Tatsächlich ist das Bewusstsein für hochqualitative Serien auch in Deutschland gestiegen. Amazon kommt nun bald mit seiner ersten eigenen deutschen Produktion auf den Markt, Netflix lässt da auch nicht mehr lange auf sich warten. Aber was heißt das genau, eine neue Art von Serien?
Es geht immer mehr weg von der klassischen Krimiserie und es werden mehr Sachen konzipiert, die nicht dem öffentlich-rechtlichen Serienwesen entsprechen, sondern sich eher an dem orientieren, was man von HBO und Showtime kennt. Die Kunst wird es sein, das authentisch für den deutschen Markt zu kreieren und nicht ein Spin-Off oder irgendwas Kopiertes zu machen. Europa hat da eigene Erzählstrukturen, die anders funktionieren als die aus den USA.
Was kann da eine eigene Note sein?
Erstens gibt es einen atmosphärischen Unterschied. Ich glaube auch, dass die Erzähltradition in Europa eine andere ist weil sie nicht so Cliffhanger-gesteuert ist wie die Amerikanische. Die ganzen amerikanischen Serien folgen einer ähnlichen Rezeptur, auch wenn die Sachen ästhetisch sehr unterschiedlich sind. Ich finde Serien vor allem interessant, weil sie ein weites Feld für Experimente sein können. Da gibt es noch viel Gebiet zu kartographieren.
2015 haben Sie einmal in einem Interview das Ende des Serienbooms vorhergesagt. Wie würden Sie das heute beurteilen?
(lacht) Da habe ich mich wohl geirrt. Ich glaube aber schon, dass in dieser großen Masse an Serien sehr wenige übrig bleiben, die so gehaltvoll und gut sind, dass man sie in drei oder vier Jahren auch noch schauen will. Die sich aus dem Hype hervorheben und so eigenständig sind, dass sie für sich selber stehen. 80 bis 90 Prozent der Serien sind zwar sicher toll gemacht, funktionieren aber alle nach dem Schema F. Und dann gibt es die wenigen Serien, die outstanding sind.
Woher kommt der Serienboom?
Das hat viel mit einer Krise im Kino zu tun. Die Autoren gehen verstärkt ins Fernsehen, weil sie dort das erzählen können, was sie im Kino nicht mehr erzählen können. Man merkt das ja auch an den Schauspielern, die eigentlich aus dem Kino kommen und nun immer öfters zum Fernsehen gehen. Maryl Streep und Sean Penn sind nur zwei prominente Beispiele. Trotzdem finde ich es immer wieder erstaunlich, wie viel produziert wird. Letztendlich reden die Leute gefühlt aber immer über die zehn gleichen Serien.
Welchen Serien würden Sie das Label "qualitativ hochwertig" verleihen?
Ganz vielen.
Vielleicht beschränken wir uns auf die Serien, die noch halbwegs aktuell sind.
"Transparent" finde ich outstanding. Ich freue mich jetzt vor allem auf "Twin Peaks", das ist ja eher so meine Generation (lacht). Auch "True Detective" war sehr gut. Ich bin eher ein Freund von Miniserien. Jetzt gerade schaue ich "The Man in the High Castle" und das finde ich ausgezeichnet, das ist aber auch von der Erzählstruktur außergewöhnlich, weil es sich vom linearen Erzählen immer mehr löst. Die Serie hat drei Erzählebenen gleichzeitig, die sehr assoziativ miteinander verschränkt sind. In diesem assoziativen Erzählen liegt sehr viel Zukunft.
Was bedeutet das für die klassischen, linearen TV-Sender?
Man merkt, dass bei den TV-Sendern die Einschaltquoten eine immer kleinere Rolle spielen. Serien werden immer mehr zu einem PR-Tool und das ist auch der Grund, weshalb Netflix seine Zahlen nicht heraus gibt. Es ist letztendlich egal, wie viele Menschen sich eine bestimmte Serie anschauen. Es geht darum, wie viel darüber gesprochen wird. Die Serie ist der Gesprächsstoff, das bietet eine neue Wertigkeit und eine neue Art der Relevanz. Ich glaube auch, dass die Leute mehr über Serien reden, als dass sie diese dann de facto schauen.
Welche Bedeutung haben TV-Quoten für Sie?
Das hat sich in den letzten fünf Jahren sehr stark verändert. Gerade bei meinen Sachen ist es ja so, dass sich die Leute das nicht am Dienstag um 20:15 Uhr anschauen, sondern irgendwann anders. Deshalb spielen für mich alle Kanäle eine wichtige Rolle. Den Erfolg einer Serie kann man gar nicht mehr nach Zahlen bewerten, sondern nach Relevanz - und die ist nicht messbar, sondern empfindbar. Das lässt sich vielleicht am ehesten noch mit dem Gesprächswert ermitteln.
Und doch ist der Gesprächswert, das Grundrauschen, bei Serien, die Sie oder andere bekannte Produzenten machen, viel höher als bei solchen, die von noch unbekannten Menschen verantwortet werden.
Na klar. Jemand, der sich schon einen Namen gemacht hat, tut sich da leichter. Aber ich glaube schon, dass sich Qualität immer durchsetzt. Vor allem dann, wenn die Serie immer abrufbar ist und nicht auf einen Tag in der Woche angewiesen ist.
Und ist das bei den TV-Sendern schon angekommen? Dort wird ja immer noch sehr viel auf Quoten geschaut - wie übrigens auch bei uns Journalisten.
Das Problem haben in erster Linie die Free-TV-Sender, die sehr stark nach Quoten bewertet werden. Aber auch das ändert sich, weil immer mehr Menschen in Mediatheken schauen und dort schon heute hohe Abrufzahlen entstehen. Deshalb ist die Beurteilung da sehr viel schwieriger geworden, gleichzeitig leben wir aber in einer totalen Beurteilungsgesellschaft. Das ist der Grund, weshalb nach wie vor so viel auf die Quoten geschaut wird. Die anderen Bewertungsinstrumentarien sind zu schwammig.
"Braunschlag" und "Altes Geld" sind zwei Teile einer geplanten Trilogie zum Thema Gier und Korruption. Weshalb dieses Thema?
Beide Themen sind sehr präsent, in der Politik, aber auch ganz grundsätzlich in der Gesellschaft. Gier ist ein sehr weites Feld, das ja nicht nur mit Korruption und Kriminalität zu tun hat. Da geht es auch um Lebensgier, Narzissmus und Aufmerksamkeit. Gier ist eine starke Antriebsfeder in unserer Gesellschaft, weil diese sehr individualistisch getrieben ist und ihr eine gewisse Grundsolidarität abhanden kommt. Wenn man sich Leute wie Donald Trump anschaut, sind das ja die Zombies der Gier, die da auferstehen. Das frankensteinische Produkt aus sozialen Medien, extremen Kapitalismus und postfaktischen Fantasien.
Und wie steht es um den letzten Teil der Trilogie?
Mal schauen, jetzt schreibe ich erst einmal einen Roman. Der handelt übrigens auch von Gier, vielleicht ist das ja der dritte Teil. Eigentlich handelt fast alles, was ich mache, von Gier.
Wie ist der aktuelle Status beim Remake von "M - Eine Stadt sucht einen Mörder"? Hier war eine Kooperation mit der ARD Degeto im Gespräch.
Wir planen ein Remake als Miniserie. Aber mit wem wir das machen, darf ich noch nicht sagen. Ich will es auf jeden Fall noch diesen Winter drehen.
Würden Sie sich als politisch bezeichnen? Ich tippe auf ja.
Ich auch (lacht). Ich bin schon ein politischer Mensch, aber nicht Mitglied in einer Partei.
Bis vor ein paar Monaten waren Sie bei Facebook mit einem öffentlichen Profil unterwegs und haben dort auch viele politische Geschehnisse kommentiert. Jetzt gibt es das Profil nicht mehr. Warum?
Ich bin komplett aus Facebook ausgestiegen.
Facebook ist ein pathologisches Medium, das alles was man tut, unter Beurteilung stellt. Das führt zu einer kollektiven Geisteskrankheit.
David Schalko
Wieso?
Ich wollte wieder mehr Zeit mit mir selbst verbringen. Ohne, dass man sich innerhalb von 3 Sekunden eine Meinung zu allem bilden muss. Dieser Affekt und diese Hast führen zu kollektiver Oberflächlichkeit. Dieser ganze Pseudodiskurs, der eher einem narzisstischen Marktgeschrei ähnelt, birgt kaum glücksverstärkende Momente. Ein einziger gekränkter Massenreflex. Ein gutes Beispiel finde ich den Streit rund um Kronen Zeitung, Sargnagel, Glavinic und irgendwelchen rechten Recken, deren Kunstverständnis bei Peter Alexander stehengeblieben ist. Das führt zu Untiefen, die ganz klar einer Facebookdynamik geschuldet sind. Hat man das Gefühl deshalb nicht informiert zu sein? Nein. Eher, dass man am richtigen Abend zuhause geblieben ist. Die Leute glauben immer, dass Facebook ein aufklärerisches Instrument ist. Dabei ist das Gegenteil der Fall. Es wäre vielleicht gut, wenn sich Facebook selbst mal 30 Tage lang sperren würde, dann hätten ein paar Leute die Chance zu erkennen, in welcher dünnen Suppe sie sich suhlen. Abgesehen davon habe ich keine Lust mehr, mich der schwarzen Energie von irgendwelchen Aufmerksamkeitsvampiren auszusetzen. Facebook ist ein pathologisches Medium, das alles was man tut, unter Beurteilung stellt. Das führt zu einer kollektiven Geisteskrankheit.
Sind wir alle geisteskrank, weil wir in den sozialen Medien zu viel kommunizieren? Falsch kommunizieren?
Kommunikation ist ja nicht das Wesen von sozialen Medien. Bei der Kommunikation muss man den andern gegenüber anschauen und in Kontakt treten - das fehlt in dieser ganzen Debatte. Wenn ein Facebook-User das, was er postet, jemandem auch ins Gesicht sagen würde, bräuchte er richtig viel Mut.
Lesen Sie eigentlich journalistische Kritiken über Ihre Filme und Serien?
Ich lese Kritiken, aber nicht jede.
Und kommt es Ihnen da manchmal auch so vor, als hätte der Autor die Kritik anders formuliert, wenn er diese Ihnen ins Gesicht hätte sagen müssen? So ähnlich wie bei Posts bei Facebook.
Ja. Es gibt viele Befindlichkeitskritiker, aber das war schon immer so. Es gibt auch bei Kritikern gute und schlechte. Man könnte also auch Kritiken von Kritiken schreiben. So gibt es hervorragende schlechte Kritiken und es gibt ganz elende schlechte Kritiken. Eine gutgeschriebene, schlechte Kritik, die einen Punkt hat, interessiert mich, weil mir das auch was bringt.
Sie halten die Kritik als solche also für wichtig?
Der Diskurs eines Kritikers ist sehr wichtig, weil es eine intellektuelle Bespiegelung ist. Das heißt nicht, dass man davon etwas übernimmt und sein Werk verändert. Aber es ist wichtig, eine geistige Reibungsfläche zu haben und da ist der Feuilletonist ein guter Sparringspartner. Alles andere zu behaupten wäre eine Lüge.