Frau Weber, lassen Sie uns über den WDR-Hörfunk reden. Ein Thema, das aus zweierlei Perspektiven derzeit sehr interessant ist. Aus der Zuhörer-Perspektive und aus der, sagen wir, lauten Innen-Perspektive?
(lacht) Sehr schön formuliert. Der WDR war noch nie leise, weder nach innen noch nach außen.
Fangen wir mit einer schweren einfachen Frage an: Wie definieren Sie gutes Radio?
(überlegt) Da würde ich jetzt unterscheiden zwischen den breit aufgestellten Programmen mit einem Mix aus Information und Musik auf der einen und den klaren, reinen Kultur- und Informations-Programmen auf der anderen Seite. Lassen Sie mich zuerst einmal etwas zu den Breiten-Angeboten sagen, die derzeit Gegenstand der öffentlich gewordenen Diskussion sind.
Gerne.
Gutes Radio bietet auf der einen Seite berechenbare Verlässlichkeit: klare Strukturen, in denen Hörer etwas wiederfinden können. Und gleichzeitig ist gutes Radio immer wieder unberechenbar überraschend. Das macht diesen Live-Moment des Radios aus. Den Moment, der das Medium unterscheidet von dem Einlegen einer CD oder dem gezielten Herunterladen bestimmter Inhalte.
Gilt das auch für die spitzeren Kultur- und Informationsprogramme, also WDR 3 oder WDR 5?
Das gilt im Grunde auch für die reinen Kultur-Programme, wobei sie dort eine Hörerschaft haben, die ganz gezielt einschaltet. Das ist in der Regel ein Publikum, das offen ist für Information und Kultur. Bei den breiten Angeboten, die mit 60 bis 70 Prozent Musik einen anderen Schwerpunkt haben, ist es der öffentlich-rechtliche Auftrag, einen anregenden Mix aus Unterhaltung und Information zu liefern. Information darf auch hier gerne unbequem sein. Aber wir müssen unserem Publikum zugestehen, dass es oft einfach nur einschaltet, weil es Musik hören will. Es dann zu ,verführen', und den Hörern Informationen und Hintergründe mitzugeben, die auch, ich sag mal bewusst - stören - dürfen, das ist die Kunst und der Anspruch von öffentlich-rechtlichen Programmen. Bei 1LIVE, WDR 2 und WDR 4 brauchen wir diesen spannenden Mix.
"Das ist doch das Problem unserer heutigen Informationswelt: Wir kriegen im Internet theoretisch alles, aber finden eben nur das, was wir auch suchen"
Was verstehen Sie unter stören?
Neulich habe ich morgens 1LIVE gehört und zwischen zwei hotten Songs geht es plötzlich um TTIP, das Freihandelsabkommen. Das ist diese verpackte, sperrige Information, die ich meine. Diese Verführung zu Hintergründen. Wir reden von einem nicht gerade einfachen Thema, das in einem Programm zielgruppengerecht aufbereitet wird und überraschend in einem Umfeld platziert wird. Wir haben die große Chance, unseren Hörern im linearen Programm Themen zu vermitteln, die online ein Großteil der Zielgruppe vielleicht gar nicht anklicken würde. Das ist doch das Problem unserer heutigen Informationswelt: Wir kriegen im Internet theoretisch alles, aber finden eben nur das, was wir auch suchen. Unsere Radioprogramme hingegen transportieren auch unbequeme Inhalte, die sie nicht gesucht und vielleicht auch nicht erwartet haben.
Vergessen wir WDR 3 und WDR 5 nicht, wie sieht es dort aus?
Bei einem Sender wie WDR 3, wo sie schon mit der musikalischen Konzentration auf Klassik ein klar definiertes Publikum erreichen, ist beispielsweise eine Kultur-Rezension kein überraschendes Element. Da wird es erwartet. Auch Hörer, die WDR 5 einschalten, interessieren sich per se für Wort und Hintergründe; sonst hätten sie gar nicht erst ein reines Wortprogramm eingeschaltet.
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk wird immer von mehr als einer Seite kritisiert. Mal heißt es bei Nischen-Programmen, es würden Gelder verbrannt angesichts sehr geringer Reichweiten. Auf der anderen Seite heißt es bei populären Programmen würde man beim Anspruch sparen.
Wenn gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk mobil gemacht wird, gegen das Beitragsmodell mobil gemacht wird und die Forderung laut wird, dass doch bitte nur die, die den öffentlich-rechtlichen Rundfunk wollen, dafür zahlen sollen, dann alarmiert mich das. Die Konsequenz wäre, dass sich möglicherweise nur noch wohlhabende Menschen, oder Menschen, die ohnehin schon offen sind für Kultur und Information sind, entsprechende Programme leisten würden. Das wäre aber doch fatal und widerspricht meiner Auffassung von gutem Radio, das Hörerinnen und Hörern etwas mitgibt, was sie vorher vielleicht noch nicht kannten und wussten: neue Musik genauso wie tiefergehende Information. Programme, die Menschen zu etwas bewegen und ihren Horizont erweitern, müssen auch künftig allen offen stehen. Deswegen brauchen wir das Solidarmodell der Beitragszahlung.
Was ist denn Ihrer Meinung nach der Wert der Öffentlich-Rechtlichen?
Der WDR liefert einen enormen Public Value, basierend auf zwei Säulen. Wir haben die "gehobenen Programme", wie sie genannt werden. Und auf der anderen Seite ist man in der ARD, besonders Mitte des Jahres, wenn die MA kommt, immer ganz froh, dass man noch einen Marktanteil von über 50 Prozent hält oder sogar weiter wächst. Es zeigt diese Bipolarität, wenn man öffentlich-rechtlich Radio macht: Auf der einen Seite der inhaltliche Anspruch der gehobenen Programme. Auf der anderen Seite die Relevanz im Markt, die wir immer wieder nachweisen müssen. Sonst bekommen wir ein Problem mit der Legitimation. Es gibt diese zwei Säulen, auf deren beider Erfolg wir stolz sein können beim WDR. Denen wollen wir in der Formation und Organisationsform Respekt zollen.
Da sind wir beim Thema. Sie sprechen da gerne von einer Markenflotte. Eine Flotte, das klingt nach dreierlei Dingen: Alle in eine Richtung, alle unter einer Führung - und dann Angriff! Das macht intern manchen Mitarbeitern offenbar Angst.
Ich habe viel Sympathie für dieses sprachliche Bild einer Flotte. Man hat ein gemeinsames Ziel: man flankiert sich; man hilft sich; man schützt sich. Und das in unruhigen Gewässern mit neuen Konkurrenten im digitalen Meer. Unser ,Funkhaus Europa' muss sich in Zeiten des Internets beispielsweise eben damit messen lassen, dass ich fremdsprachige Sender rund um die Uhr empfangen kann. Da kommen wir mit einstündigen Sendungen kaum hinterher. Auch 1LIVE muss sich in diesen Zeiten mit ganz anderen jungen Wettbewerbern auseinandersetzen als noch vor zehn Jahren. In diesen Zeiten ist man gut aufgestellt, wenn wir ein gemeinsames Selbstverständnis beim WDR entwickeln, was letztlich auch eine gemeinsame Vision für das Radio von morgen unterstellt.
Gab es dieses gemeinsame Selbstverständnis im WDR denn bisher nicht?
Bislang, da bleibe ich mal bewusst bei diesem Sprachbild, hat jedes unserer Schiffe selber die Segel gesetzt, seine Richtung selbst bestimmt und ist losgesegelt. Sehr erfolgreich, das will ich betonen. Jeder zweite Hörer in Nordrhein-Westfalen hört mindestens ein Programm des WDR.
Nun gut. Viel Wettbewerb gibt es in NRW ja auch nicht.
Wie auch immer. Der Markt, den ich sehe, ist auf die Zukunft ausgerichtet. Da haben wir neue Player an Bord, weil Radio zunehmend anders gehört wird. Deswegen ist es mehr denn je wichtig, sich als Flotte aufzustellen. Mir geht es darum, dass jedes Schiff unseres Hauses, egal ob es ein schweres Schiff oder ein Katamaran ist, klar vor Augen hat: Es fährt unter der Flagge des WDR. Die Botschaft an die Hörer und User ist: Egal wie alt du bist, egal in welcher Lebenslage du bist - der WDR macht dir ein Angebot.
"Wo ist der Steg, über den ein Zuhörer zwischen den Booten wechseln kann?"
Ist das nicht jetzt bereits der Fall mit 1LIVE, WDR 2 und WDR 4?
1LIVE ist eine hervorragende Radiomarke. Für die Flotte wäre es wichtig, wenn der 1LIVE-Hörer, der sein zweites oder drittes Kind bekommt und sich vielleicht nicht mehr so jung und wild fühlt, während er über die Finanzierung seines Reiheneckhauses nachdenkt, dann zu WDR 2 wechselt. Aber im Moment wechselt er nicht zu WDR 2. Und wenn ein WDR 2-Hörer nicht mehr zufrieden ist, weil er vielleicht lieber mehr aus den 60ern, 70ern und 80ern hören würde, liegt es doch nahe, ihm WDR 4 ans Herz zu legen. Aber er wechselte bislang nicht zu WDR 4. Deswegen müssen wir die Marke des WDR stärken und gemeinsam als Sender denken, damit wir nicht unnötig Hörer ziehen lassen.
Aber 1LIVE darf 1LIVE bleiben? Schließlich gibt es nicht wenige, die sagen, dass die Marke möglicherweise gerade deshalb so erfolgreich geworden ist, weil sie nicht unmittelbar mit dem WDR verbunden wurde. Oder fehlt da etwa der Absender WDR?
Ja, 1LIVE bleibt 1LIVE. Das Wichtige ist aber in der Frage nicht der Markenname - da wird man sich etwas überlegen müssen. Aber wenn es nur am Namen liegen würde, dann müsste der Hörerwechsel ja zwischen WDR 2 und WDR 4 funktionieren. Es hat etwas zu tun mit einem klugen Absprechen untereinander, um jedes Schiff zu stärken. Eine Flotte zeichnet sich ja nicht dadurch aus, dass alle das Gleiche machen sondern jeder seine Aufgaben hat. Ich möchte, dass sich jede Welle profilieren kann, aber wir sollten gemeinsam überlegen, um im Bild zu bleiben: Wo ist der Steg, über den ein Zuhörer zwischen den Booten wechseln kann? Wir reden da zum Beispiel von Songs, die sich überschneiden dürfen oder sogar sollen. Bei den Inhalten, dem Wortanteil, dürfte sich hingegen nichts überschneiden. Das wäre extrem gefährlich, wenn exakt der gleiche Wortbeitrag bei WDR 2 und WDR 4 liefe. Da kann es keine Synergien geben.