Schützt Neugier gegen Vorurteile?

Immer dann, wenn man die Neugier nicht kanalisiert, sondern sie offenlässt. Da passt der blöde Spruch: „Der Kopf ist rund, damit er in jede Richtung denken kann“. Man sollte immer erst fragen, bevor man einen Vorwurf erhebt. Es ist sicherlich kein Zufall, dass die meisten Journalisten eher liberal eingestellt sind. Wer sich immer wieder mit neuen Sachthemen und Lebensentwürfen beschäftigt, der ist selten stur oder festgefahren, sondern meist offen.

Wie oft kommt es vor, dass Sie mit einem negativen Vorurteil in Ihre Sendung gehen - und dann feststellen, das derjenige oder diejenige ganz anders tickt als Sie angenommen hatten?

Häufig. Leider gibt es auch den umgekehrten Fall: Ich gehe mit einer hohen Meinung über eine Person in die Sendung - und komme ziemlich desillusioniert wieder heraus.



Haben Sie ein Beispiel parat?

Keine Namen. Ich nenne ihnen aber gern ein positives Beispiel: Jana Ina (Deutsch-brasilianische Moderatorin und Model, d. Red.). Eine sympathische junge Frau, ehemals Schönheitskönigin in Rio de Janeiro, die wir für eine Sendung über die WM in Brasilien eingeladen hatten. Wir wussten, sie ist absolut fußballverliebt. Dass sie sich allerdings derart reflektiert darbot und so viele kluge Gedanken beisteuerte, hat viele überrascht.

Sie haben mal gesagt, die Recherche sei zuweilen spannender als die spätere Sendung. Bei welchem Thema hatten Sie zuletzt das Gefühl, Sie seien nicht ausreichend vorbereitet?

Außer Fußball? Jenem Sport, bei dem ich mich nicht ansatzweise ausreichend vorbereiten kann, weil ich kein Fan bin?

Okay, lassen wir Fußball weg.

(überlegt)

Sie haben einige Sendungen zur Euro-Krise gemacht - ein kompliziertes Feld...

Wer hat da schon den Überblick? Bei diesem Thema spielen derart viele Bereiche eine Rolle - ob Sozialpolitik, Finanzpolitik oder Wirtschaftspolitik. Mein Anspruch ist es, die richtigen Fragen zu stellen, nicht selbst die Antworten geben zu müssen. Darum geht es. Ich bin und werde keine Expertin. Für so manche Sendung wäre derlei auch schädlich, schließlich will ich Fragen stellen, die unsere große und sehr heterogene Zuschauergruppe auch versteht.

Zweiter Versuch: Wann fühlten Sie sich zuletzt schlecht vorbereitet, Frau Maischberger?

Ich erinnere mich an Momente bei "Talk im Turm". Wir haben einmal eine Sendung über die Steuerreform gemacht, leider hatte ich mich bis dahin in keiner Weise mit dem Steuersystem beschäftigt. Das ging logischerweise nach hinten los. Ich war schlicht überfordert. Eindeutig kein schöner Moment.

Gibt es ein Fernsehformat, das Sie sich wünschten oder auch selbst gern umsetzen würden, zugleich aber wissen, dass es wohl erfolglos wäre?

Eine tägliche Interviewsendung in der ARD - das fände ich toll. Eine Sendung, wie wir sie beispielsweise früher bei Premiere oder auch n-tv gemacht haben, ist genau genommen ein klassisch öffentlich-rechtliches Format. Leider gibt es zurzeit keinen Platz, an dem es erfolgreich laufen würde.

Sie sehen nur ein Platzproblem?

Platz ist eine Frage des Willens, klar. Es ist aber nicht einfach: Am späten Abend würde beim Zuschauer schlicht die nötige Konzentration fehlen. Für die Primetime käme eine Interviewsendung gar nicht infrage. Was bleibt da noch? Die sogenannte Todeszone direkt vor der Tagesschau? Da hatte nicht einmal Thomas Gottschalk Erfolg.

Bei n-tv hatte es um 17.15 Uhr gut geklappt, sie waren sehr erfolgreich und wurden mit Lob und Preisen überschüttet.

Das lief, wie gesagt, schon bei Premiere gut, damals im Wechsel mit Roger Willemsen ("0137" von 1991-1993, d. Red.). Bei einem kleinen Sender, zumal einem Nachrichtensender, ist dieses Format ein Selbstläufer. Bei einem großen Sender müsste man es ausprobieren, aber ich sehe nicht, dass das in absehbarer Zeit passieren wird. Fest steht: Für eine Larry-King-Sendung müsste es im deutschen Fernsehen Platz geben.

Sind Sie eigentlich noch immer der Ansicht, Sie würden sich selbst nie in eine Talkshow einladen, weil Sie zu langweilig seien?

Eine Journalistin, wie ich eine bin, lebt von den Erfahrungen anderer. Was ich darüber hinaus mache, ist nicht sonderlich spannend. Ich bin zum Beispiel kein Abenteurer, der auf viele Kontinente reist und tolle Geschichten darüber erählt. Ich kann auch keine spannenden Forschungsergebnisse präsentieren. Kurz: Ich habe ein ziemlich normales Privatleben.

Aber auch Sie werden in Sendungen eingeladen.

Ja. Und was werde ich dort gefragt? Natürlich geht es meist um die Karriere. Besonders spannend ist das nicht, zumindest wäre es fahrlässig, damit eine einstündige Sendung zu füllen. Ich habe einmal eine Weltreise gemacht, darüber könnte ich gerade noch ein paar Details erzählen - aber mehr? Nee, da fehlt einfach gelebte Substanz. Als Journalistin führe ich eine Art Second-Hand-Leben: Ich ernähre mich von den Abenteuern anderer. Markus Lanz läuft ab und zu über den Nordpol – das ist doch was. Solche Expeditionen nehme ich mir nicht mehr vor. Ich bin brav geworden.

Frau Maischberger, Sie haben Alfred Biolek für das Portrait lange begleitet -  um welche Eigenschaften bewundern Sie ihn?

Am Kollegen Alfred Biolek bewundere ich seinen Wagemut, seine Kreativität. Er hat das Fernsehen jener Zeit entkrustet. Bios Bahnhof war Avantgarde. Wen er alles auf diese Bühne gebracht hat, in welcher Mischung - Chapeau! Am Menschen Alfred Biolek bewundere ich, dass er seine Lebensphasen sehr konsequent erkennt und diese auch annimmt, ohne ständig sentimental zurückzublicken. Das gelingt nicht jedem. Und er zeigt, wie man in Würde altern kann. Ich ziehe den Hut vor Alfred.

Frau Maischberger, herzlichen Dank für das Gespräch.