Frau Werning, Herr Kuhnigk, RTL stand in den vergangenen Jahren eher für bunte Unterhaltung als für investigativen Journalismus. Stellen Sie ein Umdenken im Sender fest?
Kuhnigk: Frank Hoffmann hat angekündigt, RTL stärker journalistisch positionieren zu wollen. Dass sich das durchsetzt freut mich sehr, zumal RTL mit den aktuellen Undercover-Reportagen für enorme Aufmerksamkeit gesorgt hat und dies von den Zuschauern honoriert wird.
Werning: RTL war ja immer schon journalistisch unterwegs, nur ist das Thema jetzt breiter im Programm vertreten.
Wann genau ist die denn Idee zu „Undercover Deutschland“ entstanden?
Kuhnigk: Wir arbeiten seit über einem Jahr daran. Die Recherche über die "12 Stämme", die wir schon im letzten Oktober ausgestrahlt haben, wäre eigentlich die erste Folge gewesen. Allerdings wollten wir sie wegen ihrer hohen Brisanz nicht so lange zurückhalten. Die Idee selbst entstand vor allem durch den Willen, das journalistische Rückgrat von RTL weiter zu stärken. Dass Reporter mal für eine Woche in andere Welten eintauchen, hat man schon häufiger gesehen. Wir wollten das aber bewusst anders machen und durften die Idee mitentwickeln, unsere Undercover-Reportagen über einen deutlich längeren Zeitraum anzulegen.
Hat der Erfolg von „Team Wallraff“ geholfen, Ihr Format an den Start zu bringen?
Kuhnigk: Nein, das war auch nicht nötig. Denn unser Format entstand vorher, benötigt aber mehr Zeit für die Umsetzung. Unsere inhaltliche Zielsetzung ist auch eine andere: Wir beleuchten soziale Strukturen und „Team Wallraff“ thematisiert den Arbeitsmarkt. Wir benötigen, je nach Thema, einen deutlich längeren Vorlauf, zum Beispiel, wenn wir als Leihmutter oder bei den Pädophilen eintauchen und uns über ein Jahr in dieser Szenerie bewegen.
Werning: Dazu kommt, dass wir mehrere Themen haben. Jeder von uns beschäftigt sich mit vier Themen, in die er eingetaucht ist. Das zog sich über den ganzen Zeitraum und fand zwangsläufig auch parallel statt. Gut, dass es beide Formate gibt.
Es geht also auch ohne Wallraff?
Kuhnigk: Ich halte das „Team Wallraf für sehr stark, aber wir brauchen ihn für „Undercover Deutschland nicht. Wir sind unsere eigenen kleinen Wallraffs. (lacht)
Mit dem Sat.1-Format „Lange Undercover“ ist Meta Productions gerade in Verruf geraten. Es soll gestellte Szenen gegeben haben, die so nicht vorgekommen sind, was wohl auch mit zeitlichem Druck zu tun hat. Ist das nicht grundsätzlich ein Problem, zu einem gewissen Zeitpunkt ein Ergebnis der Recherchen liefern zu müssen?
Kuhnigk: Ich persönlich habe bei unseren Dreharbeiten niemals Druck verspürt. Mich treibt der Wunsch an, etwas erreichen zu können. Wenn man diesen Wunsch nicht hat, sollte man ein solches Format gar nicht erst versuchen. Und wenn man mit Druck nicht umgehen kann, erst recht nicht.
Werning: Entscheidend ist, dass wir ein Jahr Zeit hatten. Wir konnten eintauchen! Bei anderen Formaten geht es meist schneller, was dazu führt, Ergebnisse schneller zu liefern. So gesehen wurde uns alleine schon deshalb viel Druck genommen. Aber es gibt diesen inneren Druck, etwas rausfinden zu wollen.
Günter Wallraff hat erst kürzlich auf dem Factual Entertainment Summit erklärt, in Zukunft nicht mehr auf eine staffelweise Ausstrahlung setzen zu wollen, um die einzelnen Fälle schneller auf den Schirm zu bekommen. Ist das auch Ihre Wunschvorstellung?
Kuhnigk: Wir freuen uns erstmal, dass wir unser Format konzentriert und zeitnah an den Start kriegen. Und nach der Ausstrahlung werden wir uns überlegen, in welcher Form wir weitermachen. RTL ist allerdings ohnehin sehr flexibel. Insofern weiß der Sender am besten, welche Form der Ausstrahlung den meisten Sinn macht.
Werning: Es ist keineswegs so, dass jetzt ein Thema seit einem Jahr herumliegt und auf die Ausstrahlung wartet. Insofern sehe ich es nicht als Problem, dass man „Undercover Deutschland“ als komplette Staffel ins Programm nimmt.
Wie viel Platz gibt es im deutschen Fernsehen eigentlich für Undercover-Formate?
Kuhnigk: Es scheint genügend Platz vorhanden. Man muss es nur wollen. Wenn man gesellschaftlich relevante Themen hat und die Ergebnisse den großen Aufwand rechtfertigen, wäre jeder Sender schlecht beraten, ein solches Format nicht zu senden.
Gibt es Fälle, die Ihnen besonders nahe gingen, oder muss man persönliche Gefühle ausblenden?
Werning: Gefühle lassen sich nicht immer ausblenden. Besonders nahe ging mir die Leihmutterschaft – schon alleine, weil ich selbst bald Mutter werde. Da lässt man plötzlich ganz andere Emotionen zu. Wenn man mit der Not anderer Paare konfrontiert ist, die keine Kinder kriegen können und irgendwann nach jedem Strohhalm greifen, nimmt man diese Fragen auch mit nach Hause.
Kuhnigk: Bei mir waren es die Pädophilen. Ich habe selbst vier Kinder, die ich vor Missbrauch schützen möchte. Je länger ich in deren Welt eingetaucht bin, desto schlechter habe ich geträumt. Aber vielleicht geht es auch nicht anders, wenn man über einen so langen Zeitraum so tief in eine fremde Welt eintaucht.
Wie finden Sie im Vorfeld heraus, ob eine fremde Welt spannend genug ist, um daraus eine einstündige Undercover-Reportage zu machen?
Kuhnigk: Die Frage, ob ein Thema gesellschaftlich relevant ist oder nicht, ist der erste Filter. Es muss die Menschen schon interessieren, sonst macht es keinen Sinn. Danach geht es darum, ob man sich selbst darin wiederfinden kann. Erst dann folgt die redaktionelle Planung mit RTL. Im Vorfeld dieser Staffel mussten wir aber auch Themen zurückstellen, weil sie schlicht zu schwierig waren. Ich hoffe aber, dass wir zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal darauf zurückkommen können.
Sie denken also schon an eine zweite Staffel?
Kuhnigk: (lacht) Lassen Sie es uns so sagen: Wir wünschen uns das. Wir sind bereit.