkämpfe um die Rechte erlebt. An diese Größenordnung ist der Export neuerer deutscher Produktionen nach meiner Einschätzung noch nicht herangekommen.
Eine Miniserie wie "Morgen hör ich auf" mit Bastian Pastewka ermöglicht es dafür, dass Sie sie binnen eines Jahres sowohl an Netflix als auch an Sky verkaufen.
Wenn wir eine zweite Staffel hätten, wäre der Erfolg für mich perfekt.
Mit den unzähligen TV-Movies, die das ZDF produzieren lässt, können Sie dagegen im Vertrieb wohl keinen Blumentopf gewinnen.
Da sprechen Sie einen wunden Punkt an. Es ist schade, dass das ZDF auf der einen Seite mit überragender Qualität und Verlässlichkeit wie kaum ein anderer Anbieter weltweit herausragende 90-Minüter hervorbringt, es auf der anderen Seite bei ausländischen Sendern jedoch nur eher begrenzte Sendeplätze für TV-Movie-Einkäufe gibt. Es gibt eine Ausnahme: Die romantischen Melodramen à la Pilcher und Lindström gehen im Paket sehr gut, weil sie eine gefragte Alternative zu den vielen Krimis und international sonst selten zu haben sind. Aber wir bleiben dran und tun marketingmäßig sehr viel für die Fernsehfilme in unserem Katalog.