Herr Price, Herr Marine, eine Sache würde ich gerne vorab klären. Ist Amazon Prime Video Fernsehen?
Roy Price: (überlegt) Ja, ist es. Fernsehen ist halt ein sehr praktischer Begriff. Wir zeigen halbstündige und einstündige Serien - produziert in Staffeln. Wir arbeiten mit Schauspielern, Produzenten, Autoren und all den anderen kreativen Kolleginnen und Kollegen. Das klingt für mich doch sehr nach Fernsehen.
Manch einer sagt heute: „Ich schaue kein Fernsehen mehr, ich schaue nur noch Netflix und Amazon“
Roy Price: Aber wenn wir es nicht Fernsehen nennen, wie sollten wir es denn dann nennen? (lacht) Wir sind Fernsehen.
Von anderer Seite hält Ihnen ZDF-Programmdirektor Norbert Himmler vor, dass es Amazon gar nicht um Fernsehen gehe sondern nur darum, Traffic für die Website zu erzeugen, um dort Waren zu verkaufen…
Roy Price: Das hat mich bei den Medientagen München schon irritiert. Was wäre, wenn dem so ist? Was dann? Das Geschäftsmodell von Amazon Prime ist komplex. Natürlich wollen wir mit Amazon Prime Video eine Bindung mit unseren Nutzern erreichen, die mehrere Effekte mit sich bringt. Ich verstehe aber nicht, welche Bedeutung das hat. Eine gute Serie bleibt eine gute Serie - und die muss man erst einmal produzieren.
Jay Marine: Es ist doch so: Wenn wir unseren Kunden kein gutes Angebot machen würden, dann wären unsere Kunden schnell wieder weg. Das kann einem öffentlich-rechtlichen Rundfunk natürlich nicht passieren (lacht).
Wie wichtig ist der deutsche Markt denn für Amazon Prime Video?
Jay Marine: Sehr wichtig, es ist der zweitgrößte Markt in Europa und war für Amazon immer schon ein starker Markt. Bezogen auf Prime Video waren wir uns im Vorfeld nicht sicher, was wir vom deutschen Markt erwarten sollten. Uns wurde im Vorfeld gesagt, dass die Deutschen aufgrund des großen frei empfangbaren Fernsehangebots nicht gerne für Fernsehen zahlen. Das würde nicht funktionieren, sagte man uns. Und dann hat das Thema Video-on-demand in Deutschland so viel schneller Fahrt aufgenommen als gedacht.
Welche Konsequenzen bringt das mit sich?
Jay Marine: Wir werden darauf reagieren und im deutschen Markt mehr investieren als geplant. Auf der Programm-Seite, um zwei aktuelle Beispiele zu nennen, haben wir für die deutschen Zuschauer zuletzt neben unseren Eigenproduktionen in diesem Jahr schon Programme wie „Fear the Walking Dead“ oder „Mr. Robot“, was am 20. November kommen wird, zugekauft.
Lässt sich dieser Erfolg in Deutschland denn auch in Zahlen belegen?
Jay Marine: Also wir kennen die Zahlen (lacht) Aber leider geben wir diese Zahlen nicht bekannt. Es gibt alternativ diverse Studien, die zeigen, wie schnell der deutsche Markt sich - verglichen mit der Etablierung von Pay-TV - innerhalb kürzester für den SVoD-Markt geöffnet hat und dass Amazon dabei mit deutlichem Abstand führt.
Das wäre eine relative Größe. Aber wenn wir der Studie glauben: Hat der Marktführer die Absicht das Angebot um deutsche Eigenproduktionen zu erweitern?
Roy Price: Wir lizenzieren ja bereits deutschen Content und ergänzen damit unser Angebot. Es wäre großartig eine deutsche Eigenproduktion zu haben, aber lassen Sie mich kurz erklären, wie wir bei Amazon Studios an die Auswahl von Produktionen herangehen: Die höchste Priorität hat die Suche nach besonderen Geschichten, die wirklich interessant sind. Wenn dabei eine Idee aus Deutschland dabei ist, dann freue ich mich.
"Die meisten Sendungen, die abgesetzt wurden, wurden ja aus gutem Grund abgesetzt. Deswegen sollte man so manche Serie vielleicht besser in Frieden ruhen lassen."
Roy Price, Vice President Amazon Studios, über die Fortführung von eingestellten Serien anderer Sender
Haben Sie denn schon Gespräche mit deutschen Produzenten geführt?
Roy Price: ich habe mich während meines Besuchs bei den Medientagen München mit einigen Leuten unterhalten.
Wie stehen Sie zu der Möglichkeit eine etablierte Sendung oder Serie bei Amazon fortzuführen? Mit der ehemaligen „Top Gear“-Crew gehen Sie ja so einen Weg. Wäre das eine Option für den deutschen Markt?
Roy Price: Wir achten in gewissem Maße bei all unseren eigenen Programmen auf starke Marken, ob es nun ein bekannter Schauspieler, eine bekannte Buchvorlage oder eben eine Sendung ist, die über Jahre eine sehr treue Fangemeinde hatte. Jetzt muss man aber auch sagen: Die meisten Sendungen, die abgesetzt wurden, wurden ja aus gutem Grund abgesetzt (lacht). Deswegen sollte man so manche Serie vielleicht besser in Frieden ruhen lassen.
Auf „Top Gear“ trifft das aber nicht zu.
Roy Price: Das ist ja auch ein ungewöhnlicher Fall. Hier reden wir von einer Sendung, die sehr stark lief und dank Jeremy Clarkson eine sehr treue Fangemeinde hatte. Er hat noch viele Ideen, also sind wir an Bord gekommen und arbeiten jetzt gemeinsam an seiner neuen Sendung, die in 2016 startet. Aber diese Möglichkeit ist eine Ausnahme. In 95 Prozent der Fälle würde ich ausschließen, dass Amazon Prime Video bestehende Programme verlängert. Anschauen werden wir uns aber alle Vorschläge, die kommen. Ein Denkverbot gibt es nicht.
War die Verpflichtung von Jeremy Clarkson also mehr spontane Gelegenheit als geplante Strategie?
Jay Marine: Wir beobachten die Märkte, in denen wir aktiv sind, immer schon aufmerksam nach Gelegenheiten, aber diese war einfach so einzigartig und kam überraschend. Dafür hat man dann keinen Plan in der Schublade. Das war eine Gelegenheit, in der wir uns schnell genug bewegen mussten. „Top Gear“ war ein Spitzen-Programm in Großbritannien, das gleichzeitig weltweit ein Publikum von 350 Millionen Menschen erreicht hat - und es gibt nicht viele lokale Produktionen, die ein globales Publikum erreichen können. Dass wir alle entscheidenden Köpfe dieses Erfolges verpflichten konnten, war für uns der Schlüssel.
Wie wichtig ist non-fiktionales Programm denn für Amazon Prime Video? Bislang beruhigen sich viele Fernsehsender damit, dass SVoD sich ja nur für Serien und Filme interessieren würden…
Roy Price: Das ist eine interessante Frage. Im Augenblick arbeiten wir fast ausschließlich an Serien, aber haben da eine große Bandbreite inklusive Kinder-Programmen. Und wir sind in die Film-Produktion eingestiegen. Eins nach dem anderen, würde ich sagen. Mit dieser Fragestellung werden wir uns mit der Zeit nochmal befassen müssen.
Eigenproduktionen von Amazon Studios erscheinen bislang zunächst im englischsprachigen Original und erst einige Wochen später in den sychronisierten Fassungen. Ihr Konkurrent Netflix startet weltweit gleichzeitig…
Roy Price: Wir wollen unsere Serien einfach so schnell wie möglich zur Verfügung stellen. Die Synchronisation der Serien braucht ihre Zeit. Wissen Sie, das ist doch alles eine Frage der Perspektive.
Bitte, erklären Sie.
Roy Price: Wir könnten unsere fertigen Serien natürlich ins Regal stellen und warten bis die synchronisierten Fassungen verfügbar sind, aber wem wäre damit geholfen? Die deutschen Zuschauer bekämen die synchronisierte Fassung deshalb auch nicht eher zu sehen. Im Gegenteil: So haben sie die Option, sie schon früher im Original zu schauen. Und darum geht es uns grundsätzlich: Dem Zuschauer mehr Auswahl und Zugangsmöglichkeiten zu geben.
"Hier hätte man es uns sicher auch verübelt, wenn wir mit der Veröffentlichung länger gewartet hätten."
Jay Marine, Vice President Amazon Prime Video Europe, über die wöchentliche Veröffentlichung von "Fear the Walking Dead"
Gehört Bingewatching bei neuen Serien zur DNA von Amazon Prime Video? Bislang veröffentlichen Sie in der Regel alle Folgen einer Staffel am gleichen Tag…
Roy Price: Es ist wichtig Verlässlichkeit zu bieten. Wenn unsere Kunden eine Erwartungshaltung entwickeln, dann müssen wir diese auch bedienen. Ich würde das jetzt nicht ständig ändern. (überlegt) Wir haben uns bislang auf Bingewatching-Launchs konzentriert und es scheint ja sehr gut zu funktionieren. Bis auf wenige Ausnahmen sollten wir das also beibehalten.
Das klingt irgendwie nachdenklich.
Roy Price: Das ist auch ein sehr kompliziertes Thema und gar nicht so glasklar wie sich das mancher vorstellt. Wir könnten Serien auch Woche für Woche veröffentlichen, sobald eine Episode fertig ist. Der Bingewatcher würde sie dann genauso früh am Stück schauen können wie bisher, weil wir bislang alle Folgen zurückhalten und erst launchen wenn alle fertig sind. Ein Aspekt, der mich auch beschäftigt ist der Gedanke, dass bei einer wöchentlichen Veröffentlichung die Unterhaltung unter Fans über die Handlung einer Serie wesentlich einfacher ist. Bingewatching macht das schwierig. Ich würde für die Zukunft deshalb nichts ausschließen, aber vorerst fahren wir bei unseren Eigenproduktionen mit den Bingewatching-Launchs sehr gut.
Jay Marine: Bei Zukäufen wie „Fear the Walking Dead“ sammeln wir ja auch Erfahrungen mit der wöchentlichen Veröffentlichung zeitnah zur US-Ausstrahlung. Hier hätte man es uns sicher auch verübelt, wenn wir mit der Veröffentlichung länger gewartet hätten.