Herr Heidemanns, vor fünf Jahren blieb die Welt stehen, die Corona-Pandemie hatte auch Auswirkungen auf das Fernsehen. Wie erinnern Sie sich an jene Tage im März 2020, die viel veränderten?
Ich kann mich gut erinnern, wie es vor fünf Jahren an einem Mittwoch hieß: Ab nächster Woche keine Zuschauer mehr im Publikum. Das hieß komplettes Umdenken. In der Regie hingen als Sicherheitsvorkehrungen zwei Jahre lang große Hygiene-Vorhänge, Kunststoff-Abtrennungen zwischen den einzelnen Arbeitsplätzen. Wir standen im Studio, haben den Mindestabstand abgemessen, um zu klären, wie viele Gäste auf dem Podium sitzen können. Es war Platz für genau drei Talk-Gäste. Wenn wir mehr Gäste haben wollten, war klar – wir müssen schalten. Der erste Gast, den wir geschaltet haben, war Tim Mälzer. Der saß nur 2 Kilometer entfernt in seinem Restaurant, der „Bullerei“, und hätte natürlich ins Studio kommen können, aber ein vierter Gast im Studio war verboten, passte nicht mehr ins Sicherheitskonzept. Es wurde eine sehr intensive Sendung, zum ersten Mal ohne Publikum im Studio.
Das nie wieder zurückgekommen ist…
Genau. Ich bin nach dieser ersten Sendung ins Studio runter und habe zu Markus gesagt: „Wir sollten eigentlich nie wieder Publikum haben.“ So etwas Intensives, so etwas Dichtes bei einem politischen Talk kriegst du nur hin, wenn du kein Publikum hast. Für Markus war das erst ganz ungewohnt. Er war sich nicht sicher. Nach dem zweiten Tag hat Markus gesagt: „Du hast völlig recht.“ Und wir konnten auch das ZDF vom neuen Konzept ohne Publikum im Studio überzeugen. Das unterscheidet uns auch von anderen politischen Talkshows in ZDF und ARD. Der Politiker, der Journalist und auch der Experte, der Wissenschaftler hat keine Chance auf populistische Plattitüden zu setzen, um Applaus aus dem Publikum zu bekommen oder einen Lacher, um wieder neu ansetzen zu können. Hardtalk pur: Es gibt keine Chance zur Unterbrechung, das sorgt für eine intensive Talk-Dichte - irgendwo zwischen Grillen und Kammerspiel.
Publikum in Polittalkshows ist zuletzt selbst zum Politikum geworden. Wie sehen Sie die Debatte?
Das hat mich schon überrascht. Die Fragestellung ist ja schon absurd: Was genau ist denn ein ausgeglichenes Publikum? Woran soll man sich orientieren, wie will man das gewährleisten? Wir machen mit den Fernsehmachern ja auch Ticketing für andere Sendungen und wissen, wie schwer das ist. Damals als wir noch Publikum hatten, haben Politiker manchmal versucht, eigene Mitarbeiter ins Studio zu bekommen oder die eigenen Jugendorganisationen in Hamburg angeschrieben, ob die nicht zwei, drei Leute platzieren können. Damit an den Stellen, die den Politikern wichtig sind, Applaus sicher ist. Wir fühlen uns sehr wohl ohne Publikum, Geklatsche und Gelächter.
Anfang 2021, mitten in der Corona-Pandemie, haben Sie meiner Kollegin Senta Krasser gesagt, „Markus Lanz“ sei nach wie vor hauptsächlich Unterhaltung. Jetzt sprechen Sie selbst von politischer Talkshow…
Rückblickend sind wir seit Corona nicht mehr Unterhaltung. Aber es ist uns auch immer ein Anliegen, in den Gesprächen auch ein Schmunzeln oder Lachen zu erzeugen. Es wird so hart gekämpft und gerungen, da braucht es mal ein Durchatmen. Wenn Lauterbach zu Gast ist, er Friedrich Merz lobt und verteidigt, Markus ihn dann fragt, ob er hier Moderator von Schönreden TV werden möchte, dann sorgt das auch mal für ein Grinsen. Harter Politik-Talk kann auch unterhaltsam sein.
Wenn wir das Format „Markus Lanz“ 2019 mit heute vergleichen: Wie würden sie die Entwicklung des Formats beschreiben?
Wir waren vorher eine Sendung mit fünf bis sechs Gästen, immer auch mal ein Politiker, ein Künstler mit neuen Projekten und Menschen mit persönlichen Lebensgeschichten. Das war früher unser Konzept. Zu Corona-Zeiten war es dann den Vorgaben geschuldet, dass wir nur drei Gäste mit genügend Abstand im Studio hatten.
Und sind danach nur selten wieder davon abgewichen…
Die klassische Ausrichtung jetzt ist ein Politiker, der auf dem ersten Stuhl sitzt - den manche den Grill oder Grillstuhl nennen. Dazu kommt ein oder zwei politische Beobachter oder/und ein/zwei Experten aus der Wissenschaft oder Praxis. Meistens vier Gäste – manchmal mit zusätzlicher Schalte, häufig zu ZDF-Korrespondenten. Das ist letztendlich unser Baukasten, mit dem wir aus der Corona-Pandemie herausgekommen sind. Das variiert gerade rund um eine Wahl natürlich, wenn man auch mal zwei Politiker haben will. Aber in der Regel ist es ein Politiker - und aus diesem Gespräch hat Markus ja seine eigene besondere Kunstform gemacht.
Was hat die Corona-Pandemie sonst noch verändert in Ihrer Sendung?
Wir haben in der Pandemie angefangen, Gäste auf der großen Leinwand zuzuschalten. Ich war aber mein ganzes Leben großer Larry-King-Fan, der von Schalten, teilweise Telefon-Schalten gelebt hat, weil er die Leute sonst nicht bekommen hätte. Ein Vorteil: Wir können jetzt auch das großartige Korrespondentennetz des ZDF für uns nutzen. Aber wir haben zwei wichtige Regeln.
Welche?
Wir gehen mit der Schalte nie ins Vollbild und auch nicht den sogenannten Schmetterling - also beide Gäste in Großaufnahme nebeneinander. Wir wollten, dass der Zuschauer zu Hause auch das Gefühl hat, Teil der Sendung zu sein und immer verbunden ist mit der Gesprächsrunde bei uns in Hamburg. Das ist die eine Sache.
Und was ist die zweite Regel?
Also wir versuchen es zu vermeiden, Politiker zu schalten, weil dann genau das fehlt, was Sie beschrieben haben: Die körperliche Nähe, die Markus für seine sehr intensiven Gespräche braucht.
Die Sendung erlebte in der Corona-Pandemie großen Zuspruch. Wann wurde Ihnen bewusst, dass gerade auch durch den Wandel von Unterhaltung zu Polittalk eine ganz andere Verantwortung auf dem liegt, was Sie tun?
Wir haben mit den Zuschauern gemeinsam einen Lernprozess durchlaufen. Wir hatten oft auch keine Antworten und wollten uns die neuen, unbekannten Entwicklungen erklären lassen. Wir sind als Volkshochschulkurs Corona gestartet - und hatten zum Ende der Pandemie hin gemeinsam mit unserem Publikum quasi ein Studium abgeschlossen. Und heute in der Aufarbeitung von Corona bin ich ganz zufrieden damit, dass wir damals schon viele diverse Stimmen zur Pandemie zugelassen haben. Keine Verschwörungstheoretiker, aber wir haben viele kritische Stimmen zum Corona-Kurs zu Wort kommen lassen.
Hat sich das Verhältnis zum ZDF geändert, wenn aus einer Unterhaltungsshow ein Polittalk wird, dessen Besetzung bei so intensiv beobachteten Themen ja für Kontroversen gesorgt hat?
Als politische Talkshow steht man natürlich unter anderer Beobachtung und unterliegt auch den Regularien und Vorgaben, die ein öffentlich-rechtlicher Sender an Politik-Sendungen hat. Wir müssen schon gucken, dass wir nach den Größen der Fraktionen im Bundestag auch die Politiker bei uns in der Sendung stattfinden lassen. Wobei das beim Blick aufs Gesamtjahr gilt, nicht für jede einzelne Sendung.
Letzte Frage: Vor vier Jahren haben Sie meiner Kollegin Senta Krasser gesagt, Donald Trump wäre ein reizvoller Gast. Gilt das nach wie vor?
Wenn man ihn kriegen würde, natürlich. Die Frage ist, ob da viel bei rumkommen würde, aber interessant wäre es schon. Stellen Sie sich vor, Markus würde links sitzen, Donald Trump in der Mitte und JD Vance rechts. Und Selenskyi wird zugeschaltet. Das wäre meine Traumkombi. Da würde ich sehr viel für geben.
Herr Heidemanns, herzlichen Dank für das Gespräch.
DWDL-Schwerpunkt zu 5 Jahren Corona