Herr Zamperoni, erinnern Sie sich an die erste Moderation, die Sie geschrieben haben?
Sehr gut sogar! Das war zu Beginn der Nullerjahre, als der NDR regelmäßig im Nachtprogramm mehrere Dokus zu einem Thema hintereinander gesendet hat. Zu diesem Zeitpunkt habe ich im NDR-Volontariat eine Station in der Auslandsredaktion gemacht und durfte die Filme der "großen Australien-Nacht" moderativ miteinander verbinden. Das erinnerte eher an das Aufgabenprofil eines Fernsehprogramm-Ansagers, war aber tatsächlich meine erste Moderation.
Haben Sie damals eine gewisse Aufregung verspürt?
Für mich war das absolut aufregend, weil ich als junger Fernsehjournalist plötzlich vor der Kamera stand. Dass es irgendwann nachts um drei Uhr gesendet wurde, war mir da ziemlich egal. Trotzdem hoffe ich heute, dass die Sendung auf ewig im Giftschrank des NDR liegen bleibt, weil ich mich auch noch sehr gut an die Klamotten in XXL-Übergröße erinnern kann, die ich damals trug. (lacht)
Beim wem haben Sie die ersten Moderationsschritte gelernt?
Juliane Eisenführ war damals Redakteurin in besagter Auslandsreaktion und hat ein Auge darauf gehabt, was ich so geschrieben habe. Geholfen haben im Volontariat allerdings auch einige Seminare – wie etwa "Texten fürs Fernsehen" –, in dem ich viele handwerkliche Sachen mit auf den Weg bekommen habe, etwa das Vermeiden von Passivkonstruktion oder auch das Bauen einer Rampe und das Erzählen kleiner Geschichten in 40 oder 50 Sekunden. Dazu kam der Spaß am Ausprobieren. Die richtige Moderationsschule für mich war dann die regelmäßige Moderation von "Hallo Niedersachsen" im Jahr 2006. Da musste ich sieben Tage am Stück jeden Tag eine halbstündige Sendung moderieren. Da merkt man dann schnell, welche Moderationen funktionieren und welche nicht.
In tagesaktuellen Sendungen wie den "Tagesthemen" kommt sicherlich auch der Zeitdruck hinzu, oder?
Natürlich, ständig. Wir hatten vor wenigen Tagen zum Beispiel erst gegen 20:30 Uhr die Zusage für ein Gespräch mit SPD-Chef Lars Klingbeil über die Koalitionsgespräche. So kurz vor der Sendung entsteht natürlich ein gewisser Zeitdruck, an dem bis zur letzten Sekunde an Moderationen und Fragen geschraubt wird. Aber in einer Sendung wie den "Tagesthemen" ist ja nie etwas wirklich in Stein gemeißelt. Der Zeitdruck, den Sie ansprachen, ist in gewisser Weise auch ein Erfahrungswert. Je länger man diesen Job macht, desto mehr kann man aus einem gewissen Erfahrungsschatz schürfen. Es hat vielleicht auch mit meiner persönlichen Veranlagung zu tun, dass ich in hektischen Momenten dazu neige, ruhiger zu werden.
Gibt es Regeln, die Sie sich beim Formulieren Ihrer Moderation auferlegt haben?
Die wichtigste Aufgabe ist es, Interesse zu wecken. Als Moderator ist man immer auch eine Art Verkäufer. Es geht darum, den Zuschauerinnen und Zuschauern zu erklären, warum sie die nächsten drei Minuten ihrer kostbaren Lebenszeit für einen Beitrag verwenden sollten, wenn sie zur gleichen Zeit ja auch lesen, Tee trinken oder schlafen gehen könnten. Die zweite wichtige Aufgabe ist es, eine Rampe zu bauen, um ihnen die Voraussetzungsinfos mit auf den Weg zu geben, die es braucht, um den folgenden Beitrag einordnen und verstehen zu können. Grundsätzlich geht es darum, nie zu viel vorauszusetzen, gleichzeitig aber nicht herablassend zu sein – immer auf Augenhöhe. Einen Trick hat uns der Autor Gregor Alexander Heussen einmal in seinem Seminar verraten: Damals hat er uns Moderationen schreiben lassen und uns grundsätzlich den letzten Satz weggenommen. Das funktioniert tatsächlich erstaunlich oft ziemlich gut. (lacht)
Bei so viel genauer Planung: Wie viel Spontanität ist bei den "Tagesthemen" eigentlich möglich?
Auch bei einer formatierten Sendung wie den "Tagesthemen" ist Spontanität möglich – etwa als Reaktion auf einen Korrespondenten oder den Wetterbericht, vor allem aber bei Interviews, in denen etwas Überraschendes gesagt wird. Da kommt es natürlich darauf an, gut zuzuhören, um den entscheidenden Satz nicht zu verpassen. Ich selbst halte mich außerdem nicht sklavisch an die vorgeschriebenen Moderationen auf dem Prompter, sondern moduliere die Sätze manchmal sehr kurzfristig noch um. Im Idealfall sollte es ohnehin so geschrieben und formuliert sein, dass auch eine Moderation vom Prompter wie die eigene „Sprechsprache“ klingt.
"Wir reden übers Fernsehen – und da sind Stimme und Ausstrahlung nun mal entscheidend."
Wie üben Sie Ihre Moderationen?
Ich arbeite an einem Schreibtisch, den man nach oben fahren kann, sodass ich, ähnlich wie im Studio, stehen kann, wenn ich die Moderationen übe. Ich spreche sie laut, weil es erfahrungsgemäß nichts bringt, einfach nur in Gedanken drüber zu lesen. Aber selbst dann, wenn ich zufrieden bin, passe ich die Moderationen fast immer noch einmal im Studio bei der Durchlaufprobe an, weil ich da schlicht eine andere Spannung als zuvor im Büro habe.
Sie sind seit drei Jahren Honorarprofessor an der Hochschule der Medien in Stuttgart und zugleich Pate des Stuttgarter Moderationspreises, der im Juni wieder verliehen wird. Worauf achten Sie bei den eingereichten Moderationen?
Es geht darum, das Publikum immer wieder zu überraschen, um die Aufmerksamkeit des Publikums zu gewinnen. Wir hatten in den "Tagesthemen" beispielsweise mal einen Beitrag über eine Ausstellung zum Thema Warten. Also haben Susanne Daubner und ich im Studio einfach schweigend gewartet. Das kann man natürlich nicht immer machen, weil es sonst zum Gimmick verkommt, aber in besonderen Situationen bietet es sich an, aus der Reihe zu tanzen. Wichtig ist auch die Ansprache, denn machen wir uns nichts vor: Wir reden übers Fernsehen – und da sind Stimme und Ausstrahlung nun mal entscheidend.
Haben Sie eigentlich jemanden vor Augen, für den Sie moderieren, wenn Sie vor der Kamera stehen?
In den Anfängen wurde mir der Tipp gegeben, ich solle mir nicht irgendwelche Millionen Menschen vorstellen, sondern eine bestimmte Person, zu der man spricht. Ich habe dann sehr lange meine Omi vor Augen gehabt, aber irgendwie hat mich das zu sehr verwirrt, weil ich mich während des Sprechens immer gefragt habe, wie sie wohl die Moderation findet. Deshalb habe ich mir das irgendwann abgewöhnt und spreche seither einfach so in dieses schwarze Viereck der Kamera hinein.
Herr Zamperoni, vielen Dank für das Gespräch.
Ingo Zamperoni ist seit Oktober 2016 Moderator der "Tagesthemen" im Ersten. Seit drei Jahren fungiert er als Dozent am Institut für Moderation (imo) und nun auch Honorarprofessor an der Hochschule der Medien (HdM) Stuttgart, die jährlich den Stuttgarter Moderationspreis verleiht. Bewerbungen hierfür sind noch bis Ende März möglich.
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