Anna Kunz © Anna Kunz Anna Kunz
Anna Kunz, wie genau schminkt man Erschöpfung?

Das ist eine sehr schöne Frage. Beim Character-Design geht es um das Gesamtbild, also um den Menschen an sich, was er innerlich und äußerlich mitbringt. Bei Ben…

Ein drogenabhängiger, aber hingebungsvoller Arzt der Notaufnahme KRANK.

… sieht man das am unordentlichen Haar, der verschwitzten Haut, den eingefallenen Wangen und Augen. Das wirkt sehr vernachlässigt, während sich die Pflegerin Jenny äußerlich große Mühe gibt, ihre Erschöpfung zu verbergen; sie hat zum Beispiel künstliche Wimpern und Gel-Fingernägel. Ihre neue Chefin Zanna Parker zwirbelt gern ihre Stirnlocken nach hinten, wenn sie sehr gestresst ist. So zeigen alle Figuren kleinere Anzeichen der Überlastung im Hair und Makeup-Design.

Und wie genau entsteht beides nun in der Maske, wie macht man dort unordentliches Haar, verschwitzte Haut, Augenringe?

Zum Beispiel mit speziellen Farbpaletten, aus denen wir Äderchen oder Augenringe kreieren, passend zum Hauttyp und Zustand der Erschöpfung. Auch Glanzprodukte und feine Wassernebel spielen eine wichtige Rolle, um dem Schweiß herzustellen.

Hatten Sie und Ihr Makeup-Team dabei je mehr Figuren, die auf Erschöpfung, Verletzung, Überlastung geschminkt werden mussten?

Mit bis zu 15 Schauspielern und durchschnittlich 30 Komparsen gab es tatsächlich viele Figuren, die pro Tag von uns in dieser Hinsicht behandelt werden durften. Um all ihren Geschichten Leben einzuhauchen, war also viel zu tun für mich und meine acht wunderbaren Kolleginnen. Dahingehend war es eines der aufwendigsten Sets, für das ich verantwortlich sein durfte, und ich finde, wir haben alle Herausforderungen mit großer Freude gemeistert.

Ist es herausfordernder, reale Zombies wie Ben zu schminken, oder surreale wie die Untoten in „The Walking Dead“, wofür Sie ja auch schon zuständig waren?

Weil man sehr präzise arbeiten und die feine Linie zwischen Glaubhaftigkeit und Überhöhung finden muss, finde ich Erschöpfung tatsächlich manchmal fast schwerer zu schminken als Monster. Auf dieser Linie kann fiktional einerseits ein wenig überhöht werden, man darf aber die Nahbarkeit und Authentizität der Figur nie aus den Augen verlieren.

Sind das rein handwerklich ähnliche Herausforderungen wie in einer Horrorserie?

Die Herausforderungen sind nicht identisch, aber es gibt Überschneidungen. Beim Character-Design überlegt man sich grundsätzlich äußere Merkmale, die das Leben der Figur widerspiegeln: Piercings, Haarfarbe, Frisur, Tattoos, all sowas. Hinzukommen aber auch hier Spezialeffekte, die buchstäblich unter die Haut gehen, wo es aber Abstufungen gibt: eingefallene oder zerfledderte Wangen, kleine Kopfverletzungen oder offene Schädeldecken – das Spektrum ist groß. Aber auch, wenn sich die handwerklichen Herausforderungen überschneiden, wirken sie in "Krank Berlin" wahrscheinlich nicht so martialisch wie bei einer Horrorserie.

Weil sich bei einer OP im Krankenhaus niemand gruseln soll?

Im Zusammenspiel mit Kamera und Licht haben wir versucht, die Erzählung mit unserer Arbeit so zu unterstützen, dass es realistisch bleibt. Das zu suggerieren erfordert handwerkliche und technische Lösungen, für die wir bei "Krank Berlin" ab Folge 2 mit dem Spezialeffekt Studio "Twilight Creations" gearbeitet haben. Wichtig waren außerdem unsere medizinischen Berater wie Dr. Leon Bergfeld, mit dem wir uns detailliert über Wunden, Operationen und Krankheiten austauschen konnten. Was wir dabei alles gelernt haben, war absolut bereichernd!

Anna Kunz © Anna Kunz Bei der Arbeit: Anna Kunz (rechts) schminkt Slavko Popadic am Set von "Krank Berlin"

Haben Sie dann Ordner, in denen die Erkenntnisse fürs nächste Projekt landen?

Also der wichtigste Ordner ist mein Kopf, denn jedes Projekt ist anders. Aber natürlich wurde vor Ort alles so dokumentiert und digitalisiert, dass alle im Team ständig Zugriff auf alle Erfordernisse hatten.

Besonders erforderlich im Emergency Room sind ohne Frage Unmengen von Kunstblut. Ist das eher interessant oder nervig?

Ich fand’s spannend, weil wir im Austausch mit den anderen Departments in der Vorbereitung viel beachten mussten. Das Blut musste auswaschbar sein, flüssig genug, um durch Schläuche zu fließen und unbedingt die richtige Farbe haben, damit es nach dem Grading am Bildschirm nicht pink oder orange aussieht. Da war der Austausch mit allen Gewerken wahnsinnig schön und lehrreich.

Anderes aktuell wichtiges Thema und zugleich eines Ihrer Spezialgebiete: Müssen Maskenbildnerinnen heutzutage öfter echte Tattoos covern oder falsche aufmalen?

Letzteres kommt öfter vor, zumindest bei mir. Für mich ist wichtig, dass man auch on screen sieht, wie divers die Gesellschaft heutzutage ist, und da spielen auch Tattoos wichtige Rollen. Grundsätzlich dürfen mittlerweile häufiger Tätowierungen zu sehen sein als früher. Die meisten Schauspieler haben keine und falls doch, passen sie leider oft nicht zum Rollenprofil, weshalb wir sie dann abdecken müssen.

Sind jüngere Newcomer häufiger tätowiert als arrivierte Schauspieler?

Das kann man sagen, ja.

Letztere sind bei "Krank Berlin" eher die Ausnahme. Gibt es, falls es die je gab, noch richtige Diven vorm Spiegel mit ausgefallenen Extrawünschen?

Unsere Darsteller haben wie wir alle Bedürfnisse. Deshalb finde ich den Begriff Diva schwierig, weil er Menschen, die echt knallharte Jobs machen, auf einen Habitus reduziert. Ben hat Slavko Popadić ebenso alles abverlangt wie Zannas Kampf gegen den Rest das KRANK-Systems Haley Louise Jones. Da ist es für uns als Team und Maskenbildnerinnen auch Aufgabe, ein Umfeld zu schaffen, in dem alle sich wohlfühlen und abschalten können – da variieren nun mal die Bedürfnisse.

Und das offenbar nicht nach Berühmtheit?

Ich mache eher die Erfahrung, dass A-Promis nicht unbedingt höheren Ansprüche haben als D-Promis, sondern ihre Ansprüche allenfalls klarer kommunizieren.

Gehen Sie mit A- und D-Promis genau gleich um oder erstarrt man vor Ehrfurcht, wenn plötzlich ein Hollywood-Star vorm Spiegel sitzt?

Ich nicht, nein. Alle Stars sollen von mir und meinem Team kriegen, was sie und ihre Rollen brauchen, um das Projekt zum Leben zu erwecken. Das muss im Geld- und Zeitrahmen des Produktionsbudgets liegen, aber man findet immer gemeinsam einen Weg.

Gehen Sie dafür immer mit demselben Besteck zu Werke, haben also stets den gleichen Schminkkoffer dabei, oder wächst der mit dem Projekt?

Der Schminkkoffer variiert tatsächlich nach Produktionsgröße und -inhalt, da hat "Krank Berlin" schon den Rahmen gesprengt. Um – neben den Wunden – die Breite der Gesellschaft in einer Notaufnahme von der drogenabhängigen Bettlerin bis hin zur Dragqueen abzubilden, hatte ich fast alles mit und ich brauchte für die drei Paletten Equipment einen Lkw (lacht).

Ein Aufwand, der sich rechnen muss. Gibt es so etwas wie eine Hierarchie der Gewerke im Sinne von Kamera und Regie oben, Maske und Licht unten?

Es gibt Hierarchien, die von Projekt zu Projekt variieren, und ein Teil davon ist auch sinnvoll. Regie und Kamera haben am Ende ja eher das Gesamtbild im Auge, während sich die anderen Gewerke auf ihren Bereich konzentrieren. Bei "Krank Berlin" haben Alex Schaad und Fabian Möhrke gemeinsam mit dem Kameramann und der Kamerafrau, Szenenbild, Kostüm, Licht und Maske eine Welt kreiert, in der alles zusammenpasst.

Und überflüssig ist ohnehin kein Department…

Absolut.

Hat sich dieses Denken mit der Zeit gewandelt?

Für mein Gewerk, das oft von Frauen besetzt ist und in der Regel nur zwei, drei Personen am Set stellt, war die Anerkennung früher definitiv geringer. Und bei "Krank Berlin" kam hinzu, dass der Realismus unserer Arbeit offensichtlich mitverantwortlich für den Realismus der Serie ist. Natürlich statten wir auch Formate aus, in denen die Schauspieler normale Frisuren und Lidstriche bekommen. Aber selbst die tragen ihre Figuren ja buchstäblich durch die Geschichten. Deshalb kann gar nicht genug auf die Sichtbarkeit der verschiedenen Gewerke aufmerksam gemacht werden und wie wichtig jedes Einzelne für das Ganze ist.

Wo Sie bei "Krank Berlin" sogar ein rein weibliches Team hatten: gibt es überhaupt eine messbare Zahl Maskenbildner?

Definitiv, ich arbeite auch immer wieder sehr gern mit männlichen Kollegen. Bei "Krank Berlin" etwa mit Jörn Seifert von Twilight Creations oder Claus Grüßner von ShapeshifterFX, die für unsere großen Spezialeffekte zuständig waren. Diversität finde ich im Leben und bei der Arbeit schön und wichtig.

Doofe Frage zum Schluss: Wie viel Zeit verbringen Sie in Ihrer eigenen Maske?

Also heute hab‘ ich fünf Minuten gebraucht. Beim passenden Anlass sind es auch schon mal 30, aber mir selbst ist privat wie beruflich Authentizität das Wichtigste.

Mehr zum Thema

Die erste Staffel von "Krank Berlin" läuft derzeit bei Apple TV+, das ZDF zieht zu einem späteren Zeitpunkt nach.