Frau Banerjee, wie nehmen Sie den Bundestagswahlkampf aus journalistischer Sicht wahr?
Es ist interessant zu sehen, dass der Wahlkampf sehr langsam und eher leise angelaufen ist und sich die Parteien zunächst auf sich selbst konzentriert haben. Seit dem schlimmen Ereignis von Aschaffenburg und dem Vorstoß von Friedrich Merz ist allerdings plötzlich eine extreme Beschleunigung reingekommen – verbunden mit einer emotionalen Aufheizung, die in dieser Geschwindigkeit wahrscheinlich nicht zu erwarten war. Es ist ein kurzer Winterwahlkampf, der seine ganz eigenen Gesetze hat.
Für die politischen Berichterstatter war die Planungszeit entsprechend kurz. Worauf müssen Sie in diesem Jahr im ZDF verzichten, was Sie sonst gerne im Programm gesendet hätten?
Im Vergleich zum vergangenen Wahlkampf müssen wir tatsächlich auf fast nichts verzichten. Das ist eine ziemliche Kraftanstrengung, aber wir bekommen es hin und können auf diese Weise eine Vielzahl unterschiedlicher Angebote machen. Dazu zählen Diskussionsformate und Porträts, aber auch Formate, mit denen wir ausschließlich online vorwiegend jüngere Menschen ansprechen wollen. "Auf der Couch" ist beispielsweise ein Dialogformat, das zeigen soll, dass wir in diesen aufgeheizten Zeiten alle Themen so diskutieren können, dass selbst diejenigen etwas davon haben, die auf der entgegengesetzten Seite des Spektrums sind. Wir werden aber auch Second-Screen-Angebote zu den Diskussionen bei "ZDFheute live" anbieten oder ein eigenes Twitch-Format starten.
Viele Diskussionen finden inzwischen nur noch in Bubbles statt. Haben Sie den Eindruck, mit dem guten alten Fernsehen bei diesen Menschen überhaupt noch Gehör zu finden?
Am Ende sind wir natürlich darauf angewiesen, dass die Menschen die Angebote, die wir machen, auch annehmen. Aber gut recherchierte, verlässliche Information ist letztlich die Grundlage für jede Auseinandersetzung und damit auch ein Angebot, aus der Bubble rauszukommen und sich noch einmal mit Ansichten zu beschäftigen, die man vielleicht nicht teilt.
Trotz all dieser Angebot tobt seit Wochen ein Streit um das TV-Duell. Ist diese Sendung in Wahrheit nicht ziemlich überbewertet?
Ich kann gut verstehen, dass sich die Aufmerksamkeit auf das Format richtet, das den größten Event-Charakter verspricht. Das kann ein Duell sein, aber auch ein Vierkampf – und für beides gibt es aus meiner Sicht gute Gründe. Unsere Entscheidungslage ist aktuell jedoch, dass wir das Duell zwischen dem Amtsinhaber und dem aussichtsreichsten Herausforderer anbieten. Das lässt Raum, um sich auf die Inhalte zu konzentrieren. Ein Vierkampf böte dagegen etwas mehr Spielfläche für Persönlichkeit und Schlagfertigkeit zwischen allen Vieren. Aber auch dafür haben wir ja ausreichend Flächen im Programm – deshalb bin ich auch der Meinung, dass alle gut beraten sind, nicht nur auf diese eine Sendung am Sonntagabend zu schauen.
Dennoch, ein solches Duell, wie es jetzt geplant ist, fühlt sich doch nach der Bundesrepublik früherer Jahrzehnte an, als es zwei große Parteien gab und ein paar kleine dahinter. Ist das aus Ihrer Sicht tatsächlich noch eine zeitgemäße Form?
Sie haben recht, wir müssen wahrnehmen, dass sich die Parteienlandschaft verändert hat und die Grenzen zwischen den sogenannten großen und den kleinen Parteien zunehmend verschwimmen. Und wenn es bei uns so läuft, wie es in vielen anderen Ländern gelaufen ist, und davon lässt sich auszugehen, dann wird sich das auch nicht mehr ändern; dann werden wir nicht zurückkommen zu einem System mit zwei großen und einer sehr überschaubaren Anzahl kleiner Parteien. Vor diesem Hintergrund müssen wir langfristig tatsächlich darüber nachdenken, welche Formate dieser Realität entsprechen, wenn wir die Parteien miteinander ins Gespräch bringen wollen. Jetzt haben wir allerdings immer noch eine Situation, in der es einen klaren Herausforderer gibt. Das ist momentan die Union, die mit weitem Abstand vorne liegt. Und es gibt einen Amtsinhaber, das ist Olaf Scholz, der traditionell für sich einen Amtsbonus in Anspruch nehmen kann, auch wenn sich das gerade nicht wirklich in den Zahlen niederschlägt.
Wie viele Nerven kostet es eigentlich, ein solches Aufeinandertreffen zu orchestrieren?
Das ist eine organisatorische Arbeit, die unser Sender ja seit vielen Jahrzehnten macht. Ich glaube, starke Nerven muss man im Journalistenberuf immer haben. Manchmal gibt es eben Rush Hours – so wie jetzt. Aber damit können wir umgehen.
"Ich tue mich schwer, die Güte eines Interviews anhand seiner Optik zu bewerten."
Für weitere Diskussionen sorgt regelmäßig die Frage nach dem richtigen Umgang mit der AfD, die in Umfragen aktuell bei mehr als 20 Prozent steht. Ist das Vorhaben, die Partei journalistisch mit Fakten zu entzaubern, gescheitert?
Ich bin kein Freund des Begriffs "entzaubern". Journalistische Aufgabe ist es, die Inhalte von Parteien, wie sie auf dem Papier stehen, darzustellen, diese aber auch mit der Realität mit Handeln und Aussagen ihrer Vertreterinnen und Vertreter abzugleichen und in Interviews kritisch nachzufragen. Ich glaube, dass wir das in den vergangenen Jahren sehr hartnäckig getan haben. Das ist unsere Aufgabe, da werden wir weiter dranbleiben und da dürfen und wollen wir die AfD tatsächlich auch nicht anders behandeln als andere Parteien. Gleichzeitig muss man aber immer wieder darauf hinweisen, dass sie in Teilen rechtsrechtsextremistisch eingestuft ist, und auch erklären, warum das so ist. Die Entscheidung darüber, welche Schlüsse daraus zu ziehen sind, ist dann den Wählerinnen und Wählern überlassen.
Sie selbst haben schon im Wald mit Alice Weidel gesprochen. Ist das der richtige Ansatz?
Das Fernsehen ist ein optisches Medium, aber ich tue mich schwer, die Güte eines Interviews anhand seiner Optik zu bewerten. Wir sind ja nicht nur mit der AfD im Wald gewesen, sondern mit den Sommerinterviews regelmäßig dort, wo sich unsere Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner im Sommer aufhalten. Das sind dann manchmal schöne Bilder im Hintergrund, manchmal ausgefallene Orte. Aber am Ende entscheidet das nicht über den Inhalt des Gesprächs. Im Kern geht es darum, mit welchen Fragen wir die Parteien konfrontieren, um erkennbar zu machen, wofür sie stehen. Vor allem aber möchten wir die vorgefertigten Sätze und Floskeln aufbrechen, um hinter die Botschaften zu kommen, die sich die Parteispitzen vorgenommen haben.
In den USA erleben wir nicht nur eine gespaltene Gesellschaft, sondern auch eine gespaltene Medienlandschaft. Besorgt Sie das auch mit Blick auf die Zukunft in Deutschland?
Die öffentliche Diskussion teilt sich zunehmend in Lager auf und es gibt momentan eine Unversöhnlichkeit beim Austausch der Meinungen. Im Vergleich zu den USA ist unsere Medienlandschaft allerdings noch sehr vielfältig. Man hat die Möglichkeit, sich sehr unterschiedlich zu informieren – und ich hoffe, dass das so bleibt. Aber die Art, wie der Diskurs geführt wird, die kann pessimistisch stimmen. Daher ist es auch unsere Aufgabe als Öffentlich-Rechtliche, den Dialog offen zu halten und mit gut recherchierten Angeboten eine Grundlage zu bieten für eine Diskussion, die vielleicht weniger emotional ist und sich mehr auf Fakten konzentriert.
Sie selbst werden am am 23. Februar die Wahlsendung für das ZDF moderieren. Wie gehen Sie in den mutmaßlich langen Abend?
Es kann ja nicht länger werden als die Live-Sendung zur US-Wahl, die ich moderiert habe. Das waren achteinhalb Stunden. Verglichen damit ist die Bundestagswahl fast ein Spaziergang. (lacht) Im Ernst, das ist eine unglaublich ehrenvolle Aufgabe, auf die ich mich freue. Und auch wenn die Umfragen momentan recht eindeutig sind, werden wir auf alles vorbereitet sein.
Frau Banerjee, vielen Dank für das Gespräch.