"Solche Kreaturen gibt es bei uns nicht": Christian Ulmen im Interview
Warum sollen die späten Fernsehzuschauer am Donnerstag „Mein neuer Freund“ einschalten statt Harald Schmidt?
Es ist möglich, beide Sendungen einzuschalten, man muss dabei nur nach einer Viertelstunde von Schmidt zu ProSieben wechseln, um den Anfang von Mein Neuer Freund nicht zu verpassen. Denn gerade die Einführung ist bei unserer Sendung sehr wichtig. Und acht mal kann man sich durchaus Schmidt auf Video aufnehmen und Mein Neuer Freund direkt gucken. Bloß nicht umgekehrt! Denn ProSieben macht mehr Gedöns wegen Quote als die ARD. Außerdem wird Schmidt ja nächtelang in allen dritten Programmen wiederholt. Samstag nachts im Bayerischen Rundfunk sogar beide Wochenausgaben am Stück, habe ich gesehen.
Warum ist dieser Sendeplatz, 23.15 gegen Harald Schmidt, jetzt der bessere?
Der Sender ist ganz begeistert von dem Termin. Ich habe von solchen programmstrategischen Kisten keine Ahnung, finde die späte Uhrzeit auch nicht schlimm. Obwohl Helmut Dietl vor kurzem bei „3 nach 9“ gesagt hat, man müsse alle Programme für den Rand, und so ein Programm ist „Mein Neuer Freund“ offenbar, in die Mitte holen, damit sie nicht verkümmern. Doch ich bin froh, dass die Sendung überhaupt wieder läuft.
Am Donnerstag wirst du vor der Ausstrahlung der zweiten Folge bei Sarah Kuttner zu sehen sein und besuchst zum ersten Mal Stefan Raab. Freiwillig?
Klar. Ich finde es jetzt wichtig, die Sendung wieder anzumelden und zu zeigen, dass es sie gibt. Außerdem machen Raab und Kuttner wirklich keine Sendungen, zu denen man gezwungen werden müsste. Das sind doch nette abendliche Verabredungen.
Nach der Absetzung der Sendung hat sich im Internet ein wahrer Zuschaueraufstand abgespielt, über 6000 Zuschauer haben für den Erhalt des Formats unterzeichnet. Glaubst du, diese Unterschriften haben mehr als einen ideellen, vielleicht einen echten PR-Wert? Die Kollegen des Kress-Report kolportierten ja die Vermutung, es habe sich um geschickte Promotion gehandelt.
Ich glaube, dass die Illuminaten dahinterstecken. Es hat 6944 Unterschriften gegeben – schon einmal die Quersumme dieser Zahl errechnet? Aha!? Da staunst!
Jedenfalls wurde „Mein neuer Freund“ zum Thema in Internet und Medienberichterstattung. Hätte man den Diskurs über diese Sendung nicht schon vor der ersten Ausstrahlung eröffnen können, um das Publikum zu sensibilisieren?
Die erste Ausstrahlung war wohl nötig, damit der Zuschauer mitkriegt, was das überhaupt für eine Sendung sein soll. Vorher war ja immer wieder vom dicken, peinlichen Verlobten die Rede, es wurde sofort verglichen, es gab schon Leute, die die Sendung vorverurteilt haben, bevor überhaupt Bilder der Charaktere veröffentlicht wurden; da kommt eben ein zweiter dicker Verlobter, und so weiter. Da kam auch kein Trailer gegen an. Die erste Ausstrahlung hat dann Klarheit verschafft. Deshalb war ich auch über die Absetzung so erschrocken. Wir müssen doch die ersten Sendungen zeigen, um überhaupt ein Verständnis zu ermöglichen, und nach öffentlichen Reaktionen und Mundpropaganda die restlichen Folgen abzuwarten. Das Senden ist da die beste PR für dieses Format.
Das englische Originalformat „My New Best Friend“ erntete – wie „Mein neuer Freund“ – Lob bei den Kritikern, war aber auch bei den Zuschauern erfolgreich.
Es herrschte aber keine Quoteneuphorie bei den Engländern. Das Format fing bei Channel 4 klein an und hat sich dann behauptet. Der Kern der Sendung lässt sich vorher nur mühsam erklären, weil er eben nicht klar aus Comedy oder klar aus Reality-TV besteht. Das muss man sich ansehen, darüber sprechen in der Kneipe, dann sehen die Kumpanen auch zu und irgendwann alle.
Hat sich diese Anlaufphase, die das Format in England gebraucht hat, nicht bis Unterföhring herumgesprochen?
Das musst du dort nachfragen.
Wo siehst du denn die Unterschiede zum Channel-4-Originalformat?
Ich glaube, „Mein Neuer Freund“ geht noch stärker mit Wahrhaftigkeit um. Bei den Engländern war es etwas mehr Comedy. Wir haben durchaus Momente, die nicht vordergründig zum Lachen sind, die nachdenklich machen, verdutzen oder sogar verstören, finde ich.
Nur weil man lacht, muss es nicht Comedy sein.
Genau. Weil das Lachen hier manchmal ein Ausdruck für Unverständnis sein kann; man versteht die Reaktion des Kandidaten oder der Eltern nicht, das Lachen ist nicht immer lustig wie ‚lustige Perücke vom Knut’. Es ist auch nicht Comedy, nur weil da jemand eine Perücke trägt.
Ist das ‚Socialtainment’?
Das weiß ich nun gar nicht, was das sein soll. Klingt bescheuert. Ein bisschen nach „Vera am Mittag“.
Vielleicht liegt in der Reaktion auf die Charaktere etwas bezeichnendes, wiederum dokumentarisches für das Milieu, in dem sich die Figur dann bewegt.
Mit Sicherheit. Wenn ich als rastahaariger Kiffer, der nach Räucherstäbchen riecht, ziellos in den Tag hineinlebt und seine „neue Freundin“ mit Rapgesängen und dem Schneiden der Fußnägel im Wohnzimmer nervt, wenn ich als so ein Typ auf wirklich ernstgemeinte Sätze stoße wie „Solche Kreaturen gibt es bei uns in Gummersbach nicht“ oder „dieses Vieh ist Abschaum“ – dann erzählt das eine Menge und man hofft, dass in Gummersbach erst einmal niemand arbeitslos wird.
Wir haben es mit einem real existierenden Umfeld zu tun, in das die Figuren hineingeworfen werden. Wie repräsentativ sind denn die Figuren selbst? Gibt es Knut Hansen?
Wir waren ja eben im Grell-Eck. (Eine unfreundliche Kaschemme im nördlichen Prenzlauer Berg in Berlin, Anm. d. Red.) Da gibt es viele Knut Hansens. Natürlich gibt es Knut. Er hat ja zum einen dieses Traurige, Gescheiterte, aber auch das, was es in der Showbranche oft gibt: Knut Hansen sieht sich nicht als gescheitert, sondern hält sich noch immer für einen großen Entertainer, der er aber nie war. Bei dem es „durchaus auch mal Saure-Gurken-Zeit“ gab, aber der jetzt auf dem „Weg ganz nach oben“ ist. Den eben beschriebenen Kiffer „Ecke“ gibt es auch.
Das heißt, vor dem „Gamma Progressiv“ stehen eine Menge Hansens, die man nicht gleich als solche erkennt.
Ja, es gibt auch Knuts, die gut riechen und Gel im Haar haben.
Gibt es denn Schnittmengen zwischen dir und deinen Figuren, üble Angewohnheiten - findet man an ihnen ein paar Mr. Hyde-Seiten von Herrn Ulmen?
Nein. Es ist wirklich der Spaß am Ausprobieren und Ausleben solcher fremder Figuren. Die hat man mal beobachtet, oder komplett ausgedacht, dann hat man Freude daran, sie nachzumachen, zu spielen. Ab und zu gibt es kleine Nervmechanismen, die ich von mir privat kenne. Aber das sind dann nur Versatzstücke, keine Schnittmengen. Es ist nicht so, dass ich einen halben „Uwe“ oder „Alexander von Eich“ in mir tragen würde – und genau das ist ja auch der Reiz.
Du hast dieses Spiel in der ersten Folge mit einer sehr eindeutigen Auflösungsszene beendet, in der du dich zum Abschluss zu Erkennen gegeben hast. Diese Szene hat manchen gestört. Muss das sein?
In jeder Sendung sieht die Auflösung anders aus. Ich finde, diese Auflösungsszenen sind hier die ehrlichsten. Es wird kein Spaßvogel verschenkt oder eine Reise mit dem Herzblatt-Hubschrauber, der Kandidat bekommt am Schluss 10 000 Euro auf den Tisch geknallt und ist dann erst einmal ziemlich lange alleine mit dem Geld und den Eltern und muss ihnen selbständig erklären, dass es sich um eine Fernsehshow gehandelt hat. Während die Eltern keine Kamera sehen, kein Cherno Jobatey reinkommt und grinst, sitzt da nur der Sohn oder die Tochter und erklärt den Eltern, das alles bloß eine Show gewesen sei.
Die Eltern sagen: ‚Wie, ne Show? Wo sind dann die Kameras?’ – ‚Ja, ich weiß auch nicht, irgendwo versteckt’. Die Auflösung ist ein Teil dieser Absurdität, die sich durch das Programm zieht. Dass ich dann irgendwann unverkleidet dazukomme, ist jawohl klar. Ich habe mit dem Kandidaten ein Wochenende verbracht und will mich anständig verabschieden. Außerdem sieht man das nicht in jeder Folge, wie gesagt.
Die Zuschauer kennen dich wahrscheinlich nicht als Knut Hansen, sondern als Frank Lehmann oder als MTV-Moderator. Was sind die Besonderheiten in der Vorbereitung auf eine maskierte Reality-Reihe?
Es gibt zwei Vorbereitungen. Erst einmal musst du, ähnlich wie ein Rechtsanwalt, die Denkweise eines Fremden verinnerlichen. Es dauert etwa einen Tag, bis man redet wie Alexander von Eich zum Beispiel. Dann gibt es das Ausprobieren mit der Maske, ich gehe dann durch Kneipen, gucke, ob man mich erkennt, ob die Maske funktioniert.
Mein Eindruck war, dass die Maske deine Mimik geprägt hat.
Da ist was dran, ja. Die Maske rückt die Mimik der Figur noch weiter weg von meiner eigenen. Letztlich hast du vorher schon eine Mimik drauf, dann kommen falsche Zähne, Kontaktlinsen und Haarteile hinzu und machen sie noch ein Stück fremder. Die Maske ist ein stark unterstützendes Beiwerk, das mich noch weiter wegrückt von mir selbst.
Wir bekommen dich mit acht völlig unterschiedlichen Gesichtern zu sehen. Wäre es nicht spannend, eine durchgehende Figur in verschiedene Milieus einzuführen, um den Fokus noch mehr auf unterschiedliche Reaktionen zu richten, wie es bei "Unter Ulmen" der Fall war?
Ich denke, in der jetzigen Form erzielen wir schon die interessantesten Ergebnisse. Es geht auch nicht anders, denn der Mitspieler, auf den die Figur trifft, muss komplett konträr zu ihr stehen. Aber was du meinst könnte auch spannend sein. Knut könnte zum Beispiel hier im Grell-Eck auf seinesgleichen treffen. Mit Manni Petersen, dem Knut Hansen aus der Unter-Ulmen-Zeit, sind wir auf eine Open-Mike-Comedyveranstaltung gegangen, dort gab es jede Menge Hansens oder Petersens, die sich vor Publikum beweisen wollten und einen regelrechten Konkurrenzkampf geführt haben. Die wollten Petersen dann in die Zlatko-Ecke stellen und ausbooten, obwohl er einer der ihren war.
Wie viel "Unter Ulmen" steckt im "neuen Freund"? Hat sich dein Humor verändert?
Die Motivation ist die gleiche geblieben. Wenn ich eine Sendung beginne, weiß ich vorher nicht, was passiert. Hinterher ist man schlauer, und dann erst kommen diese ganzen Begriffe und Definitionen dessen, was man da gemacht hat. Vorher hast du davon keinen Schimmer. Ich mag diese naive Herangehensweise und habe schlicht Spaß an solchen Experimenten. Während ich eine Sendung mache, bleibt das Ergebnis offen. Spannend ist dann die Frage, was passiert, wenn Knut stinkend auf seine „Freundin“ und deren Freunde trifft, was passiert, wenn Motivationstrainer Veit dem kernigen Gegenüber das Bier wegschüttet und was passiert, wenn ein Polizist auf der Straße steht und plötzlich anfängt zu weinen.
Wird es ein zweites "Unter Ulmen“ geben? Ein Format, in dem du die Zuschauer rauchend begrüßt und in jeder Hinsicht frei agieren kannst?
Im Moment habe ich großen Spaß an Rollen. Ich bin des Moderierens müde, erstmal. Ich mag die Maske. Aber mal sehen. Vielleicht bin ich auch in der Pubertät und das ist nur so eine Phase.
Steigst du noch ab und zu ins Tweety-Kostüm aus "Unter Ulmen"?
Nein. Aber kürzlich habe ich es einem Kameramann geliehen, der am Geburtstag seiner Freundin einen Striptease darin vorführte.
Wann zuletzt den Schotten getroffen?
Gestern abend.
Wann kommt es zur Wiedervereinigung?
Mal sehen, Jörg (Diernberger, früher Regisseur und Spielpartner in Unter Ulmen, Autor – Anm. d. Red.) und ich überlegen schon, wo und was wir mal wieder gemeinsam machen könnten, sei es im Fernsehen oder im Radio.
Ich bin gespannt. Vielen Dank für das Gespräch.