Herr Gjervig Gram, Sie sprechen an der Filmuniversität Konrad Wolf in Babelsberg im Rahmen der "Winterclass 2017 – Serial Writing and Producing" des Erich Pommer Instituts. Warum sind Sie hier?
Man hat mich aufgrund des Erfolges von Produktionen wie „Borgen“ und „The Killing“ eingeladen darüber zu sprechen, wie wir in Dänemark bei DR Drama TV-Serien planen und umsetzen. Das Publikum besteht aus professionellen Fernsehleuten und Filmstudierenden; hauptsächlich Autoren, aber auch Produzenten und Regisseure.
Wie ist ihr persönlicher Eindruck vom deutschen Serienmarkt? Welches Feedback erhalten Sie von den Zuhörern hier?
Alle sind sehr neugierig darauf zu erfahren, wie wir arbeiten, das finde ich fantastisch. Man hofft darauf, die von uns erarbeiteten und benutzten Methoden dort anwenden zu können, wo es hier für die Serienproduktion sinnvoll ist. Ich kann das sehr gut nachvollziehen. Ich war in einer ähnlichen Situation, bevor ich angefangen habe zu schreiben. Da war ich für einen dänischen Sender im Einkauf tätig.
Von welchem Zeitraum sprechen wir da?
Das war Ende der 1990er und Anfang der 2000er. Damals habe ich alle diese amerikanischen Fernsehserien gesehen, aber natürlich auch alle britischen Fernsehserien und europäischen. HBO war zu diesem Zeitpunkt gerade ins Seriengeschäft eingestiegen und was die gemacht haben, war einfach großartig und begeisternd.
Aus Europa kamen zu dieser Zeit wenig Impulse?
Die Engländer haben auch einiges Gutes gemacht, aber das meiste was in Europa produziert wurde, war weder überwältigend noch überhaupt interessant. Die Schweden haben ein paar gute Serien gemacht, bei DR hat man gerade damit angefangen, aber ansonsten gab es damals in Europa wirklich nicht viel Gutes im Serienbereich – auch nicht in Deutschland, so leid es mir tut, das zu sagen. Dabei wollten wir für den Kanal wirklich europäische Serien kaufen, aber es gab wirklich nicht viel, das uns angesprochen hätte. Und selbst die wenigen, die wir gekauft haben, wurden dann spätnachts oder sehr früh morgens ausgestrahlt. Deswegen freue ich mich so sehr darüber, dass momentan einiges in Deutschland passiert. Auch wenn ich bislang noch nicht allzu viel von den neuen Serien sehen konnte, die da kommen.
Was kennen Sie denn bereits?
Ich konnte bislang in „Deutschland 83“ reinschauen und fand das, was ich gesehen habe fantastisch. Ich bin außerdem wirklich sehr gespannt darauf, mir noch „Babylon Berlin“ und „4 Blocks“ anzusehen.
In Dänemark gibt es bereits seit vielen Jahren einen riesigen Serienboom.
Ende der 90er hatten wir ein großes Qualitätsproblem. Es war sehr offensichtlich, dass die Art und Weise wie DR damals Serien produziert hat, sehr altmodisch war. In diesem Zuge wurden einige wirklich sehr schlechte Serien produziert. Deswegen haben die Verantwortlichen entschieden, das gesamte System zu ändern. So kam es dazu, dass sie einige Schlüsselpersonen nach Hollywood geschickt haben. Dort haben sie die Sets und das Writer’s Room von Steven Bocho besucht, Autor und Miterfinder von „NYPD Blue“.
Es ging also darum, von deren Vorbild zu lernen und sich abzuschauen, wie man in Dänemark erfolgreich hochqualitativ erzählen kann?
Sie haben sich angesehen, wie ein Writer’s Room und die Produktion mit zwei Kameras funktioniert, dann kamen sie zurück nach Dänemark, um das System für unsere Bedürfnisse zu adaptieren. Das ging nicht von heute auf morgen. Es wurde erst langsam besser, aber sie haben damit eine wichtige Grundlage geschaffen. So gab es bei DR eine Praxis, die immer mehr Menschen mit diesem Wissen vertraut gemacht hat. Es wurden immer mehr Eingeweihte und diese wurden immer besser und besser. Als dann die zweite Generation, mit Leuten wie Adam Price und Søren Sveistrup selbst zu Showrunnern ihrer Serien „Borgen“ und „The Killer“ wurde, ging es richtig los.
Das war Ende der 00er Jahre, also fast zehn Jahre nach ihren persönlichen Anfängen im Fernsehgeschäft. Sie wollten schon als Filmstudent TV-Serien schreiben, was damals noch eher ungewöhnlich gewesen sein muss.
Das hatte mit meiner erwähnten Position als Einkäufer zu tun. Denn natürlich wollte ich anfangs eigentlich auch große Kinofilme machen und Regisseur werden. Doch als ich mit diesen ganzen Serien aus den USA in Berührung gekommen bin, hat es mich einfach umgehauen. Natürlich waren Serien nichts Neues für mich, aber die Seherfahrung war niemals zuvor so intensiv gewesen. Das Qualitätslevel stieg einfach enorm. Übrigens nicht nur bei Kabelserien, sondern auch bei den Networks. Da liefen Serien wie „West Wing“ und „Homicide: Live On The Street“. Letzteres gehört nach wie vor zu meinen liebsten Serien aller Zeiten, ohne die es „The Wire“ nie gegeben hätte. Der Anspruch dieser brillanten Serien war teilweise deutlich höher, als der bei vielen US-Kinofilmen.
Heute ist diese Einschätzung allgemeiner Konsens in der Medienbranche, damals hat man das noch nicht überall so gesehen.
Wenn sie etwas schlechtmachen wollten, haben Kulturjournalisten in Dänemark noch jahrelang den Vergleich gebracht, es sei wie eine amerikanische Fernsehserie. Für mich war das ein wirklich seltsames Paradox, denn die Fernsehserien waren ja überhaupt nicht schlecht. Natürlich gab es auch miese, aber dafür waren die guten einfach fantastisch! Bei DR war das neue Modell gerade gestartet, also bewarb ich mich an der Filmuniversität als Drehbuchautor und wusste, dass ich für Fernsehserien schreiben will.
Dort scheinen Sie mit ihrem Wunsch einen Nerv getroffen zu haben, denn sie wurden bei dem Auswahlverfahren an der Uni ausgewählt.
Es ist nicht einfach da reinzukommen, von 120 Bewerbungen bekommen nur sechs einen Platz. Als ich nach meinem letzten Bewerbungstest den Raum schon verlassen wollte, erwähnte ich noch, dass ich übrigens keine Filme machen wolle, sondern Serien. Zu meinem Glück saß Sven Clausen, der Senior Producer von DR Drama in diesem Raum – ohne ihn wäre ich vielleicht nicht genommen worden. Zu diesem Zeitpunkt galten Spielfilme als die wahre Kunst und Serien als kommerzielle Produkte.
In den letzten fünf Jahren hat sich auf dem internationalen Serienmarkt enorm viel verändert. Überall auf der Welt sind neue Player mit ins Geschäft eingestiegen und es werden wahnsinnig viele Serien produziert. So viele, dass man kaum einen Überblick behalten kann. Ist das Serienmachen immer noch so aufregend für Sie persönlich?
Auf jeden Fall! Es ist eine fantastische Zeit, um ein Autor fürs Fernsehen zu sein. Es ist schon etwas seltsam, weil alle so viele Serien machen, das stimmt. Dazu kommen ja auch noch einmal zehnmal so viele, die entwickelt werden. Deswegen ist es für einen Headwriter mich gerade ganzschön schwer, gute Autoren zu finden, denn in Dänemark entwickeln gerade alle ihre eigene Serie. Obwohl wir ja eigentlich insgesamt recht wenige produzieren. Aber das ist der Preis, den man für den Erfolg nun bezahlt und das ist voll okay!
Es zeigt wohl einfach, dass ihr System funktioniert und sich ihr früh eingeschlagener Weg als goldrichtig entpuppt hat.
Für mich ist es so schön zu sehen, was gerade in Europa passiert und das Dänemark für viele als Inspiration gilt. Selbst kleine Länder, die, beispielsweise aufgrund der Sprache nur eine kleine Reichweite haben, können große TV-Serien machen, das bekomme ich mit, wenn ich herumreise. Ich führe Gespräche in Wales, Irland, Frankreich, Italien oder Belgien. Man muss also nicht zwingend englisch sprechen, sondern kann auch als kleines Land einen TV-Hit landen. Es geht nämlich viel eher um Qualität und darum, es richtig zu machen als darum, die Macht eines großen Hollywoodstudios im Rücken zu haben. Eines der Dinge, auf die ich am stolzesten bin, was diese dänische Welle angeht ist, dass sich Autoren überall in Europa von uns anstecken lassen.