Frau Reichert-Facilides, vor zweieinhalb Jahren wurde Studio Hamburg Enterprises zu OneGate Media, um allen voran ARD-Programme international noch besser zu vermarkten. Ziel schon erreicht?

Wer so einen großen Sprung vor sich hat, braucht ordentlich Anlauf. Wenn man sich das genauer anschaut, wird feststellen: Die Fiction-Marken der ARD haben einen hohen Production Value und ein großartiges Storytelling, das den internationalen Vergleich nicht scheuen muss. Ich meine Produktionen wie „Nord bei Nordwest“ oder „Praxis mit Meerblick“. Bisher haben die noch wenig internationale Luft geschnuppert. Daraus international gefragte Brands zu machen, ist unsere Leidenschaft und Expertise.

Wie setzen Sie das konkret um? 

Wir machen uns erstmal frei von bestehenden Titeln, Trailern und allem, was es schon gibt. Wir  analysieren unser Programm Portfolio aus Kundensicht und stellen uns stets die Frage: Was davon könnte im Ausland funktionieren und wieso? Nehmen wir ein konkretes Beispiel: „Nord bei Nordwest“. Das ist ein sehr spezieller Titel, der außerhalb Deutschlands schwierig zu vermarkten wäre. Zudem hat die Serie ein sehr klassisches TV-Artwork mit allen Hauptdarstellern, die in Deutschland sehr beliebt, aber international nicht bekannt sind. Wir haben die Positionierung für die internationale Vermarktung verändert. Im Vordergrund steht jetzt die emotionale Verbindung zwischen dem Hauptdarsteller und seinem Hund. Darauf haben wir die Kommunikation angepasst, einen neuen Trailer und eine Kampagne gemacht. Alles unter dem neuen Titel „Vet Jacobs – Agent on Occasion“, um auch das gefragte Genre Cosy Crime zu bedienen.

Ist das aktuell ein Trend-Genre?

Ja, manche nennen es auch Light Crime oder Blue Sky Crime, im Gegensatz zu Scandic Noir-Produktionen. Crime ist beliebt, darf aber auch softer sein und ein bisschen mehr Drama und Charakter-Zeichnung mitbringen – und gerne auch mit blauem Himmel und pittoresken Settings. Man will den geliebten Figuren folgen können. 

Gleiche Serie, nur neu verpackt - und dann verkauft?

Ja. Nach Japan, Portugal und Italien. Vet Jacobs – Agent on Occasion ist in Italien zuerst am Nachmittag gelaufen, wurde aber aufgrund überdurchschnittlicher Einschaltquoten in die Primetime gehoben, was uns sehr freut.

Kommende Woche trifft sich die Branche in London, wo erstmals auch die MIP London stattfindet. Was sind die Highlights, die sie dort international in den Vordergrund stellen?

Der Fokus liegt auf Crime: Die High-End Serie „Dangerous Truth“, in Deutschland „Das zweite Attentat“, die im April in der ARD ausgestrahlt wird und die True Crime Serie „Die Mafiajäger“, die schon erfolgreich in der ARD gestartet ist. Und top aktuell: die ZDF-Doku „FC Hollywood“, das talk of the town-Programm rund um den FC Bayern München, mit mehr als 6 Millionen Abrufen in der ZDF-Mediathek.

Wäre der „Usedom-Krimi“ bei einem jüngeren Publikum unter dem neuen englischen Titel „Baltic Crimes“ möglicherweise auch in Deutschland nochmal erfolgreich?

Wir fokussieren uns auf das internationale Geschäft. Dass wir hier anders über Titel nachdenken, ist Teil unseres Erfolges.

Einige Produktionen sind 90-minütige Filme, eine international weniger geläufige Länge im TV. Wie nehmen Sie diese Hürde?

Plattformen, bzw. Streaming-Dienste sind unabhängiger von Formatlängen. Wir versuchen uns so breit als möglich aufzustellen: Bei „Lost in Fuseta“ haben wir von Anfang an mit der Produzentin Simone Höller von 307productions vereinbart, dass wir auch eine 45-Minuten-Fassung bekommen. Dies wurde direkt beim Dreh berücksichtigt. Auch beim „Usedom-Krimi“ von Polyphon und Razor Film können wir unterschiedliche Formatlängen anbieten, um den Bedürfnissen der Kunden zu entsprechen.

Beim Re-Branding haben Sie für Ihr Unternehmen einen Namen ohne Studio Hamburg Bezug gewählt. Mit welchem Effekt?

Der Name OneGate Media hat uns ermöglicht, unsere Positionierung gegenüber den Marktpartnern zu schärfen: ansprechbar für alle deutschen Produzenten und Programmanbieter, für die Vermarktung ihrer Produktionen. International hat das Re-Branding eine komplett neue Wahrnehmung für uns und unser Portfolio ermöglicht. Ich bin überzeugt davon, dass wir den einen oder anderen Titel für den Weltvertrieb unter dem alten Namen nicht bekommen hätten – weil keiner vermutet hätte, dass wir dafür offen sind.

Grundsatzfrage: Der Handel mit Programmen der ARD, aber auch darüber hinaus - gehört das zur Aufgabe der Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks?

Diese Frage würde ich gerne aus Sicht der OneGate Media beantworten. Als Vertriebsfirma erzielen wir Erlöse aus Programmen der ARD, der Lizenzanteil wird an die ARD abgeführt und wiederum für die Finanzierung von weiterem ARD- Programm eingesetzt. Wir haben meiner Meinung nach die Sorgfaltspflicht, mit dem Vertrieb das Bestmögliche herauszuholen. Das hilft der Sichtbarkeit von deutschen Produktionen im Ausland, stärkt die Kreativbranche und unterstützt die Refinanzierung von Programminvestitionen der ARD.

Und das gilt dann auch für das Mandantengeschäft, etwa die kürzlich übernommene Vermarktung der Dokumentationen und Doku-Serien von Sky?

Unsere Vertriebsfirma hat aktuell 400 aktive Lizenzgeber. Wir sind im großen Maße für, aber nicht ausschließlich, für die ARD tätig. Es freut uns natürlich sehr, dass sich Sky Deutschland bei der internationalen Vermarktung für uns entschieden hat. Wir werten dies als Bestätigung für unsere Strategie, unsere Programme als Marken im Ausland hochwertig zu positionieren. 

Nun sind aber nicht alles vollfinanzierte Auftragsproduktionen der ARD. Sie wollen auch schon früher an Programme ran, etwa mit frühzeitigen Zusagen und Investitionen…

Ja, wir verstehen uns als Partner der Produzenten, um vorweg die Finanzierung großer Projekte zu sichern. Ich gebe Ihnen zwei Beispiele: Bei „Das zweite Attentat“, das federführend vom WDR verantwortet wird, waren wir vor den Dreharbeiten mit dabei, auch bei „Bach - Ein Weihnachtswunder“ von Eikon Media. Der Film lief im Dezember im Ersten, erfreulicherweise sehr erfolgreich. Es gibt die Absicht, das weiter auszubauen.

Wenn aber dann eine Produktion der ARD Degeto von ZDF Studios vermarktet wird und nicht von der neu aufgestellten Distributionstochter in Hamburg…

…dann haben wir damit kein Problem. ZDF Studios ist ja auch unser Geschäftspartner (lacht). Aber ich verstehe, worauf sie hinauswollen. Es gibt keinen Automatismus. Wir haben einerseits feste Auswertungsverträge mit ARD-Anstalten, aber genauso bauen wir unser Netzwerk unter deutschen Produzenten und Rechtevertrieben immer weiter aus. Wir haben eine Präferenz für Produktionen der ARD – aber Ausnahmen bestätigen die Regel – siehe FC Hollywood.

2022 erklärten Sie TrueCrime zum Genre der Stunde. Ist es das immer noch? Oder ist jetzt mehr Eskapismus mit Cosy Crime gefragt?

Mich wundert eigentlich, dass der Wunsch nach Eskapismus noch nicht viel größer geworden ist. Für TrueCrime gibt es bei uns eine große Nachfrage, das liegt aber auch an den hochwertigen Projekten der beetz brothers oder dem angesprochenen Deal mit Sky. Wir bauen das Genre weiter aus, auch um den ständig großen Bedarf an Content für unser YouTube Portfolio mit 60, meist internationalen, Kanälen zu bedienen.

Ist FAST also ein eigener Fixpunkt in Windowing-Strategien geworden?

FAST ist gekommen, um zu bleiben, weil es andere Nutzungsgewohnheiten bedient und damit neue Chancen eröffnet. Wer gerne im SVOD-Model werbefrei in 4K bei Netflix streamt, wird nicht mal eben auf einem kostenlosen FAST-Channel mit Werbung umschalten. Andererseits gibt es die Medienkonsumenten, die all ihr Wunschprogramm in den Mediatheken finden. Nach meiner Beobachtung ist in der Regel die Nutzergewohnheit für die Wahl der Plattform entscheidend, weniger die exklusive Verfügbarkeit über Windowing.

Aber welche Relevanz hat FAST dann in der Windowing-Strategie? Gibt es da eigentlich eine neuen Norm?

Die neue Norm ist Wild Wild West. Alles ist machbar, Vertrieb wird immer heterogener. Und Auswertungs-Fenster exklusiv und non-exklusiv sind individuell zu klären.

Gibt es weitere Projekte die OneGate Media 2025 in den Blick nimmt?

Oh ja, einige. Die Voraussetzung für internationale Skalierung ist Digitalisierung, um Transparenz im Portfoliomanagement und schnellen Service für die Kunden zu ermöglichen. Wir haben uns bewusst dafür entschieden, alle Prozesse inhouse abzubilden. Vom Rights Management zu Content Management und Operations, inklusive der technischen Dienstleistungen und Belieferung der Plattformen. Das ermöglicht uns, auf Entwicklungen sehr zügig reagieren zu können. Dies kommt gerade im Markt sehr gut an, was sich in sehr interessanten Anfragen aus dem In – und Ausland bemerkbar macht.

Frau Reichert-Facilides, herzlichen Dank für das Gespräch.