Herr Whigham, wir befinden uns im Endspurt des Bundestagswahlkampfs, das TV-Quadrell von RTL, ntv und "Stern" steht bevor. Wie viele Gespräche waren im Vorfeld mit den Parteien nötig?
Ich kann die Gespräche ehrlicherweise gar nicht mehr zählen, so viele waren es. Aber natürlich bedarf es bei einer solchen Sendung immer einer enorm intensiven Vorbereitung und zahlreicher Gespräche – mit Vertreterinnen und Vertretern der Parteien, aber auch hausintern, vor allem mit meinem Chefredaktions-Kollegen Gerhard Kohlenbach, bei dem alle Fäden zusammengelaufen sind, und natürlich mit den Berliner Politik-Kollegen rund um Nikolaus Blome, die unermüdlich im Einsatz waren.
Aus dem ursprünglich geplanten Duell zwischen Olaf Scholz und Friedrich Merz wird nun ein Vierkampf mit Alice Weidel und Robert Habeck. Was erhoffen Sie sich davon?
Mit den Ereignissen von Aschaffenburg und den Diskussionen, die wir jüngst auch im Bundestag erlebt haben, ist eine neue Situation entstanden, in der es eben nicht mehr reicht, den amtierenden Kanzler und den bisher in Umfragen führenden Herausforderer in einem Duell gegeneinander antreten zu lassen. Es ist vielmehr notwendig, die Politikentwürfe der vier größten Parteien übereinanderzulegen, damit die Zuschauerinnen und Zuschauer die Chance haben, sich diese im Detail anzusehen und die Haltung der Parteien abgleichen zu können.
Sie hatten ursprünglich mehrere Duelle geplant, doch Robert Habeck lehnte es ab, alleine mit Alice Weidel zu diskutieren. Haben Sie das ein Stück weit nachvollziehen können aus Habecks Sicht?
Nein, das habe ich ehrlicherweise nicht nachvollziehen können. Ich finde, dass sich jeder, der sich um das Amt des Bundeskanzlers bewirbt, seinen Herausforderern in einer politischen Diskussion stellen muss.
Müssen wir womöglich feststellen, dass die Duellform, wie wir sie in den vergangenen zwei Jahrzehnten gesehen haben, nur noch bedingt der heutigen politischen Realität entspricht?
Das ist eine Frage, die wir uns auch intern gestellt haben. Wir haben in vielen Runden zusammengesessen und gemeinsam überlegt, ob das Format eines Duells, eines Aufeinandertreffens zweier Kandidaten, noch zeitgemäß ist. Am Ende hängt es aber immer auch davon ab, inwieweit die Parteien bereit sind, einen anderen Weg mitzugehen. Für SPD und Union war es zu Beginn der klare Wunsch, in einem Duell gegeneinander anzutreten. Uns war wichtig, an diesem Abend möglichst alle zu Wort kommen zu lassen. Deswegen stand unser Angebot, zu viert zu sprechen. Ich freue mich sehr, dass die Parteien doch noch darauf eingegangen sind.
Es gab gerade erst das TV-Duell zwischen Scholz und Merz bei ARD und ZDF. Sprechen Sie sich mit den Kolleginnen und Kollegen ab oder laufen wir am Ende Gefahr, zwei ähnlich gelagerte Sendungen mit identischen Themen zu sehen?
Allein schon durch die Vierer-Konstellation wird es eine komplett andere Sendung sein. Eine sicher turbulentere, aber auch spannendere, wenn Sie mich fragen. Grundsätzlich werden sich die Themen natürlich überschneiden – einfach schon deshalb, weil es entscheidende Fragen gibt, die die Menschen in Deutschland im Moment umtreiben. Absprachen mit ARD und ZDF gibt es nicht. Ich glaube, dass wir mit Pinar Atalay und Günther Jauch, die durch unsere Sendung führen, ohnehin einen etwas anderen Zugang zu den Themen finden werden. Dadurch werden sich trotz thematischer Überschneidungen andere Akzente ergeben.
Dass die AfD bei einer solchen Debatte vertreten sein könnte, wäre vor wenigen Jahren noch undenkbar gewesen. Wie hat sich der Umgang der Medien mit der AfD aus Ihrer Sicht verändert?
Man darf nicht so tun, als seien sich die Medien zu jedem Zeitpunkt sicher gewesen, wie sie mit der AfD umgehen wollen. Für uns war aber immer klar, dass die AfD Teil unserer Berichterstattung sein muss, dass sie bei uns zu Wort kommen muss wie andere Parteien auch. Sie ist eine demokratisch legitimierte Partei und hat deshalb genauso das Anrecht wie alle anderen Parteien bei uns gehört zu werden. Dazu gehört dann aber bitte auch, dass man sich unseren kritischen Fragen stellt. Und auch die Zuschauer und Zuschauerinnen haben ein Recht darauf zu wissen, für welche Standpunkte und für welche Politik die AfD steht. Teil des Problems war ja zu Beginn eher, dass die AfD sich der Auseinandersetzung mit uns gerne auch mal verweigert hat. Wir haben zahlreiche Einladungen an Politiker der AfD ausgesprochen, die nicht mit uns reden wollten, nicht mit uns ins Gespräch kommen wollten. Dann hat sich der Kurs der AfD irgendwann ein Stück weit verändert.
Inwiefern?
Die AfD ist mit der Zeit dazu übergangen, die Interviews verstärkt dazu zu nutzen, uns als Medien zu diffamieren, uns als Lügenpresse zu bezeichnen und so zu tun, als wären wir nur ein Sprachrohr der Politik. Das als Strategie zu erkennen, war für uns wichtig, weil es uns half, einen Umgang damit zu finden. Müssen wir Menschen einladen, die Interviews nur dazu nutzen wollen uns zu diffamieren, Journalisten und Medien insgesamt unglaubwürdig zu machen? Sicher nicht. Gleichwohl bin ich fest davon überzeugt, dass die Menschen wissen müssen, wofür die AfD steht. Nur so können sie selbst eine Entscheidung treffen, ob das für sie der richtige Weg und die richtigen Inhalte sind.
"Wir müssen unseren Kurs der Sachlichkeit voller Selbstvertrauen weitergehen."
Sie müssen sich mit Ihren Angeboten gegen eine zunehmende Flut an Fake News behaupten. Wie wollen Sie da eigentlich noch hinterherkommen?
Der Kampf gegen Desinformation ist unser tägliches Geschäft. Wir sind mit unseren gut recherchierten, qualitativ hochwertigen Nachrichten ja der genaue Gegenentwurf dazu und das spiegelt sich glücklicherweise auch in den jüngsten Rekordquoten und im Vertrauen der Menschen in uns und wider. Es wird oft von Nachrichtenmüdigkeit gesprochen – das Gegenteil ist der Fall. Die Menschen suchen Information und Einordnung. Wer nachrichtenmüde ist, der wacht vielleicht irgendwann in einer Welt auf, die er nicht mehr versteht. Deshalb ist Information die Grundlage dafür zu verstehen, was um uns herum geschieht. Aber Sie haben natürlich recht, der Kampf wird immer schwieriger, gerade mit den Möglichkeiten, die künstliche Intelligenz inzwischen auch bietet. Andererseits bietet die generative KI für uns auch Chancen, Fake News zu begegnen. Unser Verifizierungsteam nutzt natürlich die Möglichkeiten, die es heute schon gibt, um im Kampf gegen Desinformation vorzugehen. Anfang letzten Jahres haben wir mit dem "ntv Faktenzeichen" sogar ein eigenes Format gestartet, das sich mit Fake News auseinandersetzt. Zur Bundestagswahl wollen wir uns in einer Sonderausgabe damit beschäftigen, dass gesteuerte Desinformationskampagnen inzwischen sogar in der Lage sind, ganze Wahlen zu entscheiden, wie wir das in Rumänien gesehen habe. Umso schwerer tue ich mich vor diesem Hintergrund manchmal damit, wohin große Teile der Werbegelder abfließen.
Sie spielen darauf an, dass 2025 fast 50 Prozent des deutschen Netto-Werbeumsatzes an Google, Meta und Amazon gehen werden.
Ich kann das wirklich nicht nachvollziehen, denn wo könnte man als Werbetreibender besser investieren, als in eine Nachrichtenmarke wie unsere, die für Seriosität, für Zuverlässigkeit und für Vertrauen bei den Menschen steht?
Sie sprachen eben die Rekordquoten von ntv im vergangenen Jahr an. Gleichzeitig sinkt jedoch die Fernsehnutzung. Welche Schlüsse ziehen Sie daraus für die Zukunft?
Unser starkes digitales Geschäft mit 15 Prozent Wachstum im vergangenen Jahr zeigt, dass die Marke ntv auf einem guten Weg ist. Mit Blick auf die Zukunft wird es eine Herausforderung sein, unsere Reichweiten im TV stabil zu halten – das setzt eigentlich sogar ein weiteres Wachstum in den Marktanteilen voraus. Das muss uns gelingen. Und gleichzeitig müssen wir noch intensiver in unsere digitale Transformation investieren. Darin liegt die Chance, im Wettbewerb mit den großen Plattformen auch finanziell mithalten zu können. Damit geht zugleich eine klare Fokussierung auf unser Kerngeschäft einher: Nachrichten, Wirtschaft und Breaking News.
In den USA geraten Nachrichtenangebote wie CNN immer stärker unter Druck. Besorgt Sie diese Entwicklung?
Mir macht es Sorge, wenn diese Nachrichtenangebote unter Druck geraten, weil es auch Ausdruck der gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen in den USA ist. Das sollte für uns immer ein Warnzeichen sein, auch wenn sich der amerikanische TV-Markt nicht eins zu eins mit dem deutschen TV-Markt vergleichen lässt. Ohnehin glaube ich, dass ein Teil der Probleme der amerikanischen Nachrichtennetworks hausgemacht ist.
Wie meinen Sie das?
Man hat sich sehr stark in diese auch in der Gesellschaft vorhandene Polarisierung drängen lassen. Ich habe das bei CNN verstanden, als man in der ersten Trump-Amtszeit in Konkurrenz zu Fox News stark unter Druck stand. An einigen Stellen war es für mich allerdings nicht mehr nachvollziehbar, warum CNN den Kurs der Ausgewogenheit und der politischen Mitte verlassen hat. Ich habe diesen Kurs nicht für richtig gehalten und wir stehen bei ntv für einen ganz anderen Weg. Wir sollten uns nicht treiben lassen von dem sicher möglichen kurzen Quotengewinn durch eine noch stärkere Zuspitzung, durch eine stärkere Ausrichtung an vermeintlich populären Themen. Vielmehr bin ich davon überzeugt, dass wir unseren Kurs der Sachlichkeit voller Selbstvertrauen weitergehen müssen. Wenn wir die Themen der Menschen ernst nehmen und uns nicht von den Nebelkerzen der Politik aufs Glatteis führen lassen, dann werden wir als Nachrichtenquelle auch in Zukunft einen festen Platz bei den Menschen haben und ein noch stärkeres Auseinanderdividieren verhindern.
Herr Whigham, vielen Dank für das Gespräch.