Frau Schafarczyk, 1Live feiert in diesen Tagen seinen 30. Geburtstag. Wie groß ist denn die Partystimmung angesichts der sich immer stärker aufdröselnden Mediennutzung bei jungen Menschen?

1Live steht wirklich gut da. Glücklicherweise ist 1Live schon längst nicht mehr nur Radio, sondern eine Medienmarke, die auf allen Kanälen präsent ist. Und zwar nicht nur mit einer Verlängerung des Radios – das wäre ja ein Gedanke aus den 00er-Jahren –, sondern mit eigenständigen Inhalten und Zielen. Davon abgesehen teile ich den Abgesang auf das Radio bei jungen Zielgruppen ohnehin nicht. 

Gleichwohl ist auch das 1Live-Publikum über die Jahre älter geworden.

Viele der Hörerinnen und Hörer sind älter geworden, aber das bedeutet eben nicht zwangsläufig, dass sie ihren Lieblingssender plötzlich abschalten. Insofern ist es ganz normal, dass auch 1Live auf der Zeitachse des Durchschnittsalters etwas älter geworden ist. Wir erreichen bei den 20- bis 29-Jährigen immer noch fast 25 Prozent. Bei den 14- bis 19-Jährigen sind wir im Digitalen stark, beim Radio aber tatsächlich mehr gefordert, um sie anzusprechen. Man darf das Radio im Medienmix also nicht vernachlässigen. Man sollte allerdings auch nicht denken, dass Radio allein heutzutage genug ist.

Wie stellen Sie sich den perfekten Medienmix denn vor?

Unsere Kolleginnen und Kollegen, die sich um das lineare Programm und die digitalen Angebote kümmern, arbeiten Hand in Hand und sind hier wie dort bestrebt, neue Impulse zu setzen. Denken Sie nur an "1Live Ikonen", unseren Podcast, in dem wir die Geschichte deutscher Musikstars erzählen. Oder "Tahsims Interview-Format", das wir im vergangenen Jahr bei TikTok gestartet haben. Wir wollen 1Live als Digitalmarke ausbauen und zugleich das lineare Radio stark halten.

Dass es nicht die eine junge Zielgruppe gibt, dürfte eine zusätzliche Herausforderung sein, oder?

Wir haben es tatsächlich mit einer sehr diversen Zielgruppe zu tun. Unsere Aufgabenstellung hat sich allerdings nicht verändert: Es geht immer darum, das Lebensgefühl der jungen Generation zu treffen – mit emotionaler Nähe und als Teil einer Community. Und es geht darum, die jungen Menschen zu begleiten und ihnen Orientierung zu bieten bei den Dingen, die sie bewegen. Unser Vorteil beim Radio ist, dass es live ist. Es ist deshalb ganz sicher eines der Erfolgsgeheimnisse, dass Menschen bei 1Live merken: Sie verpassen etwas, wenn sie nicht dabei sind. Das ist gerade im Vergleich zu Streamingdiensten ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal.

Welche Rolle spielt das gesprochene Wort? 

Wortbeiträge sind immens wichtig, sie sind ein Alleinstellungsmerkmal, und wir wollen den Menschen ja nicht nur Eskapismus bieten. Die Musik kann sich inzwischen jede und jeder auch auf anderen Wegen holen. Im März hatte 1Live beispielsweise einen Schwerpunkt zum Thema Armut. Das hat mich sehr berührt, weil das Team den Fokus sehr darauf gelegt hatte einen optimistischen Blickwinkel einzunehmen, um lösungsorientiert zu zeigen, wie man aus einer schwierigen Situation wieder herauskommen kann. Da kommt es aufs Zuhören und die richtige Ansprache an. Auch das macht in meinen Augen ein junges öffentlich-rechtliches Angebot aus.

 

"Gerade junge Menschen sind äußerst ungnädig, wenn sie etwas nicht inspiriert oder weiterbringt." 

 

Früher war Jürgen Domian der Mann, der den Hörerinnen und Hörern von 1Live tief in der Nacht zugehört hat. Wann hören Sie Ihrem Publikum heute zu?

Ständig! Unsere Moderatorinnen und Moderatoren stehen immer mit dem Publikum in Kontakt, greifen Themen und Meinungen auf, holen sie auf den Sender. Aber auch unser Community-Management in Social Media ist darum bemüht, wirklich erreichbar und nahbar zu sein. Es mag vielleicht kein ausschließliches Call In-Format wie "Domian" mehr geben, aber 1Live hört trotzdem nach wie vor zu, wie es den jungen Menschen im Sektor geht. Nachdem Corona vorbei war, haben wir unsere Live-Events wieder sehr stark angezogen, weil wir davon überzeugt sind, dass der echte Kontakt mit Menschen wieder verstärkt gesucht wird. So wie vor einigen Tagen, als wir im Rahmen unserer Aktion "The Box" kurzfristig ein Festival auf dem Bonner Opernplatz organisiert haben, zu dem dann an einem normalen Morgen unter der Woche spontan rund 100 Menschen gekommen sind – inklusive einer DJane. Es gibt offensichtlich ein großes Bedürfnis, sich wieder vor Ort zu treffen und mit echten Menschen in einen echten Kontakt zu treten. 

Was braucht es, um sich mit Aktionen wie diesen vom Korsett des Formatradios zu lösen? 

Es braucht sicher Mut und auch Kreativität. Der Vorteil ist, dass sich junge Menschen erstmal grundsätzlich für alles interessieren. Wir können daher auch alles machen – entscheidend ist aber das Wie, um sie wirklich zu erreichen. Wichtig ist, groß zu denken, Themen gegen den Strich zu bürsten, den Standard zu verlassen, die Reizthemen aufzugreifen und vor allem herauszustechen. Alles, was wir tun, muss einen Mehrwert bieten, weil wir ja alle wenig Zeit haben und gerade junge Menschen äußerst ungnädig sind, wenn sie etwas nicht inspiriert oder weiterbringt. 

Sie waren, bevor sie zwischenzeitlich zu Radio Bremen gewechselt sind, schon einmal Musik- und Wortchefin bei 1Live. Wie hat sich dieses Wie, das Sie gerade ansprachen, im Vergleich zu damals verändert? 

Themen wie Mental Health, Leistung, aber auch die Unsicherheit in der Welt haben deutlich zugenommen, während Freunde, Partnerschaft und Familie damals wie heute von großer Bedeutung sind. Mit Hilfe einer datenbasierten Analyse hat die Redaktion das 1Live-Programm systematisch ausgewertet und auf der Basis Themen identifiziert, die 1Live zukünftig stärker in den Blick nehmen wird. Die Form, wie wir darüber in unseren Angeboten sprechen, hat sich aber verändert. Früher haben wir deutlich mehr mit Rubriken gearbeitet, um Themen aufscheinen zu lassen. Aktuell ist die Form, auch wenn man Podcasts betrachtet, wesentlich dialogischer. Aus diesem Grund haben wir zu Jahresbeginn auch unsere Nachrichten, die "1Live Infos", überarbeitet. Uns war wichtig, jungen Menschen die Nachrichten so zu präsentieren, dass sie für sie verständlicher sind. Da sind wir auf die dialogischere Form gekommen, die sich zugleich organischer in das Programm einfügt. 

Wie soll sich 1Live in naher Zukunft verändern?

Wir werden zum Geburtstag noch einmal einen leichten Relaunch vornehmen, der diesem dialogischen Gedanken folgt. Alle Themen bleiben erhalten, nur in einer anderen Form, wir werden dieses Rubrizierte loslassen. Stattdessen betrachten wir unser Programm wie einen 24-Stunden-Stream, der durchläuft und regelmäßig neue Impulse setzt, um die Aufmerksamkeit der Menschen zu gewinnen. 

Frau Schafarczyk, vielen Dank für das Gespräch.

"1Live macht Stars - Die Story", ab dem 21. Mai in der ARD-Mediathek