Sie sehen regionale Werbung als auch als Wirtschaftsmotor?

Regionale TV-Werbung ist ein Motor für die wirtschaftliche Entwicklung eines Standorts. Durch regionale Fernsehwerbung steht regionalen Werbungstreibenden der komplette Media-Mix mit all seinen crossmedialen Möglichkeiten zur Verfügung. Damit bieten wir den Unternehmen einen neuen Wachstumsimpuls. Unsere Nachbarländer haben diesen Vorteil längst erkannt. Egal ob man die Benelux-Länder oder Skandinavien nimmt: regionale Werbung ist dort längst etabliert. Ich würde mich am meisten freuen, wenn wir mit regionalen Radio-Sendern und Zeitungen gemeinsame Angebote machen könnten. Davon hätten alle etwas. Vielleicht dürfen wir das sogar – wenn das Kartellamt kein Haar in der Suppe findet.

Nochmal die Nachfrage: Erwartet sich ProSiebenSat.1 denn signifikante Umsätze mit regionaler Werbung?

Wir gehen insgesamt von einem Marktpotential von ca. 100 Millionen Euro brutto für dezentrale TV-Werbung aus. Es geht also nicht um´s Prinzip, sondern um einen deutlichen finanziellen Mehrwert und eine strategische Weiterentwicklung. Radio und Print ist es übrigens durch Vermarktungsverbände möglich, überregional Werbung anzubieten und uns Konkurrenz zu machen, ohne dass ein Anteil an überregionalen Inhalten hinterfragt wird. Rufen wir deshalb nach Regulierung? Nein. Am Rande: ProSiebenSat.1 investiert im Jahr mehr als 20 Millionen Euro in regionale Fensterprogramme.

Verlage führen trotzdem nicht zu Unrecht an, sie würden mit (regionalen) journalistischen Angeboten mehr für die Gesellschaft tun. Sind Verlage bei der Jagd nach regionalen Werbegeldern moralisch im Vorteil?

Fragen Sie doch mal 21-Jährige, von wem er oder sie sich gesellschaftlich abgeholt fühlt, von ProSieben, Sixx oder von einem Lokalblatt? Wie hoch der jeweilige Einsatz einzelner Medien für die Gesellschaft ist, lässt sich kaum bewerten. Die regionalen Medien finden sich ja gesellschaftlich sehr bedeutend. Wir uns auch. Entschieden wird über die Relevanz aber von den Menschen und nicht von irgendeiner moralischen Instanz. Wer soll das auch sein? Der Papst? Und wenn ja: welcher? 

Klingt da der Frust durch, dass sich das Fernsehen als Mediengattung besonders von Printmedien immer noch herablassend behandelt wird?

Du lieber Himmel. Wir sind eher verwundert über die fortwährenden Klagen anderer Mediengattungen: Print und Radio haben pro Jahr Werbe-Erlöse von über 10 Milliarden Euro. Die privaten TV-Sender machen 3,9 Mrd. Auch wenn es sich oft anders anhört: Die sind Goliath und wir sind David, wenn auch ein ziemlich kräftiger.

Steckt das Medium Fernsehen bzw. der Begriff gerade in einer Identitätskrise? Es wirkt manchmal so, wenn über Netflix, Amazon und Co. abwechselnd mal als Konkurrenz zu Fernsehen oder als Teil von Fernsehen gesprochen wird…

Alle Medien sind permanent in einer Identitätskrise, das muss so sein, das ist unser Antrieb. Es geht doch immer um die Nachricht von morgen, um das Mehr, um das Aufregende, das Neue! Klar haben diese Firmen die Branche verändert. Gottseidank! Wir sehen das als necessary competition, die in beiden Fälle auch große Kunden sind. Für Netflix produzieren wir „Lillyhammer“, eine ganz große Serie. Für Amazon haben wir deren erste fiktionale Serie gedreht, „Bosch“, auch sehr erfolgreich. Und wo macht Netflix Werbung für deren Produkt? Auf unseren Sendern. Wir sind froh, dass es die gibt. Konkurrenz belebt das Geschäft.

Mit einer gemeinsamen Definition von gutem Fernsehen taten sich die Öffentlich-Rechtlichen und Privatsender über Jahre mit einer gemeinsamen Definition schwer. Jetzt ist der Deutsche Fernsehpreis Geschichte. Bitter oder befreiend?

Versuchen Sie doch mal zuhause am Frühstückstisch einen Konsens über gutes Fernsehen herzustellen. Aussichtslos. Mich persönlich interessieren feuilleton-getriebene Geschmacksdiskussionen nicht. Da draußen sind 80 Millionen Menschen. Die entscheiden, ob etwas gutes Fernsehen ist oder nicht. Und was den Fernsehpreis betrifft: ARD, RTL, wir und das ZDF hatten es geschafft, etwas anzubieten, dass weder bei Zuschauern, noch in der Branche Erfolg hatte. Also weg damit.

Beim Grimme-Preis gehen die Privatsender in diesem Jahr völlig leer aus. Werten Sie das als Ermahnung?

Nein. Wer fährt schon freiwillig nach Marl?

In den Bereichen Fiktion und Information kommt von ProSiebenSat.1 aber auch nicht viel. Ihr Vorstandschef Thomas Ebeling beklagte im Wahljahr 2013 auf einem Symposium von ProSiebenSat.1, die Politik würde nicht würdigen, was man für die politische Bildung tue. Was tut ProSiebenSat.1 denn derzeit dafür?

Das ist wieder so ein schmales Journalistenstatement. Wir strahlen auf sechs Sendern 365 Tage im Jahr, 24/7 Programm aus, viel davon selbst gemacht. Galileo? Das Sat.1-Frühstücksfernsehen? Sat.1-Eigenproduktionen? Filme wie der „Minister“, der „Rücktritt“, „Die Ungehorsame“, und ja, auch die „Wanderhure“? Klar, wir haben gerade keinen Politikschwerpunkt, aber das ist auch nicht unser Auftrag. Und ob 8 Milliarden Euro TV-Steuer-Einnahmen wirklich rechtfertigen, jedes Mal einen ARD-Brennpunkt zu programmieren, wenn in Athen wieder ein Glas Ouzo umfällt? I don’t know.

Moment. Bleiben wir doch mal einen Moment bei ProSiebenSat.1 erst…

Was das Wahljahr betrifft, hat Thomas Ebeling doch vollkommen recht. Allein der Beitrag von Raab war ein echter Game-Changer. Wenn sich junge Leute überhaupt an etwas aus dieser Wahl erinnern, dann an Stefan beim Kanzlerduell und das Unbehagen der Kandidaten, plötzlich mit direkten, furchtlosen und relevanten Fragen konfrontiert zu sein. Die „Bild“ mit dem Titel „Raab gewinnt Kanzlerduell“ habe ich aufgehoben. Wir können also auch Politik, wenn wir wollen, aber wir wollen halt nicht immer. Und unsere Zuschauer auch nicht.

Klare Aussage. Herr Geist, sie sind seit November auch Vorsitzender des Fachbereichs Fernsehen und Multimedia im Branchenverband VPRT. Sind so klare Aussagen denn auch in einem Verband mehrheitsfähig?

Auch Freunde streiten gelegentlich über ihre Differenzen, aber am Ende des Tages ziehen wir an einem Strang. Alle im VPRT brennen für Medien, deshalb arbeiten wir ja auch nicht bei Versicherungen, selbst wenn wir alle deren Werbegeld gern nehmen, um unsere Leidenschaft zu finanzieren. Es hilft vielleicht, dass ich viele Kollegen seit 20 Jahren kenne und sie mich. Im Ernst: Mir ist wichtig, dass wir eine offene und klare Diskussion führen, auch im Verband, das sehen die Verbandsmitglieder genauso. Natürlich geht das, was ich sage, manchem Radio-Geschäftsführer gegen den Strich, aber ich höre mir wirklich gern dessen Gegenargumente an. Da müssen wir gemeinsam durch. Man kann nicht immer nur jammern. Wenn ich’s morbide will, dann schaue ich Arte.

Wenn es gegen ARD und ZDF geht, dann haben Sie heute aber einen ganz schönen Lauf.

Nein, gar nicht, aber manchmal frustriert mich das medienpolitische Kleinklein, das Beharren auf Einzelinteressen und Verbotsdenken ohne langfristige Perspektive, das uns aus Teilen der Politik entgegenschlägt. Das kann doch nicht alles sein. Wir sind eine dynamische, lebendige Branche. Wir produzieren tagtäglich Dinge, die die Menschen lieben, manchmal auch hassen, aber zu denen sie immerhin einen Bezug haben. Als Verband müssen wir einen klaren Blick auf die wirtschaftlichen Gegebenheiten haben und gemeinsam eine tragfähige Medienwirtschaftspolitik entwickeln. Natürlich sind Medien mehr als ein Wirtschaftsgut. Aber alle Medien sind eben auch Wirtschaftsunternehmen – bis auf die Öffentlich-rechtlichen. Da kommt das Geld aus der Steckdose.

Anders konnte das Gespräch wohl nicht enden. Lieben Dank für das Gespräch Herr Geist.