Also bessert sich die „BILD“, zumindest was das Spektrum ihrer Themen betrifft?
Ich habe den Eindruck, dass sie zum Teil zeigen will, dass sie auch anders kann. Die Zeitung will unter dem jetzigen Chefredakteur Kai Diekmann ihr Image verändern. Und da sage ich: Selbst wenn es der letzte Schurke ist, muss man es anerkennen, wenn er etwas Positives macht. In der Pädagogik nennt man das „positive Verstärkung“.
Sie loben tatsächlich Kai Diekmann?
Er hat mich in gewisser Weise verblüfft. Für mich war ganz erstaunlich, dass er meiner Aufforderung nachkam, aufzuklären, unter welchen Umständen ich damals von „BILD“ mit einer Fangschaltung wahrscheinlich des BND abgehört wurde. Er hat sich seitdem akribisch um Aufklärung bemüht, auch wenn die Untersuchung noch nicht abgeschlossen ist. Allerdings muss man natürlich aufpassen, dass man jetzt nicht sagt: „Die können auch anders“. Von daher die verstärkte Kontrolle wie bei Triebtätern. Es gibt ja auch bei Triebtätern verschiedene Karrieren: Manche sind therapierbar, bei anderen ist es genetisch so tief verwurzelt, dass sie ständig unter Kontrolle bleiben müssen.
Halten Sie die „BILD“-Zeitung denn grundsätzlich für therapierbar?
Ich weiß es nicht. Ich bin jemand, der immer noch meint: Wer lebt, sage niemals nie. Ich war immer der Auffassung, dass sich so ein Blatt durch Aufklärung irgendwann von alleine erübrigt. BILD verliert zwar an Auflage, trotzdem ist sie nach wie vor eine große politisch-publizistische und wirtschaftliche Macht. Es bringt nichts, sie ständig zu dämonisieren, aber man muss ihr zusetzen, damit sie Schlimmstes unterlässt.
Hat die „BILD“-Zeitung heute denn ausreichend Kritiker?
Nein, wen gibt’s denn da noch! Es brauchte mit Judith Holofernes von „Wir sind Helden“ eine Pop-Sängerin, die das Blatt messerscharf analysiert hat. Kein Intellektueller hat das in den letzten Jahren so hingekriegt. Das zeigt, wie die „BILD“ alle vereinnahmt hat. Viele von ihnen halten auch noch auf Reklamewänden ihren Kopf für sie hin und merken gar nicht, wie sie dabei allzu oft ihr Gesicht verlieren.
Für viele scheint es unproblematisch zu sein, mit der „BILD“ zusammenzuarbeiten. Diverse Prominente werben für „BILD“, andere liefern Texte als Kolumnisten oder lassen ihre Bücher vorab auszugsweise in „BILD“ veröffentlichen. Beispielsweise auch die Journalistin Maybrit Illner. Sie hat dazu gesagt: „Bundeskanzler, Bundespräsidenten und Bischöfe haben in ,BILD‘ publiziert und sich dabei wahrscheinlich auch etwas gedacht.“
Das ist gerade in einem Land wie Deutschland eine verheerende Argumentation. Wenn sich alle falsch verhalten, ist das noch kein Argument dafür, dass man etwas richtig macht. Es zeigt nur, wie angepasst man selber ist.
Jeder Haushalt bekommt am Wochenende die Jubiläumsausgabe zugestellt. Holen Sie die „BILD“ am Wochenende dann auch aus dem Briefkasten?
Bei mir steht groß „Keine Werbung“. Ich kann den Briefkasten allerdings schlecht zulöten.
Wer nicht schriftlich widerspricht, bekommt die „BILD“ trotzdem. Begründung: Sie ist ein Presseerzeugnis, keine Werbung.
Aus meiner Sicht ist diese Postwurfaktion eine unheimliche Umweltverschmutzung. Als ob wir noch nicht genug Papiermüll vor unseren Türen hätten.
Auch wenn man sich kritisch mit ihr auseinandersetzt: Tut man der BILD damit nicht eigentlich einen Gefallen? Negativ-Werbung setzt die Zeitung doch längst auch für ihre eigenen Kampagnen ein.
Wahrscheinlich haben Sie recht. Vielleicht sollte man BILD einfach nur ignorieren.
Herr Wallraff, herzlichen Dank für das Gespräch.