Frau und Herr Hallaschka, bei RTL+ startet die zweite Staffel Ihrer Doku-Reihe "Sterben für Anfänger". Um im Bild zu bleiben: Haben Sie nach der ersten Staffel Blut geleckt?

Anne-Katrin Hallaschka: Schöner Einstieg, auch wenn ich jetzt wieder an die Obduktion aus Staffel 1 denken muss. (lacht) Aber ja, wir haben nach der ersten Staffel tatsächlich Blut geleckt, weil uns nach den vielen positiven Rückmeldungen, aber auch nach den ganz persönlichen Erfahrungen klar war, dass es rund um den Tod noch viel zu erzählen gibt. 

Steffen Hallaschka: In den bald 30 Jahren, die ich nun Fernsehen mache, ist "Sterben für Anfänger" für mich definitiv die Arbeit, die mich am meisten berührt und beschäftigt hat. Zugleich ist es wahnsinnig erfüllend festzustellen, dass der Beruf, den ich ohnehin liebe, bei vielen Menschen richtig was auslöst. Und dass das Erlebte gleichzeitig bei uns zu Hause am Abendbrottisch zum Gesprächsthema wird, verändert auch die Einstellung zum eigenen Leben. Da war schnell klar, dass wir gerne weitermachen wollen. 

Hatten Sie keine Sorge, sich möglicherweise selbst zu wiederholen?

Steffen Hallaschka: So bewegend die erste Staffel für uns war – irgendwann erobert sich der Alltag wieder seinen Raum zurück, und all die guten Vorsätze, sich vielleicht doch mal um Sterbevorsorge oder den Nachlass zu kümmern, sind mit der Zeit auf der Strecke geblieben. Auch das ist jetzt ein Aspekt dieser zweiten Staffel geworden. Uns war es ganz wichtig, bei dem gesamten Projekt eine authentische Erzählung zu schaffen; dass also wirklich spürbar wird, dass es uns um eine intrinsische Motivation geht. 

Anne-Katrin Hallaschka: Trotzdem waren wir hin- und hergerissen, ob es noch einmal funktioniert. Ich persönlich hatte anfangs die Sorge, dass es wie mit "Rocky 2" ist und man am Ende sagt, dass wir es lieber hätten sein lassen. Aber RTL hat uns darin bestärkt, weiterzumachen. Und es gibt ja tatsächlich eine Reihe von Themen, die wir in der ersten Staffel ausgespart haben, beispielsweise todkranke Kinder. Darüber wird in der Gesellschaft viel zu selten gesprochen. Umso glücklicher bin ich, dass wir uns diesmal herangewagt haben. 

Sterben für Anfänger 2 © RTL Steffen Hallaschka und Olivia Jones unterstützen einen Tatortreiniger bei der Arbeit.

In der ersten Folge der neuen Staffel sagen Sie, dass Sie und Olivia Jones diesmal wahrscheinlich wirklich an Ihre Grenzen kommen werden. Hat sich das bewahrheitet? 

Steffen Hallaschka: Durch die Erfahrungen der ersten Staffel hat das Themenfeld seinen Schrecken und Schockmoment tatsächlich ein Stück weit verloren. Das war für mich eine ganz verblüffende Erfahrung. 

Anne-Katrin Hallaschka: Und trotzdem hat euch der Besuch beim Tatortreiniger direkt an eure Grenzen gebracht. Olivia und Steffen wussten ja nicht, was sie erwartet – auch, weil wir über diese Details im Vorfeld am Küchentisch ganz bewusst nicht sprechen. Und dann standen die beiden also plötzlich in einer dieser Messie-Wohnungen, in der kurz zuvor ein Mensch einsam verstorben ist und ein paar Wochen unbemerkt darin lag. Das war eine heftige Erfahrung, weil sie auf so vielen Ebenen gleichzeitig stattfand. Einmal olfaktorisch, aber auch, weil der Ort Olivia emotional stark belastet hat. 

Steffen Hallaschka: Sie hat der Besuch ein paar Tage regelrecht aus der Bahn gekegelt. Solche Momente vergisst man nicht so leicht. Und trotzdem ist es wertvoll, dass wir diese Tür aufgestoßen haben und darüber sprechen konnten, dass sehr viele Menschen in diesem Land sehr einsam sterben. 

Steffen und Anne-Katrin Hallaschka, Olivia Jones, Thorsten Gieselmann © IMAGO / Horst Galuschka Steffen und Anne-Katrin Hallaschka, Olivia Jones sowie Thorsten Gieselmann (RTL) im September 2023 beim Deutschen Fernsehpreis in Köln.

Gibt es denn Grenzen, die Sie bewusst nicht überschreiten wollten?

Steffen Hallaschka: Tatsächlich gibt es erstmal keine Tabus und Grenzen, weil es ja genau darum geht, das kulturell geschaffene Tabu rund um den Tod endlich zu entkleiden. Das heißt im Umkehrschluss allerdings nicht, dass wir  berechtigte Grenzen der Pietät einreißen. Gerade in der ersten Staffel, als wir die Obduktion begleitet haben, haben wir quasi über jedes einzelne Bild diskutiert. Wie viel wollen wir zumuten? Was zeigen wir, was nicht? Ich glaube, wir haben ein Maß gefunden, das weit über das hinausgeht, das man im Fernsehen von solchen Darstellungen kennt, das aber trotzdem jene Darstellungen ausspart, die dazu geführt hätten, dass unser Format ein TV-Schocker geworden wäre. So war das auch bei dem assistierten Suizid in der Schweiz, von dem wir anfangs gar nicht absehen konnten, dass er vor unserer Kamera stattfindet. Plötzlich war es jedoch der Wunsch der Protagonistin. Damals haben wir Tage und Wochen damit zugebracht, mit dem Sender, der Produktionsfirma, den Jugendschützern und den Medienethikern darüber zu diskutieren, wie tabulos und offen wir das zeigen können. Am Ende haben wir eine gute Lösung gefunden und alles mit der nötigen Sensibilität erzählt, zu der wir uns verpflichtet haben.

Anne-Katrin Hallaschka: Auch in der neuen Staffel brechen wir ganz bewusst Tabus: Wir haben eine Dragqueen, die bei einer islamischen Beisetzung dabei ist. Das ist erstmal nichts, worauf ein muslimischer Bestatter gewartet hat. (lacht) Vor ihm ziehe ich wirklich meinen Hut. Aber auch vor Olivia, die sich auf diese Erfahrung eingelassen hat und vor Ort sehr sensibel mit der Situation umgegangen ist.

Steffen Hallaschka: Das sind diese eher stilleren, leiseren Tabus, die man vor dem Fernseher erst mal gar nicht sofort realisiert.

 

"Man streitet sich leichter mit Menschen, die man nach Feierabend nicht mehr sieht."
Steffen Hallaschka

 

Sie sind seit vielen Jahren miteinander verheiratet. Wann kam der Moment, an dem Ihnen klar wurde, dass Sie dieses Format gemeinsam machen wollen? 

Anne-Katrin Hallaschka: Von Sekunde eins an. Ich hatte die Idee, Steffen und Olivia zusammenzustecken, aber es fehlte noch die entscheidende Themenidee. Auf die hat uns schließlich Olivias Manager Philip Militz gebracht. Und dann haben wir vier uns an die Arbeit gemacht. Dabei hat uns geholfen, dass Steffen und ich uns einst bei der gemeinsamen Arbeit bei radioeins vom RBB kennengelernt hatten, wir also wussten, dass wir gut miteinander arbeiten können, wenn er  vors Publikum tritt und ich im Hintergrund alles plane. Ob es in diesem Fall dann auch tatsächlich funktionieren würde, wussten wir natürlich nicht. Da waren wir schon unsicher. Aber Sie sehen: Wir sind noch immer miteinander verheiratet. (lacht)

Steffen Hallaschka: Ich hatte großen Respekt davor. Es ist natürlich ein Risiko, weil bei einer kreativen Arbeit immer auch Probleme auftauchen können und man sich leichter mit Menschen streitet, die man nach Feierabend nicht mehr sieht. Letztlich war es aber eine schöne Entdeckung, dass wir nach über 15 Jahren beruflicher Pause miteinander auf einmal wieder da weitermachen konnten, wo wir uns mal kennengelernt hatten – und vor allem, dass es uns gelungen ist, bei diesem Projekt eine gemeinsame Handschrift zu entwickeln.

Wieso braucht es dennoch den Faktor Olivia Jones für das Format?

Anne-Katrin Hallaschka: Olivia ist nahbar. Sie ist der Türöffner für alle Menschen, die sich unter normalen Umständen vielleicht nicht auf das Thema Sterben einlassen würden. Bei Steffen als seriösem Moderator erwartet man ja fast, dass er sich solchen Themen widmet. Mit Olivia ist die Hemmschwelle für das Publikum niedriger – auch, weil sie selbst als Drag-Charakter ehrlich und authentisch ist. 

Steffen Hallaschka: Olivia Jones bringt einen tollen Bonus mit, den viele sicher erst mal gar nicht realisieren. Olivia ist nämlich keine Kunstfigur im eigentlichen Sinne, keine Dragfigur wie Lilo Wanders oder Mary & Gordy, die sich irgendeine ausgedachte Biografie zurechtlegen und in jedem Moment darauf aufpassen müssen, diese nicht zu brechen. Olivia erzählt hingegen auch in ihrem Buch und in Talkshows die Coming-out-Geschichte von Oliver. Man hat es also mit einem komplett authentischen Menschen zu tun – mit dem einen Unterschied, dass er in einem Kostüm und in Maske steckt. Aber genau das ist der nächste Bonus für unser Format, weil Olivia ein Stück weit wie der Clown im Zirkus funktioniert. Sie darf immer ein bisschen mehr als ich das dürfte und kann selbst während einer Verstorbenenversorgung beim Bestatter einen anzüglichen Witz machen, der im selben Moment aber gar nicht pietätlos wirkt. Olivia darf eben diesen einen Schritt weitergehen; weil man es sogar fast von diesem Charakter erwartet. Sie fängt den Witz durch die Authentizität ihrer Rolle auch gleich wieder ein, indem sie erklärt, dass sie solche Situationen einfach mit Humor kontern muss. 

Abschließend noch eine Frage zu "Stern TV", das Sie seit 14 Jahren moderieren. Klaas Heufer-Umlauf will Ihnen demnächst mit einem Verbrauchermagazin Konkurrenz machen und sagte wörtlich, die Kollegen von "Stern TV" könnten sich "schon mal als gefickt betrachten". Zittern Sie schon vor der neuen Konkurrenz? 

Steffen Hallaschka: Ich schätze Klaas sehr und habe das Kompliment verstanden. Am vorigen Freitag feierte "Stern TV" seinen 35. Geburtstag. In all den Jahren haben wir schon viele Leichen den Fluss hinabtreiben sehen. Klaas kann bei Gelegenheit gerne mal schöne Grüße an „Zervakis und Opdenhövel“ ausrichten. Ich glaub, das war der gleiche Sender. (lacht) 

Vielen Dank für das Gespräch.

"Sterben für Anfänger 2", ab sofort auf RTL+. Bei Vox sind am Mittwoch um 22:10 Uhr die ersten drei Folgen der ersten Staffel zu sehen.