Herr Hape, sie haben Lokalfernsehen, Free TV und Pay TV vermarktet. Jetzt führen Sie ARD Media: Ist Ihnen das Geschäft vertraut oder anders?
Es gibt einige Parallelen, etwa aus meiner Lokalfernsehen-Zeit, in der private Anbieter auch schon Vermarktungsgemeinschaften gebildet haben, wie wir sie auch im Radio erleben. Aber es gibt auch deutliche Unterschiede, der größte ist natürlich die Marke. ARD steht für eine Qualität, deren Wahrnehmung und Wertschätzung im Zuschauer- und Werbemarkt enorm ist. Damit stehen wir aber auch stärker im Fokus: Wir haben ein Produkt, zu dem jeder eine Meinung hat.
Mit welcher Lautstärke kann man öffentlich-rechtlichen Rundfunk im Gegensatz zum kommerziellen Wettbewerb vermarkten?
Die ganze Republik diskutiert immer wieder über den Rundfunkbeitrag und den Umfang der nötigen Erhöhung. Nun ist klar gesetzlich geregelt, dass sich die Öffentlich-Rechtlichen über zwei Schienen finanzieren - und eine davon ist die Vermarktung. Und nur diese Säule ist skalierbar. Deswegen würde ich sagen: Lasst uns die skalieren, wir können unbestreitbar einen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung der Finanzierung leisten. Deswegen können wir auch durchaus lauter werden.
Was stand seit Ihrem Start im vergangenen Oktober für Sie in den ersten Monaten im Fokus?
Veränderung. Und damit bin ich von Tag 1 an sehr transparent umgegangen, kommuniziere so offen mit den Teams wie es die Situation erlaubt. Wir haben eine Reise angetreten, an deren Ziel wir am 30. Juni die Transformation der ARD Media abgeschlossen haben werden. Dazu gehört auch mit aller Offenheit zu sagen: Wenn es um Effizienz geht, bedeutet das auch, dass man anders arbeiten wird und das auch nicht alle an Bord bleiben werden. Das gleich klar zu benennen, war natürlich alles andere als ein sanfter Einstieg. Für mich bedeutet diese Reise auch, sich unmittelbar intensiv mit dem Konstrukt ARD Media zu beschäftigen, auf das viele Blicke und Erwartungen gerichtet sind, angefangen bei den Beschäftigten selbst, den Gesellschaftern, Mandanten und natürlich dem Werbemarkt. Wenn ich auf diese ersten Monate zurückschaue, haben wir eine unglaubliche Geschwindigkeit dabei hingelegt und kommen gut voran.
Welche Veränderungen sind denn nötig bei ARD Media?
Wir hatten hier einige Silos, quasi drei Organisationen in einer. Es gab eine TV-Organisation, eine Radio-Organisation und eine allgemeine Organisation. Der Informations- und Kommunikationsfluss war dabei mal besser, mal schlechter. Aber gedacht und gearbeitet wurde in Silos - und die gibt es künftig nicht mehr. Wir haben neue Teams gebaut, die funktionaler arbeiten. Wir haben jetzt ein Marketing, das sich um Audio genauso kümmert wie ums Thema Bewegtbild und unsere eigene Markenkommunikation. Wir brauchen dafür nicht drei Marketingbereiche. Das als ein Beispiel für Strukturveränderungen, aber natürlich gilt der Ansatz bei unseren Produkten. Sind wir so aufgestellt, wie der Markt es nachfragt?
Was verstehen Sie darunter?
Spielen wir die Stärken unserer beiden Gattungen richtig aus? Sind wir flexibel genug? Macht es wirklich Sinn, dass wir einen Verkäufer oder eine Verkäuferin zum Kunden schicken, um TV-Werbung zu verkaufen und dann kommt noch jemand und verkauft Radio? Nehmen wir die Bundesliga. Die gibt es auch über den Sommer hinaus für die nächsten Jahre am Samstagnachmittag auf unseren Radiosendern und dann mit der „Sportschau“ im Ersten. Wir wissen, dass es kaum Überschneidungen gibt zwischen den Nutzern, die lieber live im Radio dabei sind und denen, die abends „Sportschau“ gucken. Also sollten wir die Bundesliga über alle Gattungen hinweg aus einer Hand vermarkten.
Eine Personalie wirft trotzdem Fragen auf: Uwe Esser hat das Haus nach 24 27 Jahren verlassen, Sie übernehmen gerade die Verantwortung für die TV-Vermarktung. Dauerhaft oder interimistisch?
Uwe hat einen Wahnsinnsjob gemacht und unsere TV-Vermarktung enorm weiterentwickelt. Die jetzt von ihm getroffene Entscheidung kann ich nachvollziehen. Das ist jetzt erstmal eine Übergangslösung.
Ihre Erfahrung kommt aus der TV-Vermarktung, bei ARD Media spielt auch Radio eine große Rolle. Was war Ihr größtes Learning bei der Beschäftigung mit dem Radio?
Audio ist viel vitaler als man vielleicht glaubt. Ich muss da kein Geheimnis draus machen: Es war jahrelang in meinen vorherigen Jobs ja eine vorherrschende Sichtweise, dass man Bewegtbild als dem Radio überlegen betrachtet hat. Aber die Leistungswerte untermauern, wie falsch das ist. Radio ist schon lange nicht mehr ein Gerät, das unsere Elterngeneration in der Küche oder im Bad stehen hatte. Audio ist deutlich jünger geworden, fokussierter in den Programmausrichtungen und: Es ist digital und überall. Deswegen braucht es hier in der Vermarktung auch einen Neuanstrich und Sexyness, weil es sich nicht hinter den Streamern verstecken muss. Audio insgesamt ist gefragter denn je und davon profitieren auch wir, insbesondere durch unsere Möglichkeit, in konkrete Regionen zu gehen. Unsere Radio-Marken haben eine hohe Bindung mit dem Menschen in der Region, zugleich können Sie sich technisch alle Sender der Welt ins Haus holen. Und was für mich persönlich ein spannendes Umdenken war: ARD Media hat im TV ein sehr starkes Produkt, was die Zuschauermarktanteile angeht, ist aber in der Vermarktung ein eher kleinerer Player. Im Radio-Bereich sind wir einer der beiden Großen, die den Markt gestalten. Das bringt mehr Verantwortung und Möglichkeiten mit sich.
"Nicht den Fehler der Automobilindustrie wiederholen."
Programmverantwortliche der ARD erklären seit Jahren mit Gelassenheit, dass es doch längst egal sei ob jemand nun linear oder non-demand in der Mediathek schaut. Sie dürften diese Gelassenheit nicht teilen: Werbung in der Mediathek ist nicht erlaubt…
Das ist eine große Aufgabe der Medienpolitik und das war für mich auch eine der Perspektiven, die mich bewogen hat, die Herausforderung hier im Haus anzutreten. Ich sehe das enorme Potential, das hier vorhanden ist. Es ist wichtig und richtig die Diskussion voranzubringen, wie wir mit unserer gesetzlich vorgesehenen Säule der Finanzierung der Öffentlich-Rechtlichen der Nutzung folgen können. Das wird ein mühsamer Weg, aber ein nötiger. Wir sprechen in der Branche darüber, wie Werbegelder an internationale Konzerne abwandern, die keine Wertschöpfung in Deutschland betreiben. Mit uns und den privaten Rundfunkanbietern würde das Geld im Land bleiben und zudem die Investitionen der ARD in Kreativität aus Deutschland unterstützen. Ich persönlich hoffe sehr, dass wir in der deutschen Medienpolitik nicht den Fehler der Automobilindustrie wiederholen, wo man zu lange den Wandel der Branche ignorierte. Der Markt sollte nicht den Metas und Googles überlassen werden.
Hat denn das ZDF Werbefernsehen ein ähnliches Interesse daran oder ist das jetzt ein Alleingang von ARD Media?
Ich glaube schon, dass es auch dort ein ähnliches Interesse gibt.
Sie sprachen schon Meta an. Kann ARD Media davon profitieren, wenn dort Brand Safety in Gefahr kommen sollte? Sie stellen seit Monaten schon Value Media in den Mittelpunkt der Kommunikation…
Ich wäre in meiner Funktion schlecht beraten, unsere besten Argumente nicht ins Schaufenster zu stellen. Das muss unser Narrativ für dieses Jahr sein. Qualitätsjournalismus und relevante wirkungsstarke Umfelder als Sicherheit für Marken. Wir sind eine Alternative für alle, die sich nicht weiter unkontrollierten Umfeldern ausliefern wollen. Das werden wir hochhalten. Das ist für uns das zentrale Thema neben dem Housekeeping, also den schon erwähnten Hausaufgaben die wir bis Mitte des Jahres umgesetzt haben wollen.
Wenn wir über 2025 hinaus blicken, wäre 2026 klassischerweise wieder ein großes Sport-Jahr, aber die TV-Rechte an der Fußball-WM in Nordamerika sind immer noch nicht vergeben - und die Spiele würden ohnehin zu Zeiten stattfinden, die Sie gar nicht vermarkten dürfen…
Einige wenige schon, aber im Kern stimmt es. Natürlich haben wir uns schon pro aktiv damit beschäftigt, was man um die Spiele herum bei einer Weltmeisterschaft mit diesen Spielzeiten anbieten kann. Aber erst einmal gilt abzuwarten, an wen die Rechte für die Fußball-WM 2026 vergeben werden.
Welche Rolle spielt das Mandantengeschäft Ihrer Ansicht nach für ARD Media?
Ich werde mich hier bewusst nicht zu dem Aspekt der Mediatheken von ARD/ZDF auf Joyn äußern, sondern beziehe mich auf die Kooperation von ARD Plus mit Joyn. Diese Kooperation ermöglicht, Erfahrungswerte in der Vermarktung von ARD-Inhalten zu sammeln. Wir selbst können es noch nicht, also überlassen wir das den Kolleginnen und Kollegen von Seven.One Media. Damit haben wir gezeigt, dass wir als ARD Media kooperativ und über frühere Grenzen hinweg denken. Deswegen würde ich auch ein Mandantengeschäft nicht ausschließen. Am Ende brauche ich als Vermarkter ein attraktives Portfolio, entweder aus eigenen Angeboten oder ich reichere es an, in dem passende Mandanten ergänzt werden. Wobei wir uns aber immer auf Audio und Video konzentrieren würden.
Netflix, Prime Video, Disney: Immer mehr Streamingdienste entdecken die Werbung für sich. Ihre Gedanken dazu?
Der Markt hat sich verändert, es gibt nicht mehr nur lineares TV. Der Bewegtbildmarkt wird größer, das tut erst einmal der Gattung gut. Die Gattung wächst. Wenn dann auch noch die Akzeptanz von Werbung damit einhergeht, hilft uns das ebenso. Einmal für die Spots an sich, aber auch für die Nutzungssituation, dass Werbung bei einigen Streamern selbst bei kostenpflichtigen Inhalten akzeptiert wird. Da kann man eine Brücke schlagen zu Werbung bei den Öffentlich-Rechtlichen.
Aber dazu müssten die Streamingdienste sich dem Reichweiten-Standard der AGF anschließen?
Ja, die gleichen Regeln für alle wäre ein guter Ausgangspunkt für fairen Wettbewerb. Das ist extrem wichtig.
Herr Hape, herzlichen Dank für das Gespräch.