Polylux-Macherin Tita von Hardenberg über falsche Vorwürfe
Mit dem neuen früheren Sendeplatz kann „Polylux“ so viele Zuschauer erreichen wie bislang noch nie, wie man bei der ersten Sendung schon sehen konnte. Welche Erwartungen haben sie?
Ich hoffe, dass wir mit dem neuen Publikum, das uns teilweise zum ersten Mal sieht, auch Stammzuschauer gewinnen können. Und dann freue ich mich, in zukunft seltener zu hören, dass unsere Sendung zwar wunderbar sei, nur leider viel zu spät komme
Sorgt der „Harald Schmidt“-Effekt und das größere Publikum auch für Änderungen am Konzept der Sendung?
Polylux bleibt Polylux. Vielleicht hatten wir in der ersten Sendung Themen, die nicht ganz so „szenig“ und „undergroundig“ sind, um zu zeigen, dass wir auch Sachen machen können, die ein größeres Publikum interessieren, aber eigentlich, und das ist ja das Tolle: Polylux passt zu Harald Schmidt. Wir setzen mit anderen Mitteln fort, was Schmidt mit StandUp beginnt: Wir blicken auch satirisch auf die Woche, nur eben in Film-Beiträgen.
Zum Thema Sendezeiten: Die „Polylux“-Karriere im Ersten ist, was kaum einer weiß, mit einem Sendeplatz um 04 Uhr morgens gestartet. Was hat die ARD denn zu dieser Entscheidung bewegt?
Vielleicht Feigheit? (lacht). Man wollte „Polylux“ schon ganz gern ausprobieren, aber es musste dann eben ein Platz sein, den kein anderer wollte. Selbst um 04 Uhr morgens gibt es ja Vergleichswerte, auch da kann man dann schauen, ob es gut läuft.
Wussten Sie denn, wann Das Erste Sie platzieren wollte als es darum ging, „Polylux“ ins erste Programm zu heben?
Wir wollten ins Erste, egal wann. Es ist einfach Medienpolitik, ein wichtiger Schritt, mit einem Format aus den Dritten ins Erste zu wechseln, auch um 04 Uhr morgens.
Waren es die Einschaltquoten oder die Zuschauerreaktionen, die dann einen menschlicheren Sendeplatz ermöglicht haben?
Um 04 Uhr morgens waren es tatsächlich die Einschaltquoten, weil es sich wiederum gedeckt hat mit unserem merkwürdigen Ansatz, der besonders extreme Nachtmenschen anspricht. Und plötzlich versammelte sich ein Publikum, von dem man vorher gar nicht wusste, das es das gab. Das waren Leute, die aus den Clubs kamen, aber noch nicht schlafen wollten und dann eben hängen blieben.
Jetzt sind sie nach früh morgens und spät in der Nacht direkt hinter Schmidt gelandet. Gibt es eigentlich Kontakt zwischen Kobalt Productions und Bonito TV, wo man schon gemeinsam den späten Donnerstagabend gestaltet?
Oh ja, da gibt es inzwischen einen engen Kontakt, wir haben viel telefoniert und wir werden da in Zukunft sicher mal zusammenarbeiten, aber das ist... geheim.
Immerhin wurde Ihr Name genannt als es in der ersten Schmidt-Show um die Frage ging, ob Schmidt künftig Gäste habe…
Das hat mich natürlich gefreut und sehr überrascht, schliesslich hatte er in all den Jahren noch ein paar andere Gäste außer mir. Also da besteht mittlerweile auch wirklich ein sehr netter, enger Kontakt, immerhin haben wir Schmidt ja indirekt auch den neuen Sendeplatz zu verdanken.
Wie alt ist eigentlich der typische Polylux-Zuschauer?
Also 54 ist das Alter des durchschnittlichen ARD-Zuschauers, da sind wir schon ein bisschen drunter, aber schon in den Fünfzigern. Wir haben gemerkt, dass es die Arroganz der Jüngeren ist, zu glauben, dass nur sie eine solche Art von Programm sehen wollen. Eigentlich wenden wir uns an alle, die im Leben suchen, die offen sind für Neues, die Lust haben auf noch nicht erzählte Geschichten und die Vierzigjährigen heute sind nicht mehr die Vierzigjährigen von vor zwanzig Jahren: Sie wollen dichter dran sein am Zeitgeschehen. Deswegen sind wir davon weg, ein reines Jugendprogramm sein zu wollen.
Ist „Polylux“ im Fernsehen also das, was „Neon“ am Kiosk ist? Navigator für Menschen, die erwachsen sind, sich aber noch nicht so fühlen?
Das stimmt schon, das haben wir auch schon öfter thematisiert. Die berühmtesten DJs Deutschlands sind in den Vierzigern, nicht jeder will in dem Alter schon Pauschalurlaub mit Bungalow machen. Da hat ein Umdenken stattgefunden. Und im Tandem mit Harald Schmidt können wir diese Menschen jetzt besonders gut erreichen, wie übrigens die Quoten auch schon zeigen.
Bei dieser Zielgruppe wäre „Polylux“ doch ideal für das private Fernsehen. Würde „Polylux“ dort funktionieren?
Wir? Im Leben nicht. Wir kriegen zwar jeden Tag eMails von Zuschauern, die uns vorwerfen, „Polylux“ wäre eher Privatfernsehen und gehöre nicht ins Öffentlich-Rechtliche. Aber wir bei den Privaten? Dafür sind wir zu eigenwillig.
Also werden sie auch in der Zukunft keine Werbepause anmoderieren müssen?
Nein, „Polylux“ ist schon sehr öffentlich-rechtlich, auch wenn es manchmal nicht so aussieht.
Aus der eigenen beruflichen Karriere kennen Sie auch z.B. München und London sehr gut. Würde „Polylux“ auch dort funktionieren oder ist die Sendung nur aus Berlin möglich? Wie viel Berlin steckt in „Polylux?“
„Polylux“ lebt davon, dass wir hier mitten in der Großstadt sitzen und direkten Kontakt haben zu dem, was passiert. Wir haben es ja gerade wieder bei Moshammer erlebt: Wie die Münchner Presse darüber berichtet, denkt man wirklich, die sind im letzten Jahrhundert stecken geblieben. Da wird das Stricher-Millieu einfach mal mit Homosexuellen-Milieu gleichgesetzt – in allen Zeitungen und keiner stört sich daran. Da herrscht oft eine völlig andere Denkart, in diesem Umfeld würden wir verkümmern.
„Polylux“ ist also ein Hauptstadt-Magazin?
Ja, von Berlin geprägt. In Deutschland hat einfach keine andere Stadt so viele Szenen, die nebeneinander existieren und es so überraschend machen.
Nicht selten hört man den Vorwurf, „Polylux“ sei ein Möchtegern-Magazin der „hippen“ Berlin-Mitte-Yuppies. Wie erklären sie sich das?
An den Themen liegt es nicht, da sind wir oft im „Underground“ und oft alternativ. Die, die uns nicht gut kennen und nur die Verpackung sehen, die sehen nur die Hochglanz-Aufmachung von „Polylux“ und lassen sich davon blenden. Daher kommt vielleicht dieser Eindruck.
Ist es denn leichter oder schwieriger geworden für die Themenfindung, wo doch die Politik versucht in Berlin alles möglichst homogen zusammenwachsen zu lassen? Bleiben da die Sub-Zentren und Stadtteile mit ihren eigenen Szenen nicht auf der Strecke?
Es wird zwar immer wieder beklagt von den alten Kreuzbergern, aber ich empfinde das nicht so. Gerade in Berlin ist es für die Sub-Zentren mal ganz erfrischend, neuen Wind zu spüren. Ich finde Berlin ist in den letzten Jahren noch mal spannender geworden, auch dadurch, dass wir jetzt den Glamour und die große Politik in der Stadt haben.
Wie muss man sich die Themenfindung konkret vorstellen? Ob es eine neue Subkultur gibt oder man davon weiß und berichten kann, sind ja zweierlei Dinge…
Durch die Leute die hier arbeiten, bei denen ein wesentliches Kriterium ist, dass die auch nachts in der Stadt unterwegs sind. Bei uns arbeiten nicht die klassischen Volontäre oder Journalismus-Studenten, die ganz klar eine Laufbahn verfolgen. Unsere festen Mitarbeiter arbeiten nebenher in Clubs, spielen in Bands - und die Freien sowieso. Sie bringen die Themen aus der Szene dann mit zur Arbeit hier bei uns.
Gerade wenn es um Bands oder Bücher geht: Wie schwer ist es, Beiträge über Gruppen oder Personen nicht zur Werbung für das neue Buch oder die neue CD verkommen zu lassen?
Das ist jedes Mal die Kunst. Aber wir geben im Vorfeld auch vor, dass sich die Künstler mindestens einen halben Tag Zeit für uns nehmen sollen. So haben wir neulich auch erst ein Interview mit Tocotronic in die Tonne gekloppt, weil die Jungs nicht mehr als ihre üblichen Promotiontour-Antworten geben wollten, die für „Polylux“ dann nicht interessant sind. Dann fliegt so ein Beitrag auch wieder raus.
Die Arbeitsatmosphäre in der Redaktion wirkt ganz wie bei einem Überbleibsel der „New Economy“…
Wir waren „New Economy“ bevor die überhaupt auftauchte. Es gibt uns ja schon ein bisschen länger: seit acht Jahren und da hatten wir von Anfang an diese Philosophie und diese Ideen. Normale Arbeitsverträge gab es aber schon (lacht).
Und Kobalt Productions gibt es im Gegensatz zur „New Economy“ noch…
Das Aufbrechen der traditionellen Bürokultur war mit das Beste was uns die „New Economy“ beschert hat. Die Büros hier haben wir übrigens auch von einem pleite-gegangenen „New Economy“-Unternehmen übernommen
Wie viele Mitarbeiter wirken fest oder frei an den Produktionen von Kobalt Productions mit?
Wenn wir eine Weihnachtsparty oder ein Screening veranstalten, dann sind schon sechzig Leute dabei, und das ist der harte Kern, also nicht der weitere Kreis. Sechzig Leute, die hier wöchentlich rumwursteln.
Die allerdings nicht allein an „Polylux“ arbeiten. Sie erstellen auch zwei Magazine für arte…
Richtig. Die Musiksendung „Tracks“ ist im Prinzip „Polylux“ weitergedreht, das ist wirklich gezielt für ein junges Publikum und damit schräger, wilder, spezieller als man es im Ersten sein kann. Und „Absolut“ ist ein etwas zurückgenommenes „Polylux“ mit sehr gradlinigen Reportagen aus aller Welt ohne allzu schräge Töne aber auch mit jungen Themen. Wenn es um Konflikte wie im Nahen Osten geht, dann sind die Protagonisten in unseren Beiträgen junge Menschen, um deren Schicksale und Geschichten es geht. Von der Machart ein konservativeres Magazin als „Polylux“.
Synergieeffekte im Hause Kobalt? Ein Team vor Ort, um Berichte für mehrere Magazine einzufangen oder wie eigenständig sind die einzelnen Formate?
Es ist schon unterschiedliche Kern-Teams, sie arbeiten sich aber gegenseitig zu. Die gleichen Themen kommen dennoch selten vor, weil „Polylux“ zum Beispiel streng inländisch orientiert ist. Aber wenn man einen teuren Dreh hat und in London oder New York unterwegs ist, dann versucht man schon für alle Formate mitzudrehen und mehr als eine Geschichte mitzubringen.
Die Eigenständigkeit: Hat dies beim Kampf um „Polylux“ in den letzten Wochen eigentlich geholfen oder wäre es unter dem Dach des RBB einfacher gewesen?
Man fühlt sich manchmal schon wie ein Satellit der in den Himmel geschossen wurde und herumkreist, insofern würde man sich manchmal den warmen weichen Schoß eines großen sicheren Hauses wünschen, gerade in den ersten Tagen unseres Kampfes. Aber dann kam ja die massive Solidarität vom Sender. So toll das ist, selbständig zu sein und in der täglichen Arbeit alles allein entscheiden zu können - im Krisenfall ist es schon ganz beruhigend, beim RBB angedockt zu sein, wo auch mal mächtigere Leute für einen kämpfen und man nicht alles alleine machen muss.
Kommt 2005 von Kobalt Productions Neues neben den drei Magazinen?
Wir müssen ein bisschen mehr machen. So schön es jetzt mit Harald Schmidt ist, es wird „Polylux“ deshalb künftig ja seltener geben. Schmidts Sommerpause ist ja sehr lange, länger als uns lieb ist. Wir sind bereits in guten Gesprächen, den Feature-Bereich auszubauen und an Reportagen zu arbeiten. Wir waren 2004 auch vollständig mit dem Tagesgeschäft ausgefüllt, da war die Zeit für ausführliche Features gar nicht mehr drin und dieser brachliegende Bereich soll in diesem Jahr wiederbelebt werden.
Eigenständige monothematische Dokumentationen und Reportagen?
Ja, für die ARD, arte und das ZDF. Es gibt „ARD exklusiv“, es gibt „37 Grad“ und arte-Reportagen. Wir haben das ja auch alles schon gemacht, nur viel zu selten und ungeplant. Das wird jetzt gezielter verfolgt und ausgebaut.
Die Diskussion rund um „Polylux“ war eine Blüte der Diskussion um Gebührenerhöhung und Einsparmöglichkeiten der Öffentlich-Rechtlichen. Würden Sie das unterschreiben?
Ja, die Fusion ORB / SFB und die Gebührendiskussion, diesen Doppelpack haben ja viele nicht überlebt. „Polylux“ stand bei der Fusion der beiden Anstalten mehrmals mehr als nur auf der Kippe. Und dann kam die Gebührendebatte noch dazu, das spielte sicher eine Rolle.
Wo würden sie denn bei den Öffentlich-Rechtlichen dann sparen, wenn sie müssten?
Um da wirklich gute Ratschläge geben zu können, müsste ich das detaillierte Zahlenmaterial kennen. Als kleinere Einheit können wir aber mit unserer Firma sicher viel flexibler und damit auch kostengünstiger produzieren, als die öffentlich-rechtlichen Dickschiffe. In den Zeitungen war ja viel von überzogenen Rentenzahlungen die Rede, aber ich glaube nicht, das man das rückgängig machen kann
Vom Geschäftlichen zum eher Privaten: Sie haben studiert, auch lange Zeit im Ausland und in England den Abschluss gemacht. Direkt gefragt: Kommt Ihnen die akademische Ausbildung bei „Polylux“ zu Gute?
Ja schon, beim Recherchieren hilft es schon, dass man irgendwann einmal gelernt hat, dass es überall für alles Quellen gibt. Ich habe eben Geschichte und Politik gemacht und das hilft schon.
Das Studium als Vorteil beim Fernsehjob?
Nein, das Fernsehen besteht ja aus Abbrechern. Man gehört ja schon zur Minderheit, wenn man zuende studiert hat. Bei mir hat es wohl auch nur deshalb geklappt, weil ich es in England gemacht habe, wo es einfach schneller ging. Aber wir haben hier bei Kobalt auch schon so viele Studien zerstört (lacht), weil wir den Leuten vorher Angebote gemacht haben.
Also das klassische Studium als falscher Weg zum oft genannten „Traumjob Fernsehen“?
Vielleicht für die alte Garde, wenn man wirklich hoch kommen will und den Chefredakteursposten erreichen will. Da wird dann sicher auf ein Studium geguckt, aber als Reporter oder Redakteur glaube ich nicht. Da sind hochstudierte eher schon zu festgefahren im Kopf und verformt. Die brauchen dann zu lange um sich anzupassen.
Harald Schmidt hat mal zu SAT.1-Zeiten gescherzt, in einigen Jahren wäre er zu alt für seine eigene Zielgruppe. Wie lange kann eine Tita von Hardenberg „Polylux“ moderieren?
Bisher sind wir sehr erfolgreich mit unserer Sendung gealtert. Also ewig kann man es sicher nicht machen, aber ein bisschen schon noch. Man muss ja nicht genau im Alter seiner Zielgruppe sein.
Und wenn man mal gedanklich in eine Zeit nach „Polylux“ springen würde: Wo sehen Sie sich dann am Liebsten?
Politmagazine würde ich auch gerne moderieren oder Reportagemagazine, im Grunde also wie unser jetziges „Absolut“ für arte, nur ist das eben nicht moderiert. Das wäre so ein persönliches Ziel, auch um noch mal auf das Studium zurückzugreifen, bei Themen wie internationaler Politik oder bei gesellschaftlichen Belangen.
Von vor der Kamera vor den Fernseher. Was schaut Tita von Hardenberg privat?
Ich find die Super Nanny bei RTL als Format sehr gelungen. Das ist wirklich mal eine interessante DokuSoap. Sehr spannend fand ich auch „Das Gutshaus“ und die neue Sendung jetzt mit Christian Ulmen. Vielleicht muss man sich von der ultimativen Lieblingssendung verabschieden, weil immer schneller neue Formate kommen, die im Trend liegen und einem auf gefallen. Die dritte Staffel von „24“ verfolge ich auch wieder, die ist wieder irre gut gemacht.
Wie beginnt morgens Ihr Nachrichtentag?
Mein Tag fängt mit zwei Kindern unter drei Jahren momentan sehr hektisch an, aber trotzdem läuft das Frühstücksfernsehen und den „Tagesspiegel“ versuche ich zuhause durchzukriegen. Der ist leicht konsumierbar und gibt einem einen guten lokalen Überblick. Dann gehe ich zunehmend zu Wochenzeitungen über. Früher habe ich im Büro noch „Süddeutsche“ und (Berliner) „Morgenpost“ gehabt, jetzt steige ich gerade um auf „Welt Kompakt“ und „Die Zeit“. Und der „Spiegel“ ist natürlich sowieso abonniert.
Und DWDL gehört auch zum Tagesablauf dazu, hoffentlich. In diesem Sinne herzlichen Dank für das Gespräch.