Herr Valente, Herr Wesseler, vor nicht mal einem Jahr sind Sie an die Spitze von All3Media Deutschland gekommen. Wie haben Sie die zurückliegenden Monate persönlich erlebt?
Vittorio Valente: Es war ein sehr turbulentes, spannendes und herausforderndes Jahr. Grundsätzlich sind wir zufrieden, wie wir da rausgekommen sind – auch wenn sich das ein bisschen schizophren anhört, weil wir unsere Tochterfirma Tower Productions schließen mussten. Eine solche Entscheidung geht einem natürlich nahe.
Tatsächlich hatte man gerade das Gefühl, dass sich die Tower ein Stück neu erfunden hatte – mit den "Verrätern", "Roadtrip Amerika" und dem neuen ZDF-Format "Terra X – Wettlauf um die Welt". Warum hat all das nicht gereicht?
Felix Wesseler: Wir haben es mit einer tollen Crew zu tun, die mit ganz viel Herzblut großartigen Content hergestellt hat – und die im Übrigen bis zum Schluss alles gibt. Daher war es die schwierigste und schlimmste Entscheidung, die man als Produzent treffen kann; das ist nichts, das man leichtfertig macht. Gleichzeitig sind wir angehalten, auf den Konzern zu blicken, die wirtschaftliche Realität anzuerkennen und darauf so zu reagieren, dass wir am Ende mit einer gesunden Gruppe dastehen. Das ist die Aufgabenstellung, die wir als Vorstand haben. Gleichzeitig war es sowohl Vito und mir, aber ausdrücklich auch dem Vorstand in England wichtig, dass dieser Schritt in einer guten und wertschätzenden Art erfolgt. Und ganz sicher wird es auch die Möglichkeit geben, mit Key-Talents an anderer Stelle wieder zusammenzuarbeiten.
Wie genau würde es denn im Erfolgsfall etwa mit den "Verrätern" weitergehen? Wird die Marke Filmpool künftig auch in der Primetime stärker in Erscheinung treten?
Valente: Genau das ist der Plan. Sollte sich RTL für eine vierte Staffel von "Die Verräter" entscheiden, würde das Format zu Filmpool Entertainment wandern. Das ist auch der Grund, weshalb wir Stefanie Essfeld, die Executive Producerin des Formats, zur Head of Reality bei Filmpool befördert haben. Wir wollen den Reality-Bereich stark ausbauen. Da warten noch einige echte Schätzchen – darunter „The Anonymous“ und „Bad Boy Friends“ im All3Media-Katalog.
Wesseler: Es ist allerdings ausdrücklich nicht so, dass jetzt automatisch alle Formate zur Filmpool gehen. Eine unserer ersten Maßnahmen, die wir als deutscher Vorstand getroffen haben, war es, einen Strategiewechsel in der All3Media Deutschland vorzunehmen. In der Vergangenheit herrschte in der Gruppe ja ein gewisser Sozialismus, bei dem eigentlich alle Formate direkt an die Tower gingen, während die anderen Firmen innerhalb der Gruppe ihre eigenen Ideen entwickelt haben. In Zukunft wollen wir hier zielgerichteter vorgehen. "Undercover Boss" oder "Roadtrip Amerika" wandern im Zuge dessen zu unserer Münchner Tochter south&browse unter der Führung von Nikola Kohl, weil deren journalistische DNA stärker ausgeprägt ist. Letztlich ist Fernsehen ja auch ein People's Business.
Besteht bei der Neusortierung nicht aber auch ein Stück weit die Gefahr, dass die bewährten Formate darunter leiden, wenn künftig neue Teams dafür verantwortlich sind?
Wesseler: Das ist der Grund, weshalb wir bewährte Köpfe weiterhin an uns binden wollen. Klar ist aber auch, dass wir kein einfaches Weiter-so planen, denn Stillstand bedeutet Rückschritt. Wir schauen uns daher genau an, was gut war, aber auch, was sich verbessern lässt. Kann man es effizienter aufstellen, kann man kreativ nochmal einen Twist reinbringen oder eine Schippe drauflegen? Diese Fragen werden wir uns bei allen Produktionen stellen.
"Generell hasse ich es, wenn gejammert wird – das gehört einfach nicht zu unserer DNA."
Vittorio Valente
Nun ist insbesondere Filmpool für Effizienz bekannt. Die Privatsender drücken derzeit mit Blick auf Daytime und Vorabend aber noch stärker auf die Kostenbremse. Ist da irgendwann die Grenze des Machbaren erreicht?
Valente: Das glaube ich nicht. Wir werden mit Filmpool auch in Zukunft in der Lage sein, den Sendern maßgeschneiderte Programme für die Timeslots am Nachmittag und Vorabend anzubieten. Wir kennen die Situation auf dem Werbemarkt und wissen genau, was die Sender ausgeben können und produzieren für exakt diese Budgets. Dazu kommt, dass wir uns immer wieder neu erfinden. Vor zwei Jahren hatten wir alle unsere Programme in Sat.1 verloren. Inzwischen ist nicht nur die "Landarztpraxis" ein toller Erfolg, sondern wir sind auch mit "Auf Streife" und "Notruf" zurück.
Wesseler: Das ist auch deshalb gelungen, weil es unser Anspruch ist, der Produzent zu sein, der immer die Formate findet, die sich mit dem vorhandenen Budget passgenau umsetzen lassen und sich gleichzeitig sehen lassen können. Wir müssen wirtschaftlich sein, klar. Aber dieser Herausforderung stellen wir uns gerne. In der Fiktion wird es allerdings tatsächlich zunehmend schwieriger, weil gleichbleibende oder sinkende Budgets hier steigenden Anforderungen gegenüberstehen. Wenn ich daran denke, dass der Mindesttagessatz von Schauspielern bei über 1000 Euro am Tag liegt, dann stoßen wir alle irgendwann an unsere Grenzen.
Wir haben das schwierige Marktumfeld bereits angesprochen. Gibt es aus Ihrer Sicht in diesem Jahr Anlass zur Hoffnung auf Besserung für die TV-Branche?
Valente: Neben den genannten Formaten produzieren wir aktuell auch "Barbara Salesch - Das Strafgericht" und "Verklag mich doch!" für RTL sowie "Berlin – Tag & Nacht" für RTLzwei und "Köln 50667" für RTL+. Wir können uns bei filmpool also wirklich nicht beklagen. Generell hasse ich es, wenn gejammert wird – das gehört einfach nicht zu unserer DNA. Im Gegenteil, wir werden voll angreifen. Wir setzen verstärkt auf telenovela-artige Programme à la "Landarztpraxis" – sowohl für die Access Prime als auch für die Primetime. Diese Formate können auch für Streaming-Plattformen attraktiv sein. Um diesen Bereich strategisch weiterzuentwickeln, haben wir Susanne Diekwisch, die als Executive Producerin hinter Landarztpraxis steht, zur Head of Fiction befördert.
Allerdings lässt sich die Konsolidierung des Marktes aktuell nicht leugnen, überall – auch bei Ihnen – wird auf die Kostenbremse gedrückt. Sind zumindest die Zeiten, in denen sich Produktionshäuser sehr viele Verästelungen mit Tochterfirmen leisten konnten, vorbei?
Valente: Diese Zeiten sind auf jeden Fall vorbei. Auch wir hatten viele Doppelstrukturen aufgebaut, an die wir ran mussten.
Wesseler: Genau das sind die Themen, die wir aktuell auf dem Tisch haben und die wir mit einem gewissen Realismus betrachten müssen. Klar, der gesamte Fernseh- und Medienmarkt konsolidiert sich, und das gilt natürlich auch für uns. Wir sitzen deshalb hier mit der Filmpool im Gewerbegebiet bei der EMG, ein paar Häuser neben den Abfallwirtschaftsbetrieben. Das sind ehrlicherweise nicht die allerneuesten Büros, und trotzdem haben wir es uns sehr nett gemacht. Und auch wenn wir schon immer relativ sparsam gewirtschaftet, schauen wir in diesen Zeit auch im Hinblick auf die ganze Gruppe noch ein wenig genauer auf die Kosten und reduzieren dort, wo wir noch nicht so effizient sind, wie wir sein müssten.
An welchen neuen Projekten arbeiten Sie für 2025?
Valente: Wir arbeiten aktuell an einem schönen Projekt, eher fiktional, das in die Richtung der "Landarztpraxis" gehen wird. Mehr können wir zum jetzigen Zeitpunkt leider noch nicht verraten. Daneben freue ich mich auch über "Terra X – Wettlauf um die Welt", das für uns auch deshalb bedeutend ist, weil es für das ZDF entsteht und wir uns vorgenommen haben, in Zukunft verstärkt bei den Öffentlich-Rechtlichen zu punkten. Das ist uns mit der Filmpool Entertainment in den vergangenen Jahren leider noch nicht so wirklich gelungen.
Wesseler: Eine wichtige Rolle spielt außerdem unsere Tochterfirma Magic Connection, deren Anspruch es als Agentur ist, nicht nur innerhalb der Gruppe zu agieren, sondern ausdrücklich auch für andere Produktionsfirmen und Sender, sowie außerhalb der Branche aktiv zu werden, insbesondere im Bereich Social Media, aber auch in der PR. Noch gar nicht erwähnt haben wir außerdem die Filmpool Fiction und das Team um Mathias Lösel, das neben starken Programmmarken wie dem "Tatort", dem "Polizeiruf" und "Kommissar Dupin" auch eine vierte Staffel von "Ich dich auch!" für ZDFneo produzieren wird. Das ist insofern bemerkenswert, weil es sich dabei um eine Adaption der BBC-Serie "Him and Her" handelt, wir nun aber die neuen Folgen erstmals selbst schreiben werden. Da hat es sich also echt gelohnt, ins Risiko gegangen zu sein.
Herr Valente, Herr Wesseler, vielen Dank für das Gespräch.