Herr Scholt, seit dieser Saison mischt Darmstadt 98 die Fußball-Bundesliga auf. Gut für den Hessischen Rundfunk, oder?
Darmstadt 98 ist ein Glücksfall für uns, denn wir haben den gesamten Weg des Vereins von der vierten Liga bis heute relativ eng begleitet. Das ist ein anderes Verhältnis als zu anderen Bundesligisten. Zu Jahresbeginn haben wir auf dem Sportschau-Sendeplatz, als noch keine Bundesliga gespielt wurde, eine halbe Stunde über Darmstadt 98 berichtet. Dadurch konnten wir eine Nähe herstellen, wie man sie bei anderen Vereinen in der Bundesliga nicht mehr erreichen kann.
Lässt sich das aufrechterhalten?
Grundsätzlich ja, weil die Menschen im Verein keine anderen geworden sind. Dass das bundesweite Interesse an dem Verein nun größer geworden ist, versteht sich von selbst – zumal die Mannschaft ja bislang gut gespielt hat. Aber natürlich müssen wir uns heute genauso akkreditieren wie alle anderen. Ich kann da nicht mehr wie früher in der 3. Liga einfach rein marschieren.
Wo ziehen Sie bei der Wahl der Themen Ihrer regionalen Sportsendung die Grenze?
Grundsätzlich haben wir für unser Programm einen klaren USP – und das ist Hessen. Das ist unsere Rechtfertigung. Im Sport ist das Gebiet aber weiter gefasst als in anderen Bereichen. Durch Social Media findet außerdem eine gewaltige Öffnung in den globalen Markt statt. Das heißt nicht, dass wir anfangen, NBA zu machen oder nur noch über Bayern München zu berichten – obwohl in Hessen mehr Bayern-Fans als Eintracht-Fans leben.
Welche Rollen spielen andere Sportarten im Regionalen? Ich denke da gerade mit Blick auf Hessen an Tischtennis...
Tischtennis ist eine Sportart, die eigentlich nicht funktioniert, aber Timo Boll ist ein klassisches Beispiel dafür, dass es auf die Person kommt. Er ist ein Urhesse, der sich auch als solcher definiert. So etwas ist wichtig für unsere Berichterstattung. Sebastian Kehl ist auch Hesse, will aber nichts davon wissen. Deswegen berücksichtigen wir Timo Boll als Personality trotzdem, obwohl er schon sehr lange nicht mehr in Hessen lebt oder spielt. Grundsätzlich ist die regionale Sportberichterstattung schwierig, weil alles unterhalb von Fußball vom Ereigniswert lebt. Wir müssen nicht zwingend über jedes Handball-Spiel von Melsungen und Wetzlar berichten, nur weil Deutschland überraschend Europameister geworden ist.
Es ist schon ein Stück weit kurios, wenn die Regionalliga eine höhere Aufmerksamkeit bekommt als die Basketball-Bundesliga, oder?
Auch das ist ein schwieriges Geschäft geworden, was auch an der tieferen Durchdringung von Sky liegt. Inzwischen haben die Kollegen über vier Millionen Kunden – das merkt man. Wenn man dann zur selben Zeit mit der 3. oder 4. Liga um die Ecke kommt, ist das nicht mehr wirklich sexy. Da setzen wir inzwischen verstärkt auf andere Sportarten, etwa Inlineskaten oder Kanuslalom.
"Eine derartige Bandbreite gibt es außerhalb Deutschlands nur noch in der BBC."
Ralf Scholt über die sportliche Vielfalt bei den Öffentlich-Rechtlichen
Trifft Sie die häufig geäußerte Kritik, es werde bei ARD und ZDF eigentlich nur auf Fußball geschaut?
Diese Diskussion führe ich permanent. Gerade erst habe ich beim „Ball des Sports“ mit einem alten Freund, einem Leichtathleten, leidenschaftlich über dieses Thema gesprochen. Es kommen immer mehr Plattformen hinzu, die über Fußball berichten. Die sind deshalb so erfolgreich, weil sich die Menschen dafür interessieren. Wenn ich die Leute frage, wann sie das letzte Mal Basketball, Kanuslalom oder Leichtathletik gesehen haben, dann haben sie selten eine Erinnerung daran. Dabei zeigen wir das ja alles. Wir machen alleine regional jedes Jahr eine Berichterstattung zu 50 Sportarten. Eine derartige Bandbreite gibt es außerhalb Deutschlands nur noch in der BBC. Die Rezeption ist allerdings eine ganz andere, wenn ich ein Live-Spiel von Bayern München zeige. Das sehen mindestens sechs Millionen Menschen, egal wie der Gegner heißt.
Besteht die Gefahr, dass es künftig weniger Flächen für Sportarten gibt, die keine so große Aufmerksamkeit besitzen wie der Fußball?
Wir machen Vollprogramme bei der ARD. Es gibt also schon einen internen Wettstreit, denn warum soll ich jetzt mit großflächigen Sportprogrammen andere Angebote für Menschen, die ja auch Rundfunkbeiträge gezahlt haben, verdrängen? Warum soll ich den Kulturinteressierten sagen, dass ihr Programm nicht vorkommt, weil stattdessen ein Minderheitensport ausgestrahlt wird? Das ist eine langwierige Diskussion. Grundsätzlich sind wir uns der gesellschaftlichen Bedeutung und Verantwortung bewusst, weil bestimmte Sportarten eben nur bei den Öffentlich-Rechtlichen vorkommen.
Kann die Verlagerung ins Internet eine Lösung sein?
Das Livestreaming von Spielen ist ein Vorteil, den wir auch nutzen. Aber grundsätzlich muss man immer überlegen, welche Themen rund um ein Sportevent an welcher Stelle am besten aufgehoben sind. Das geht in unserer Sportredaktion inzwischen leichter, weil wir uns frühzeitig die Trimedialität auf die Fahnen geschrieben haben, also längst nicht mehr nur das Fernsehen im Blick haben.
Wie sieht das konkret aus?
Wir setzen auf eine komplementäre Berichterstattung. Wenn Andrea Petkovic also das Halbfinale eines Grand-Slam-Turniers erreicht, dann ist das ein Thema für unsere klassische Sportberichterstattung, die im Regionalmagazin im Fernsehen stattfindet, aber auch im Radio bei hr-iNFO. Gleichzeitig wollen wir aber auch die Person näher beleuchten, also ihre Musik oder ihren Stil. Plötzlich interessieren sich dadurch auch ein Boulevardmagazin oder hr3, das sonst gar keinen Sport macht, für Tennis. Und im Online-Dossier kann man die bisherige Karriere noch einmal nachzeichnen.