Bei der US-Wahl, aber auch beim Brexit-Referendum haben sich viele Journalisten am nächsten Tag gefragt, was ihnen entgangen ist. Weil beide Ereignisse zumindest größtenteils überraschend kamen. Wir haben in diesem Jahr Bundestagswahlen. Welche Lehren nehmen Sie dafür aus dem vergangenen Jahr und seinen Ereignissen mit?
Die in Teilen falsche Einschätzung der beiden Ereignisse hängt sicher damit zusammen, dass sich auch Journalisten oft nur in ihrer Filterblase umhören, und das meine ich nicht nur in Bezug auf soziale Netzwerke und Kontakte. Die meisten Journalisten arbeiten bei großen Medienhäusern, die in der Regel in Großstädten sitzen. Wir leben selten draußen auf dem Land. Zusätzlich bringt der Journalismus per se eine permanente Beschäftigung mit Themen mit sich, über die sich mancher Bürger keine Gedanken machen kann - weil ihm die Zeit fehlt, die Notwendigkeit oder auch der Zugang zu den entsprechenden Informationen. Wir Journalisten glauben ja mitunter auch, dass alle Menschen permanent am Handy hängen und nur auf die nächste Push-Benachrichtigung warten. So leben aber viele Menschen nicht.
Welche Konsequenz ziehen Sie daraus?
Wir wollen in diesem Wahljahr noch mehr als bisher rausgehen und den Menschen zuhören. Und das nicht nur in den Fußgängerzonen der Großstädte. Die Mehrheit der Deutschen lebt immer noch in Kleinstädten und auf dem Land. Ich finde es immer spannend abzugleichen, inwieweit deren Diskussionen sich überhaupt decken mit dem, was das politische Berlin für wichtig erachtet. Deshalb haben wir jetzt schon über WhatsApp-Gruppen direkten Kontakt zu Zuschauern aufgebaut, die uns nach den Sendungen unmittelbar Feedback zu unserer Berichterstattung geben. Das heißt nicht, dass wir unser Programm von den Zuschauern machen lassen, aber wir wollen noch besser und schneller verstehen, wie einzelne Themen und ihre Aufbereitung aufgenommen werden.
Kann man vom Comeback des Klinkenputzens beim kleinen Mann sprechen, das die Hörigkeit gegenüber Social Media und Algorithmen der vergangenen Jahre ein Stück weit ablöst?
Ja, wir müssen runter von unseren Elfenbeintürmen. Die Mehrheit der Deutschen gehört Milieus an, die uns Journalisten nicht unbedingt vertraut sind.
Es gab immer mal Berichte darüber, dass Sie gerne mehr machen würden bei RTL als nur "RTL Aktuell". Aber abgesehen von einem Versuch des "Heißen Stuhls" mit Steffen Hallaschka scheint der Polittalk bei RTL generell weiterhin nicht sehr realistisch…
Polittalks haben wir ausprobiert und dann - vor allem vor wichtigen Wahlen - gesetzt, wenn wir das Gefühl hatten, dass das Interesse an einem Thema auch bei einem Sender wie RTL groß genug sein müsste. Leider war das Zuschauerinteresse nie so groß, wie wir es uns gewünscht und selber als Messlatte gesetzt haben. Deshalb haben wir uns gegen einen regelmäßigen Polittalk entschieden. Bevor wir mit nur fünf Prozent Marktanteil senden, lassen wir es besser und konzentrieren uns stattdessen auf die zahlreichen Informationssendungen im Programm. Wir haben am Tag mehr als sechs Stunden Information im Programm, da können wir eine Menge interessanter politischer Themen unterbringen.
Und offenbar gab es auch nie den Reiz den Sender zu wechseln, um woanders einen Polittalk zu machen? Gibt ja Sender, bei denen Polittalks nachgefragt werden.
Dazu hätte es ja jemanden geben müssen, der gesagt hätte: Kloeppel, Sie sind unser Mann für einen Polittalk. Den Anruf gab es nie. Und ich habe auch nie auf ihn gewartet. Ich bin nun seit 1985 bei RTL und habe mich hier immer sehr wohl, sehr zuhause und verstanden gefühlt in meinen journalistischen Ansprüchen und habe keinen Grund daran zu zweifeln, dass das so bleibt.
Sie bleiben RTL also bis zur Rente treu?
(lacht) Ich habe meine Arbeit bei RTL immer mit Straßenbau verglichen. Wir bauen Stück für Stück eine Straße, auf der dann auch später andere fahren bzw. arbeiten können. Die Kontinuität unserer und meiner Arbeit ist dabei sicher ein wichtiger Faktor. Wir haben uns über all die Jahre ein - auch im Vergleich zum Wettbewerb - sehr wichtiges Fundament erarbeitet.
Als dienstältester Anchorman im deutschen Fernsehen müssen Sie mir mal den Reiz erklären, mehr als Vierteljahrhundert lang jetzt schon eine kompakte Nachrichtensendung aus dem Green Screen zu moderieren…
Die 20 Minuten im Studio sind nicht der primäre Reiz dieses Jobs. Die sind nur die Kirsche auf der Torte. Es sind die acht Stunden davor, in denen wir Tag für Tag neu entscheiden, was für eine Sendung wir bauen wollen. Ich habe immer noch jeden Morgen diesen Kick: Wir fangen bildlich gesprochen mit einem leeren Bildschirm an und planen unsere Sendung. Diesen Häuser- oder, um im gerade genannten Bild zu bleiben, Straßenbau, den wir da jeden Tag vornehmen, finde ich heute so faszinierend wie vor 25 Jahren.
Wenn Sie "RTL aktuell" heute mit früheren Sendungen vergleichen: Hat sich die Sendung verändert?
Die Themenmischung hat sich verändert. Wir sind politischer geworden. Wir sind ausführlicher geworden. Die Länge der Stücke hat sich deutlich verlängert. Wir hatten früher eine Durchschnittslänge der Beiträge von etwas über einer Minute, jetzt sind wir eher bei 1:45 bis zwei Minuten. Unser "Nachrichten-Haus" hat viel mehr Türen und Fenster, durch die Informationen reinkommen. Wir haben mehr Reporter und Korrespondenten. Die helfen dabei, das Fundament in Teamarbeit stabiler zu machen. Wir haben sicher auch einige Wände versetzt, um etwa der Politik mehr Platz zu geben.
Wenn Sie in der täglichen Nachrichtensendung über die Bedingungen beim Kobalt-Abbau in Afrika berichten, dann ist das nicht unbedingt eine Nachricht, sondern viel mehr ein Magazin-Beitrag. Wie definieren Sie, was in Ihre tagesaktuelle Sendung gehört?
Wir achten schon darauf, dass wir Beides drin haben. Es ist ganz bewusst von uns angestrebt, auch Magazin-Themen aufzunehmen – vorausgesetzt, sie haben eine latente Aktualität. Das ist ein Begriff, der sich mir erst vor einiger Zeit im Austausch mit den Zuschauerinnen und Zuschauern erklärt hat. Es geht um Themen, bei denen der Zuschauer eine Erkenntnis mitnimmt, bei der ihm egal ist ob es heute, gestern oder vor einem Monat passiert ist. Das Beispiel mit den Handyakkus verdeutlicht das sehr gut. Natürlich gab es keine Relevanz für exakt diesen Tag, aber wenn wir das Bewusstsein für ein Thema wecken, an das sich ein Zuschauer vielleicht später bei einem Handykauf erinnert, dann hat es gewirkt.
Größere Themen wurden in letzter Zeit immer mal wieder von Rechercheverbünden aufgearbeitet. Ist die Herausforderung für den Journalismus so groß geworden, dass es sich von einzelnen Häusern nicht mehr leisten lässt?
Definieren wir mal "größere Themen". Wenn wir sowas nehmen wie die Panama Papers, dann wird es für ein einzelnes Medium schwer, sich durch hunderttausende Dokumente zu arbeiten. Da sind Rechercheverbünde schon sinnvoll. Es gibt andere große Themen, bei denen durchaus immer noch ein Medium allein arbeiten kann, wenn es die redaktionellen Ressourcen und das Geld zur verfügung gestellt bekommt. Wir sehen das beim "Spiegel", aber auch bei uns hier im Haus gibt es Recherche-Einheiten, die sich ein Jahr lang ausschließlich einem Thema widmen. Um so etwas mit seinen Kosten und benötigen Ressourcen zu ermöglichen, braucht es ein Commitment zu investigativem Journalismus, und das gibt es bei der Mediengruppe RTL Deutschland.
"Wir haben in Deutschland sehr wenig Meinung im Nachrichtenfernsehen."
Peter Kloeppel
Nach viel Kritik an zu schnellen Schlüssen und Eilmeldungen in Breaking-News-Situationen erscheint es mir, als wenn z.B. beim Anschlag in Berlin im Dezember sorgfältiger und sensibler zwischen Fakten und vermeintlichen Informationen getrennt wurde.
Und das ist auch gut so. Unsere Arbeit wird immer beeinflusst vom Feedback der Zuschauer, aber auch der eigenen Mitarbeiter oder Institutionen, mit denen man sich austauscht. Beim Amoklauf von München gab es ja zum Beispiel über einen längeren Zeitraum hinweg Informationen der Polizei, die uns haben glauben lassen, dass wir es mit mehreren Tätern an verschiedenen Stellen in der Stadt zu tun hätten. Wir haben uns dann beim Anschlag in Berlin auch die Frage gestellt: Wenn Behörden etwas sagen, ist das auch erstmal nur eine Quelle und noch nicht zwangsläufig eine Information, die wir als Journalisten bestätigen können. Diese Sensibilität ist ganz sicher gewachsen.
Auch wenn den vermeintlichen Mainstream-Medien aus mancher Ecke vorgeworfen wird, Partei zu ergreifen, so haben wir doch - nüchtern betrachtet - das Gegenteil: Wenig Meinung…
… das ist völlig richtig. Wir haben in Deutschland sehr wenig Meinung im Nachrichtenfernsehen. Manches von dem, was ich zum Vergleich an Meinungsbildung im amerikanischen Nachrichtenfernsehen sehe, ist mir dann schon wieder viel zu viel. Die Mischung macht’s dann vielleicht: wenn ich Fox News einschalte, weiß ich wenigstens, woran ich bin. Und wenn ich MSNBC oder CNN einschalte, dann sind deren politische Blickwinkel ebenso bekannt. Wir werden oft von Zuschauerinnen und Zuschauern nach unserer Meinung zu wichtigen Themen gefragt.
Also mehr Meinung und Kommentar bei "RTL aktuell"?
Das ist auch ein Thema, über das wir hier sehr intensiv diskutieren. Wir können uns gut vorstellen, dass wir - in diesem Wahljahr, aber auch danach - stärker kommentierende Formen finden, bei denen dem Zuschauer sofort ersichtlich wird, dass dies eine Kommentierung ist. Das wird eher nicht im Sigmund-Gottlieb-Stil passieren. Aber es kann zum Beispiel die fundierte, persönliche Einschätzung unserer Berliner Studio-Leiterin sein. Diese Form haben wir bereis eingeführt, und ich kann mir gut vorstellen, dies zu intensivieren. Gerade auch in diesem Wahljahr gibt es sicherlich zusätzlichen Bedarf, Dinge einzuordnen.
Wie sieht es eigentlich mit der Flexibilität aus, wenn es um Sondersendungen oder verlängerte Nachrichten geht? Da hatten Sie mal eine Zeit lang experimentiert. Zuletzt gab es das aber kaum noch. Hatte man das nur mal testen wollen?
Die Tests haben dazu geführt, dass wir deutlich flexibler geworden sind. Bei Breaking-News-Situationen verlängern wir die Nachrichten, teilweise sogar um bis zu eine halbe Stunde. Oder wir unterbrechen das laufende Abendprogramm und bleiben live on air, bis sich die Lage halbwegs geklärt hat.
Stichwort Wahljahr und TV-Duelle. Ihr Kollege Michael Wulf hat kürzlich schon anklingen lassen, dass er sich zwei Duelle wünscht. Haben Sie Hoffnung, dass es zwei Duelle geben wird?
Wir sind seit Jahren der Überzeugung, dass ein solitäres Duell, in dem vier Journalisten zwei Politiker befragen, nicht die optimale Fernsehform ist. Wir wünschen uns zwei Duelle, weil es nicht nur genügend Themen, sondern auch genügend Formen und Spielarten für ein erkenntnisreiches Gespräch gibt, die im Fall des TV-Duells der Kanzlerkandidaten bei uns noch nie zur Anwendung gekommen sind. Ich denke da unter anderem an eine Sendung im Town Hall-Stil - also im Kreise von Zuschauern, die selbst Fragen stellen können. Merkel und Steinbrück haben das vor vier Jahren einzeln gemacht. Aber warum kann man sowas nicht als TV-Duell umsetzen? Wurde in den USA auch schon gemacht. Aber am Ende können wir nur dazu einladen - wenn von den Parteien abgesagt wird, wird abgesagt.
Haben Sie eine Idee, wen die Kollegen von ProSiebenSat.1 Ihnen dabei zur Seite stellen würden?
Nein, hab’ ich nicht. Das müssen die Kollegen in Unterföhring entscheiden.
Dank Martin Schulz scheint der Wahlkampf - trotz Dämpfer im Saarland - ja spannender zu werden als vielleicht vor einem Jahr gedacht. Sonst wäre es ja für Politjournalismus in Deutschland ermüdend geworden - besonders angesichts dessen, was in den USA passiert.
Natürlich ist es schöner, wenn man über Rennen berichten kann, die spannend sind. Bei den letzten beiden Bundestagswahlen war ja nach der Kür der Kandidaten die Luft relativ schnell raus. Manch einer beklagte ja, dass es im Grunde gar keinen wirklichen Wahlkampf gab. Das wird diesmal sicher anders. Das macht auch unsere Arbeit interessanter. Aber es sind noch sechs Monate und ich habe schon so viele Dinge passieren sehen in sechs Monaten. Aber aus heutiger Sicht sieht es nach einer vielversprechenden Auseinandersetzung aus.
Herr Kloeppel, herzlichen Dank für das Gespräch.