Carsten RaveIch kenne Carsten Rave (Foto) seit 15 Jahren. Aus Sicht des unabhängigen Journalisten begleitet er seit Anfang der Neunziger fair und betrachtend vor allem die Medienszene in Deutschland. Wir haben uns verabredet, einmal die Umstände umzudrehen: TV-Manager interviewt Journalist.

Kai Blasberg: 20 Jahre schauen Sie auf unser Irrenhaus. Kann man da selbst normal bleiben?

Carsten Rave: Neunzehneinhalb Jahre. Ich bin in ständiger Behandlung. Meine Katze hält mich aber noch für normal, gelegentlich sogar meine Tochter.

Was hat sich in dieser Zeit im dualen System, dem Wettbewerb zwischen öffentlich rechtlichem und privatem Rundfunk, signifikant verändert?


Wenig. Außer dass viele Private noch öffentlich-rechtlicher geworden sind als früher ARD und ZDF - und in Teilbereichen umgekehrt. Die Umständlichkeit, die von privater Seite früher ARD und ZDF vorgeworfen wurde, hat die kommerziellen Sendersysteme längst selbst ergriffen.
 

 
Ihre Ansprechpartner sind ja oft zwischengeschaltete Personen, Manager, Pressestellen-Mitarbeiter etc. Ist da guter Journalismus noch möglich, wenn man vermuten muss, dass alle versuchen, einen kommunikativen Schaumteppich auszulegen?

Guter Journalismus erfordert kontinuierlich Disziplin, aber Schaum vor Mund ist auf dem fliegenden Teppich Medien hinderlich. Es wird ständig versucht, einem Honig um den Bart zu schmieren, sich und seine Produkte anzupreisen. Besonders schlimm ist natürlich die Dauerheuchelei, wenn schon drittklassige Sternchen, die gerade einmal durchs Bild gehuscht sind oder einmal unfallfrei vom Moderatorenkärtchen abgelesen haben, hochdotierte Preise verliehen werden. Frivol und verlogen ist es, wenn einem eine angebliche Exklusivmeldung untergejubelt wird, die bei einem Anbieter im Netz längst nachzulesen ist.

Welche Personen haben Sie in den letzten 20 Jahren in unserem Geschäft, positiv wie negativ, am meisten beeindruckt?

Die frühen Pioniere des Privat-TV konnten die leere Mattscheibe nach Belieben füllen. Diese Menschen hinterlassen bis heute die größten Spuren in den Strukturen, die sie schufen oder zum Teil noch Bestand haben: Helmut Thoma bei RTL, Georg Kofler bei ProSieben und Premiere im Hintergrund. Kantige, gewitzte Leute. Das gilt auch für die Kreativen auf dem Bildschirm, Rudi Carrell, Frank Elstner, Thomas Gottschalk, Günther Jauch, auch ein Hugo Egon Balder. Sie haben ohne Ängste ihre Sendungen geformt, haben fast 100 Prozent von sich selbst ins Geschäft investiert. Von denen hat keiner - zumindest nach den äußeren Eindruck - geschaut, womit sie welche Zielgruppe bedienen und wie sie an ihrem Ich herumschrauben können, damit die Verkaufe stimmt. Die zweite und dritte Generation der Fernsehmacher nach dem Urknall Privat-TV wiederum repräsentiert die Kehrseite des Gewerbes. Sie fummeln sich - aber wem sage ich das - unter Kostendruck ihre Formate zurecht. Ein hässliches Wort: Formate. Ich benutze das manchmal auch als Karikatur. Das alles kommt von der Stange, billig klar, aber ohne Leidenschaft, ohne Liebe und ohne Lust.

Gibt es, neben dem erwähnten Schaumteppich, direkte Einflussnahme auf die Ergebnisse Ihrer Recherchen?

Komplexes Thema. Die Autorisierung von Zitaten ist für mich eine direkte Einflussnahme. Wer Profi ist und seinen Hintern in der Hose hat, sollte zu seinem Wort stehen und nicht hinterher ein neues Interview aufschreiben, wenn er seine Zitate gegenliest und völlig erschrocken sieht, wie dicht er an der Wahrheit war. Die schönsten Bilder, die nachhaltigsten Argumente, die spitzesten Schärfen verlieren an Klarheit, wenn der Presseagent seinen 20-Prozent-Anteil an der Gage zu rechtfertigen hat und in dem Wort-Konvolut zusätzlich herumschmiert. Der Irrsinn, der in diesem Fall aber nicht auf der Seite der Normalen anzusiedeln ist, nimmt dann einen richtig schönen Verlauf, wenn der Journalist vor oder während des Gesprächs einen Passus zu unterschreiben hat, dass die Zitate schriftlich einzureichen sind. In solch einem Augenblick rutscht Deutschland im Ranking der Pressefreiheit knapp hinter Nordkorea. Ich kann nur sagen: Nichts unterschreiben, das gilt auch oder gerade für freie Kollegen, die vielleicht Angst haben, ihnen könnte dann die Geschichte wegbrechen. Leider ist dies wohl doch häufiger Usus. Interessant wird es bei wichtigen Themen dann, an Informanten heranzutreten mit der Bitte sich zu äußern. Wer es nicht möchte, der sagt: Ich gebe dazu keine Stellungnahme ab. Das ist okay. Manchmal wagt der Informant oder besser noch: sein Sprecher, zu sagen: Ich möchte aber nicht lesen, dass ich keine Stellungnahme dazu abgeben möchte. Dies wiederum ist natürlich eine Einflussnahme, denn um der Wahrheit Genüge zu leisten, muss man natürlich als Journalist darstellen, dass ein wichtiges Unternehmen gefragt wurde, auch wenn es zu einem Thema nichts beitragen möchte. Und dann ist da noch ein Punkt, auch wenn Sie langsam einnicken: Die Drohungen von Heerscharen neuer und mehr als geschäftstüchtiger Advokatengenerationen, die in meinen Augen direkten Einfluss ausüben: Also wer jüngst über den Gesundheitszustand einer ARD-Sportmoderatorin berichten wollte oder über das körperliche Befinden einer ehemaligen RTL-Komikerin, riskierte bereits, mit einem Bein im Gefängnis zu stehen. Ob die Öffentlichkeit - bei allem Schutz der Privatsphäre - kein Recht auf Informationen über das Wohlergehen seiner Stars und die mögliche Rückkehr hat, müsste noch auf höchster richterlicher Ebene geklärt werden. Doch welcher Verlag will noch soviel Geld ausgeben und in letzter Instanz eine Niederlage riskieren?