Suchen Sie da nach Einzelshows oder über mehrere Wochen laufende Formate?
Idealerweise nach Formaten, die über Wochen funktionieren und damit Gewohnheiten und Bindungen schaffen. RTL hat als großer Sender den Vorteil, sehr gute Bindungen aufbauen zu können. Das darf aber nicht bedeuten, Shows, die es inhaltlich nicht tragen, zu strecken. Anderseits hat von einer großen Show, die dann nur einmal kommt, auch niemand etwas. – Ich glaube, noch nicht einmal die Zuschauer selbst, weil wenn es ihnen gefallen hat, dann lässt man sie hängen. Ich bin anders als vielleicht andere in der Branche kein großer Freund davon, im Showbereich zu viel Energie auf große Einzelevents zu verwenden, selbst wenn es immer sinnvolle Ausnahmen geben wird.
Die großen Flaggschiff-Formate der RTL-Unterhaltung sind alle weit mehr als zehn Jahre alt. „DSDS“, „Supertalent“, „Wer wird Millionär“, „Bauer sucht Frau“ etc. Viele Köpfe im Sender sind auch sehr lange sehr treu. Bekommt RTL irgendwann ein Generationen-Problem? Wie erneuert man da?
Wir gehen das Thema aus zwei Richtungen an. Allein in meinem Bereich haben wir im vergangenen Jahr sechs neue non-fikitionale Formate gestartet. In diesem Jahr werden wir drei bis fünf neue Ideen nachlegen. binnen anderthalb Jahren haben wir dann rund zehn neue Formate gelauncht. Das ist mehr Neues im Bereich der Unterhaltung als in den Jahren zuvor. Die zweite Stoßrichtung ist der Aufbau von Nachwuchs. Das ist für RTL sehr diffizil, weil das , was wir tun, immer unter der größten Aufmerksamkeit steht. Man erwartet von uns auszuprobieren, aber es soll bitte auch gleich auf Anhieb klappen - das geht nicht immer auf .
Und wie sieht es personell aus?
Wir haben gerade vor einigen Wochen ein großes Moderatoren-Casting veranstaltet mit rund hundert Teilnehmern, woraus jetzt in zwei Runden gut dreißig übrig geblieben sind. Mit ihnen wurden in diversen Settings Probe-Aufnahmen gemacht. Das ist eine Größenordnung, die wir länger nicht hatten. Im laufenden Casting-Prozess haben wir bereits Julia Krüger herausgepickt und ihr eine Chance eröffnet bei „It takes 2“ an der Seite von Daniel Hartwich, also in der Kombination bekannt/neu. Daneben sind wir, auch wenn das für Journalisten langweilig sein mag, sehr froh über die langjährige Zusammenarbeit mit vielen beim Publikum so beliebten Moderatorinnen und Moderatoren. Das ist, neben der Erfrischung und Verjüngung, ein unschätzbarer Wert.
Immer mehr Fernsehformate werden doch von Personen moderiert, die vom Sender im Zweifelsfall ausgetauscht werden können - also mit anderen Worten bloß nicht zu viel von sich einbringen sollen…
Das würde ich so nicht stehen lassen. Ich glaube, dass das einfach nicht jeder will und kann. Moderieren ist zunächst einmal eine komplexe Funktion und es gibt Kolleginnen und Kollegen, die ihre Aufgabe wirklich sehr gut machen, aber auch nicht mehr wollen. Das sind die erfahrenen Lokführer, die das Ding nach Hause fahren - aber klare Leitplanken wollen. Wir haben aber auch Kollegen, die sich ihre Formate komplett zu Eigen machen: Günther Jauch zum Beispiel hat aus „Wer wird Millionär?“ - einer eigentlich sehr stark formatierten Sendung - seine Show gemacht. Das ist ein Segen. Oder nehmen Sie Daniel Hartwich, der an der Herausforderung „Let’s dance“ enorm gewachsen ist und einen Riesenspaß an der Sache hat. In so offensichtlichen Fällen haben wir dann auch keine Sorge, den Moderatoren noch mehr Verantwortung in die Hände zu legen. Da kann man als Sender beruhigt sein. Wir sind es umso mehr, weil wir neben den genannten viele weitere Talente im Bereich der Moderation haben.
Ist es auch beruhigend aus Sendersicht in Deutschland Fernsehen zu machen? Anders als in Großbritannien wo einem der Produzent die Pistole auf die Brust setzt und kurzerhand ein Format mitnimmt wie bei "The Great British Bake Off"?
Ohje. Da schlagen zwei Herzen in meiner Brust. Ich mag den britischen Markt sehr gerne - die Kreativität und die Haltung, gerade bezogen auf's Entertainment. Deswegen kann ich kaum Schlechtes über den Markt sagen. Jeder kreative Fernsehmacher aus Leidenschaft liebt den UK-Markt. Das ist aber nur die eine Seite der Medaille. Blickt man auf die Strukturen, dann bin ich sehr froh über die Stärke von RTL in unserem Markt. Das wissen viele Produzenten aber auch zu schätzen, weil sie wissen, dass wir Mainstream können.
"Darf ich gewisse Dinge tun und Sendungen schauen, ohne dass etwas Leichtes meinen Ruf als Schwergewicht, in welcher Disziplin auch immer, beschädigt?"
Aber „In“ ist nicht Mainstream sondern Netflix oder Amazon. Ärgert es, wenn ein französisches Beziehungsdrama mit deutschen Untertiteln vom Feuilleton verzückt zur Kenntnis genommen wird, aber RTL abgestempelt wird?
Eine Trouvaille. „Ich habe eine Trouvaille bei Netflix oder Amazon gemacht!“ (lacht) Ich hab nach dem Abitur ein Jahr in Frankreich gelebt und wir könnten jetzt auch über französische Existenzialphilosophie reden. Aber das wäre nicht so zielführend, wenn es um RTL geht. (lacht) Sozial erwünschter als vieles, was ich sonst beruflich mache, wäre es definitiv.
Soziale Erwünschtheit. Schöne Formulierung.
Darum dreht es sich doch oft, wenn über RTL gesprochen oder geschrieben wird. Darf ich gewisse Dinge tun und Sendungen schauen, ohne dass etwas Leichtes meinen Ruf als Schwergewicht, in welcher Disziplin auch immer, beschädigt? Das gilt für viele Entscheidungen im Leben, auch den Fernsehkonsum. Was sollen bloß die Nachbarn denken, sozusagen! Wir stehen aber aus vollem Herzen dazu, Mainstream machen, möglichst viele Menschen erreichen zu wollen. Dazu gehört einfach, dass diejenigen, die sich eben nicht dafür halten, davon abgrenzen. Jeder auf seine Art.
Nochmal zu den neuen Wettbewerbern Netflix und Amazon. Tangieren die Sie bei der non-fiktionalen Unterhaltung?
Es tangiert mich fachlich und persönlich. Sie sind ja nicht nur aufgrund der Verfügbarkeit auf Abruf spannend, sondern vor allem aufgrund ihrer Inhalte. Also stehen wir im Wettbewerb und registrieren, dass Netflix oder Amazon auch im Non-Fiktionalen experimentieren. Noch gefallen sie sich sehr darin, anders und somit nischiger zu sein. Doch selbst wenn sie ein anderes Geschäftsmodell fahren: Wir machen sicher nicht den Fehler, Wettbewerber zu ignorieren, das gilt auch für Amazon und Netflix.
Keine Angst, dass einer der Anbieter einfach eine globale Castingshow aufzieht?
Was keine neue Idee wäre, das gab´s mit „World Idol“ schon vor über 10 Jahren. Daher würde ich entspannt sagen: Na dann mal „Good luck“. Ich glaube, hier gilt „Think global, but act local“: Meiner Erfahrung nach macht man sich etwas vor, wenn man glaubt, im Non-FIktionalen weltweit ohne Berücksichtigung von lokalen kulturellen Gegebenheiten einheitlich sein zu können. Das wird diese Anbieter aber unter Umständen nicht abhalten, künftig um Formate zu buhlen. Wenn auch nicht Netflix oder Amazon, aber in Frankreich hat zum Beispiel ein Mini-Sender auch überraschend die Lizenz von „Pop Idol“ gekauft. Es kann immer Überraschungen geben.
So wie auch das Comeback der Gameshows im US-Fernsehen?
Genau, aber die Rahmenbedingungen müssen stimmen. In enger Zusammenarbeit mit dem RTLplus-Team von meinem Kollegen Jan-Peter Lacher haben wir einen guten Weg gefunden, allein vier Gameshow-Klassiker zurückzubringen. In der Primetime von RTL hängt es von starken Formatideen ab. Mit „500“ haben wir im vergangenen Sommer eine neue eingeführt, die überarbeitet zurückkehren wird.
Letzte Frage: Sie sind auch verantwortlich für die RTL-Daytime. Werden wir da mal von den Scripted Realitys erlöst?
Ehrlicherweise erlösen wir Sie nur dann, wenn auch unser Publikum es will. Aktuell denken wir in zwei Richtungen. Zum Einen arbeiten wir innerhalb der etablierten Marken mit neuen Macharten an einer Weiterentwicklung des Genres Scripted Reality. Wir wären übrigens glücklich, wenn das erfolgreich ist. Die zweite Stoßrichtung erfolgt parallel off-air. Denn die Idee, eine neue Daytime on-air zu testen, ging leider schief. Wir müssen in der Daytime in Strecken von mindestens zwei, drei Stunden denken und auch ganzheitlich im Hinblick auf das Programm unserer Schwestersender. Wir pilotieren off air also auch in anderen Genres. Wenn wir damit zufrieden sind und sich ein LineUp bauen lässt, dann könnte auch Erlösung für Sie in Sicht kommen. Das Jahr ist ja noch recht jung.
Herr Sänger, herzlichen Dank für das Gespräch.