Frau Geißendörfer, seit diesem Jahr haben Sie den Kreativpart von Ihrem Vater übernommen. Was haben Sie neu eingebracht?
Hana Geißendörfer: Als ich im Januar offiziell begonnen habe, war ich in Wirklichkeit schon sieben Jahre dabei und habe mich von Abteilung zu Abteilung gearbeitet. Mein Einfluss besteht also schon seit einiger Zeit. Ich habe das Herz der Serie kennengelernt und will es gerne beibehalten. Auch in Zukunft soll die „Lindenstraße“ zu Diskussionen anregen und politisch relevant erzählen. Allerdings wird es immer schwieriger, die Aufmerksamkeit der Zuschauer zu gewinnen. Daher müssen wir etwas dynamischer erzählen als früher.
Hans W. Geißendörfer: Die Hana hat die lebendige, moderne Fotografie von mir gefordert. Wenn Sie nur zwei Jahre zurückgehen, dann kamen bei uns zu 95 Prozent Kameras auf dem Stativ zum Einsatz. Heute drehen wir hingegen sehr viel aus der Hand, weil die Bilder dadurch atmen und die Handlungen lebendiger wirkt. Das ist ein ganz wesentlicher Punkt, der den Zuschauern vermutlich nicht so schnell auffallen wird. Aber er merkt, dass irgendetwas schneller geworden sein muss. Das ist durch Hanas Anregung entstanden.
Hana Geißendörfer: Für mich geht es darum, möglichst nah an die Figuren heranzukommen. Statische Bilder können grandios wirken, aber kombiniert mit vielen Totalen kann dadurch eine größere Distanz für den Zuschauer entstehen. Wenn man näher an die Figuren heranrückt, mit ihnen in Bewegung bleibt, ist es viel einfacher, Emotionen und Identifikationsmöglichkeiten zu schaffen.
Die „Lindenstraße“ ist fast so alt wie Sie. Welchen Bezug hatten Sie als Kind zu der Serie, die ja einen großen Stellenwert in der Familie gehabt haben muss?
Hana Geißendörfer: Wir waren sechs Jahre auf Rhodos, bis ich zu Schulbeginn an die Deutsche Schule nach London gekommen bin. In der englischen Landschaft gibt es die „Lindenstraße“ nicht, da habe ich stattdessen abends bei meiner Mama gebettelt, um noch für die „Coronation Street“ aufbleiben zu dürfen. Die „Lindenstraße“ war eher Papas Job. Das wurde auch sehr stark getrennt.
Hans W. Geißendörfer: Die Familie hat sich nie so sehr für die „Lindenstraße“ interessiert.
"Meine große Angst war, dass das Team sagt, sie bekommt den Job nur, weil sie meine Tochter ist."
Hans W. Geißendörfer, Produzent
Dennoch steht Ihre Tochter heute neben Ihnen.
Hana Geißendörfer: Ich habe VWL studiert, aber mit der Zeit festgestellt, dass es nicht mein Ding ist, Investmentbanker zu werden. Die Faszination für Filme war schon immer vorhanden. Meine ganzen Praktika in England hatten mit Filmen zu tun. In Paris habe ich später ein Filmstudium absolviert und Kurzfilme gemacht, bis ich zum Praktikum zur „Lindenstraße“ gekommen bin. Sieben Jahre später stehe ich immer noch hier mit großer Lust auf die Aufgaben, die vor uns liegen.
Wie hat sich Zusammenarbeit mit Ihrer Tochter dargestellt?
Hans W. Geißendörfer: Meine große Angst war, dass das Team sagt, sie bekommt den Job nur, weil sie meine Tochter ist. Das hat sich aber sehr schnell erledigt. Sie werden heute keinen mehr finden, der in irgendeiner Weise einen Witz darüber macht. Die Hana hat das große Glück, dass sie Menschen führen kann und Persönlichkeit genug hat, um anderen Persönlichkeiten auf der einen Seite ihren Respekt zu erweisen, sie auf der anderen Seite aber zu lenken. Sie kriegt schnell das Vertrauen von den Leuten. Sie kann's halt.
Die „Lindenstraße“ hat in all den Jahren viele relevante Themen aufgegriffen. Wie verhält es sich mit der jüngsten Debatte um Flüchtlinge, die Sie gerade schon angesprochen haben?
Hans W. Geißendörfer: Das ist ein sehr aktuelles Thema, zu dem wir gewissermaßen durch unser Image verpflichtet sind. Es ging allerdings schon früher um Flüchtlinge. Von Beginn an hatte Frau Beimer mit ihrem Hans drei kleine Kinder - Flüchtlingskinder, die sie ein halbes Jahr versorgt haben, bis sie in Heime kamen. Wenn wir das Flüchtlingsthema behandeln, wollen wir gleichzeitig den Rechtsradikalen eins auswischen. Auch das hat Tradition.
Welches Thema stellte Sie vor die größte Herausforderung?
Hans W. Geißendörfer: Für mich war es sehr schwer, Neonazis darzustellen. Die Geschichte zu finden, war überhaupt kein Problem. Sie müssen es allerdings schaffen, deren Auftreten rechtzeitig vor dem Cliffhanger durch irgendeine Figur zu kommentieren, eine besorgte Mutter beispielsweise. Wenn Sie das nicht tun, dann haben Sie eine Folge gemacht, in der Neonazis fröhlich feiern, saufen und springen. Das gilt es zu verhindern, weil wir auf keinen Fall Propaganda machen wollen. Alleine der Auftritt von Neonazis ist ein Podium für sie und deren Idee. Bei Onkel Franz, einem unverbesserlichen Nazi, hat das gut geklappt. Der hatte Charme und war der netteste Nazi, den man sich vorstellen kann - im Endergebnis aber fürchterlich brutal. In diesem Fall haben die Leute nicht seine Ideologie übernommen, sondern sich darüber gewundert, wie ein so böser Mann so nett sein kann.
Zum Jubiläum steht mit der Live-Folge eine Herausforderung an. Worin besteht die Gefahr?
Hans W. Geißendörfer: Das Wetter ist unberechenbar. Wenn es schneien sollte, müssen wir die Szene auf der Straße womöglich streichen. Die größte Gefahr ist jedoch, dass die Schauspieler, selbst wenn sie ihre Texte fehlerfrei beherrschen, live einfach langsamer sind, weil ein Eingriff durch die Regie nicht stattfinden kann. Deswegen befürchte ich, dass die Folge am Ende einige Minuten zu lang sein wird.
Hana Geißendörfer: Ich habe eher die Befürchtung, dass alle zu schnell sein werden...
Was passiert, wenn sie zu schnell fertig sind?
Hans W. Geißendörfer: Dann komme ich und erzähle die Folge weiter. (lacht)
Herzlichen Dank für das Gespräch.