Und dieser schlechte Ruf hat Gründe gehabt. Haben Sie mit zeitlichem Abstand einen anderen Blick auf 9Live? Es klingt so als hätten Sie mit dem Kapitel abgeschlossen...
Es ist sicher nicht alles toll gewesen. Es war eine schöne Zeit, aber es ist jetzt gut, dass es jetzt vorbei ist. Du musst den nächsten Schritt gehen und das geht nur ohne 9Live, weil Du parallel zu 9Live nie etwas anderes hättest machen können.
Haben Sie sich bei 9Live als Moderator oder Verkäufer gesehen?
Ich selber habe mich bei 9Live nicht als Moderator im engeren Sinne gesehen. Ein Moderator ist jemand, der Inhalte oder Informationen hat, die er transportiert. Ich war - da rede ich jetzt nur für mich - im positiven Sinne ein Pausenclown, der versucht hat, die Leute ein wenig aus dem Alltag rauszuziehen. Aber mein Job bei 9Live war ein anderer: Ich war da, um Umsatz zu machen. Bums, aus, Micky Maus. Nichts anderes. Du wurdest nicht dafür bezahlt, Spaß zu machen.
Also ein Verkäufer....
Genau, allerdings habe ich mich nie als Losverkäufer gesehen. Ich habe versucht, den Leuten mit Freude klar zu machen, dass sie hier gewinnen können. Natürlich gab es Situationen, in denen gesagt wurde: „Schradin, rede nicht so viel, sondern komm auf das Spiel zurück.“ Wenn ich zu viel geredet habe, dann ist der Umsatz runtergegangen. Also zu viel moderieren, war nicht gut.
Aber noch häufiger hat man als Zuschauer gehört, dass die Sendung ja gleich vorbei sei und dann dauerte es doch noch, sagen wir mal, ein ganz klein bisschen länger...
Wir brauchen da nichts schönreden. Ein klein bisschen länger - es gab Spiele, die sind zehn Stunden gelaufen und das war ein Unding. Man muss doch die Nachhaltigkeit im Blick behalten. Viele Moderatoren und Redakteure waren für Nachhaltigkeit, nur Herr Lückerath, mal ganz im Ernst: 9Live war ein Wirtschaftsunternehmen und wenn man dann ein Spiel hatte, in das die Zuschauer komplett vernarrt waren - die Leute haben angerufen und angerufen, weil sie das Spiel geil fanden - und der Moderator dann sagt „Also Leute, irgendwann muss das jetzt hier mal zuende sein“, dann hat der Moderator nicht gelogen. Die Anruferzahlen sind aber exorbitant hoch und Du machst in der Minute was weiß ich wieviele 10.000 Euro Umsatz, dann kommt kein Geschäftsführer dieser Welt und sagt: „Wir beenden das jetzt. Wir lassen das jetzt bleiben und verzichten erstmal auf 20.000 Euro, 25.000 Euro, 30.000 Euro 50.000 Euro, vielleicht 100.000 Euro, die das Spiel in den nächsten Stunden noch gebracht hätte.“ Und da wird es schwierig. Es gab Geschäftsleute und einige Moderatoren und Redakteure, die sagten: „Geil, der Laden läuft. Wir müssen uns keine Sorgen machen.“ Aber dann gab es auch einige Moderatoren und Redakteure, die nachhaltig gedacht haben. Wenn wir in drei Stunden nur einen Gewinner hatten - wieviele Zuschauer haben dann verloren? Die Frage habe ich mir immer gestellt. Wir haben oft in einer Sendung 20.000 Calls gemacht, also 10.000 Euro Umsatz - wobei da ja immer noch ein bisschen was an andere Beteiligte abgeht. Aber ich habe mich immer gefragt: Wieviele Leute haben jetzt verloren? Wieviele Anrufe gingen daneben, die nur die Ansage gehört haben „Diesmal kein Glück“? Wenn wir so ein langes Spiel kaum ohne Gewinner gespielt haben, hat man am nächsten Tag gemerkt, dass unsere Fans angefressen waren. Da kam irgendwann mal ein Umdenken. Nach hinten raus, in den letzten Jahren, wurde 9Live immer offener, direkter und - naja ehrlicher ist vielleicht das falsche Wort - klarer mit den Ansagen. Da wussten die Zuschauer dann, worauf sie sich einlassen. Das war früher anders. Als 9Live angefangen hat, profitierte der Sender davon, wie Herr Doehler von Call-in-TV auch angemerkt hat, dass der Zuschauer nicht wusste, was ihn erwartet und vielleicht auch in vielen Dingen nicht richtig aufgeklärt wurde. Was 9Live am Ende dann gemacht hat. Da hat der Zuschauer gesehen: Der Redakteur lässt das Ding zuknallen, die entscheiden wie und wann. Aber jeder Zuschauer hatte die gleiche Chance zu gewinnen. Um nochmal auf eine Frage von Ihnen zurückzukommen: Ich persönlich bin froh, dass es vorbei ist. Es war anstrengend und ich habe am Ende auch gemerkt, dass die Kritik in der Öffentlichkeit so stark ist und das ganz Call-in-Geschäft stark verachtet war. Wobei ich da noch sagen will: 9Live war stets bemüht um Aufklärung. Es war alles im Rechtsrahmen, aber natürlich auf Messers Schneide. Es ging ja um Umsatz. Aber viele kleinere Sender, die uns kopiert haben, haben dann Schindluder getrieben und das fiel immer auch auf 9Live zurück.
Wieviel Verantwortung am Programm trug der Moderator?
Du durftest als Moderator schon immer mitentscheiden. Das habe ich auch genutzt. Es war immer eine Sache zwischen Moderator und Redakteur. Das letzte Wort hatte immer der Redakteur. Wenn „Abkleb“-Spiele gespielt wurden, war ich der erste, der gesagt hat: „Wieso macht ihr alle 20 so schwer?“ Das gab es ja.
In der Tat.
Da wurde dann endlos lang nichts gelöst. Aber umso schwerer das Spiel war, desto höherpreisiger konnte man spielen und anpreisen. Man kann natürlich auch niedrigpreisig spielen, dann gewinnen mehr. Das Budget jeder Sendung war genau kalkuliert. Nochmal: 9Live ist ein Wirtschaftsunternehmen.
Genau deswegen ist es absolut nicht nachvollziehbar, dass der Hot Button ein Zufallsmechanismus gewesen sein soll. Kontrolle über die Umsätze hat man dann nicht...
So kann man das nicht sagen. Wir haben auch sehr häufig Blindflüge gestartet, so dass wir nicht kalkulieren konnten, wer was wann richtig löst. Am Wochenende hat beispielsweise „Planet“ 10.000 Euro ausgespielt. Da gab es Sendungen, die haben Verlust gemacht. Da hat 9Live draufgezahlt. Das hat sich die Waage gehalten mit Sendungen, an denen man dann wieder was verdient hat. Deswegen finde ich diese ganze Kritik von wegen Betrug... also ich bin der letzte, der da Kritikern den Mund verbieten will.