Herr Karrer, heute wissen wir, dass das Bundeskartellamt gegen eine Vermarktung von RTLzwei durch die Ad Alliance gestimmt hat und El Cartel Media weitermachen kann. Aber die Vorweihnachtszeit bis zu dieser Last Minute-Entscheidung stelle ich mir wenig besinnlich vor?
Von Besinnlichkeit war wirklich nichts zu spüren. Wir haben natürlich auf die Entscheidung des Bundeskartellamts gewartet, aber wir konnten uns gar nicht so sehr darauf konzentrieren, weil uns der Werbemarkt abgelenkt hat. Der hat sich schon im Oktober ganz anders entwickelt als erwartet, und im November ist dann etwas passiert, was nur sehr selten vorkommt: eine extreme Zurückhaltung ausgerechnet vor Weihnachten. Der Endspurt fiel aus. Es wurde deutlich: Gelernte Saisonalitäten gelten nicht mehr.
2023 hatten die Gesellschafter von RTLzwei bereits Anfang November entschieden, dass man nicht länger auf eine Entscheidung des Bundeskartellamts warten könne und hatte El Cartel Media ein weiteres Jahr gegeben. Diesmal fiel bis Mitte Dezember keine Entscheidung…
Das war dem vom Kartellamt vorgegebenen Timing geschuldet. Und das war für mich und das Team sehr herausfordernd. Wir leben zwar in modernen digitalen Zeiten, aber auch heutzutage ist ein unterjähriger Wechsel der Vermarktung und Budgets sehr schwierig. Trotzdem haben wir mit RTLzwei, der Ad Alliance und dem Betriebsrat alle Szenarien vorbereitet, so gut es ging. Aber je näher das Jahresende rückte, desto nervöser wurden wir alle. Ich bin privat ein großer American-Football-Fan, und von dort habe ich ein Zitat mitgenommen: "Der Charakter einer Mannschaft zeigt sich am tiefsten Punkt". Die Performance von El Cartel ist weit entfernt vom tiefsten Punkt, aber emotional war es für die Mitarbeiter eine zweijährige Achterbahnfahrt, die uns alle sehr auf die Probe gestellt hat. Und als dann die Mitteilung kam, dass es weitergeht: Da haben sich alle Emotionen entladen und wir sind uns in den Armen gelegen.
Halten Sie die Entscheidung des Bundeskartellamts mit Blick auf die Bewertung des TV-Werbemarkts für richtig?
Ich will das an dieser Stelle nicht weiter medienpolitisch bewerten. Rein für mich persönlich und für die Menschen in unserem Team war die Klarheit, die wir durch die Entscheidung bekommen haben, wichtig und befreiend.
Emotional war es für die Mitarbeiter eine zweijährige Achterbahnfahrt, die uns alle sehr auf die Probe gestellt hat.
Wie muss man sich das vorstellen?
Wir wollten die Belegschaft zeitnah informieren. Dann hat sich aber alles nochmals verzögert und ich habe erst auf dem Weg zu dem Termin mit den Kolleginnen und Kollegen erfahren, wie die Entscheidung ausgefallen war. Ab da war ich wie im Tunnel. Dieses Gefühl, vor die fragenden Gesichter zu treten und ihnen die Nachricht zu überbringen – das habe ich mir oft ausgemalt, aber keine Theorie war so bewegend wie dieser Moment. Der war dann auch die Initialzündung für unsere jetzige Motivation: Seit mehr als 20 Jahren haben wir im Werbemarkt etwas Besonderes beizutragen. Wir bleiben auch in Zukunft ein bisschen anders als der Rest, aber darauf ruhen wir uns nicht aus. Wir müssen vor allem gut sein und smart.
Ist die Ad Alliance jetzt wieder Konkurrent? Wie ist das Verhältnis nach einer solchen Entscheidung?
Die AdAlliance war immer der Konkurrent bei der TV-Werbung und das wird nach der Entscheidung auch weiter der Fall sein. In anderen Bereichen arbeiten wir seit langem erfolgreich zusammen. Generell machen Kooperationen und Allianzen absolut Sinn, wenn man bedenkt, dass 50 Prozent der Werbebudgets zu den Tech-Riesen gehen sollen.
Weil Sie es selbst ansprechen: Gerade wenn man sieht, wie viel Werbebudget zu den Tech-Riesen geht, kann man doch die Definition des TV-Werbemarkts als Markt für sich durch das Bundeskartellamt kaum nachvollziehen, oder?
Die Tech-Unternehmen sind dabei, in ihren Streaming-Angeboten massiv das Werbeangebot auszubauen. Dadurch werden die deutschen Anbieter ständig weiter unter Druck geraten. Irgendwann wird man daraus kartellrechtlich die Konsequenzen ziehen müssen.
Die AdAlliance war immer der Konkurrent bei der TV-Werbung und das wird nach der Entscheidung auch weiter der Fall sein.
Meta beendet das Fact Checking, lässt damit Hass und Hetze unter dem Mantel der Meinungsfreiheit freien Lauf. Werden Facebook und Instagram die nächsten Plattformen nach X, die Werbetreibende meiden?
Ich bin geschockt von dem, was wir in den USA erleben. Nicht nur die Meta-Entscheidung, auch wie schnell Firmen schon vor Trumps Amtseinführung ihre DEI-Programme eingestellt haben. Der Opportunismus ist erschreckend. Ich bin Vater von zwei Kindern, denen ich Werte zu vermitteln versuche. Wenn ich da nicht selbst an das Gute glauben würde, wäre es schlimm. Meine Tochter geht in die zweite Klasse und schon dort sind Handys verbreitet. Wenn ich daran denke, was selbst Kinder über soziale Medien zu sehen bekommen, dann ist das unfassbar für mich. Natürlich ist dort nicht alles schlecht, es gibt viele wertvolle Inhalte, und auch RTLzwei ist in den Social Media sehr aktiv und erfolgreich. Aber wir alle, Content-Anbieter wie Werbekunden, werden uns künftig stärker als bisher die Frage nach unserer Verantwortung stellen müssen. Brand Safe sind nur die klassischen Medien.
Das ist richtig, aber kann man allein darauf setzen? Ist das die Argumentation des Mediums TV?
Ich will niemanden maßregeln, aber wir haben auf Kundenseite zuletzt oft die große Angst erlebt, etwas Neues zu verpassen und einen Fehler zu machen, wenn man etwas nicht ausprobiert. Dagegen wirkte es im Mediaplan schon Old School, auf Fernsehen zu setzen. Aber wir sind überzeugt davon, dass TV, ob linear oder gestreamt, ein zentral wichtiges Werbemedium bleibt, mit garantierter Brand Safety. Wir als RTLzwei haben dabei den Vorteil, dass wir den Sprung auf die digitalen Plattformen mit vielen unserer jungen Formate schon erfolgreich geschafft haben. Das gilt für "Love Island VIP" oder "Kampf der Realitystars" ebenso wie für die Klassiker "Berlin – Tag und Nacht" oder "Die Wollnys". Unsere Wettbewerber Vox und Kabel Eins spielen digital keine so große Rolle.
Wir alle, Content-Anbieter wie Werbekunden, werden uns künftig stärker als bisher die Frage nach unserer Verantwortung stellen müssen.
Wie steht es um die TV-Werbung: Was erwarten Sie für 2025?
Wir müssen die Realitäten akzeptieren und die sind klar: Das lineare Fernsehen ist in einem extrem harten Wettbewerb. Trotzdem ist das Ende von 2024 für mich kein Maßstab für 2025. Von dem Blues vor Jahreswechsel und der Sorge, dass das erste Quartal furchtbar wird, gibt es keine Spur mehr. Im Gegenteil: Wir sind ausgebucht. Wenn man mit dem Schlimmsten rechnet, kann es halt nur besser werden (lacht). Die ersten Prognosen fürs ganze Jahr lese ich so, dass der Werbemarkt wachsen wird. Deutschland spielt hier seit anderthalb Jahren eine Sonderrolle, warum auch immer. Wir haben eine Situation, in der viel schlechter geredet wird, als es eigentlich ist. Die Menschen nutzen mehr Bewegtbild denn je. Aber wir arbeiten eben in einem Markt, der sehr viel von Psychologie geprägt ist. Wir brauchen über TV und die Medienbranche hinaus wieder Zuversicht und Wachstum.
Als jüngster unter den großen Privatsender dürfte für Sie eine allgemein akzeptierte Konvergenzwährung für lineare und non-lineare Nutzung oberste Priorität haben?
Ja, natürlich. Dafür braucht es aber auch den Willen aller Player sich festzulegen. Man muss realistisch sein: Wer arbeitet mit diesen Zahlen? Es ist sehr kommod für Agenturen, für Werbepartner, sich in Verhandlungen die Zahl rauszupicken, die gerade passt. Deswegen sage ich: Wenn denn alle zusammen ein Interesse daran hätten, könnten wir einen neuen Standard etablieren. Es ist zu hören, dass vielleicht der eine oder andere US-Streamer bereit wäre, bei einer Konvergenzwährung mitzumachen. Sehr gut! Das würde eine Ungerechtigkeit in der Betrachtung beenden, die uns als TV-Macher und -Vermarkter massiv ärgert. Wir hatten nie Angst, uns messen zu lassen. Wie sieht’s mit euch aus, Netflix und Amazon?
Klare Ansage.
Es wird mit zweierlei Maß gemessen. Schauen wir uns doch die Werbung bei den US-Streamern an: Wie werden da Programme unterbrochen? Und wie oft? Und wie sieht es mit der Wiederholung von Spots aus? Das sind Parameter, die im TV sehr kritisch gesehen werden, den neuen Anbietern aber lässt man vieles durchgehen. Vermarktung wird immer komplizierter, immer kleinteiliger und schwerer vergleichbar. Da ist es unsere Aufgabe als Vermarkter, Beratung anzubieten, die richtigen Kenngrößen zu benennen und uns daran messen zu lassen. Wir müssen als Gattung für uns trommeln. Ich fand, dass wir im vergangenen Jahr mit dem Screenforce-Festival eine tolle Basis dafür geschaffen haben. Schade, dass es 2025 nicht stattfindet. Wir fühlen uns immer wohl auf der Bühne. Der Fokus auf Forschung, Nachwuchsförderung und Expertenforen in diesem Jahr ist aber absolut nachvollziehbar.
Wir hatten nie Angst, uns messen zu lassen. Wie sieht’s mit euch aus, Netflix und Amazon?
Dann reden wir über das, was sie beeinflussen können: Was steht im Dialog mit dem Markt für El Cartel gerade ganz oben auf der Agenda?
Punkt Eins ist natürlich, dass wir die Entscheidung des Bundeskartellamts erklären. El Cartel ist weiterhin eigenständig am Markt präsent. Mit uns lässt sich planen. Und was mich positiv stimmt, ist die große Unterstützung des Werbemarkts in den vergangenen zwei Jahren – trotz der Unsicherheit und mancher Spekulationen, dass wir demnächst aus dem Spiel sein werden. Wir spüren, dass Vertrauen da ist – auch bei den vielen Neukunden, die wir gewonnen haben. Das zeigt: TV ist ein Medium, das aufgrund seiner Wirtschaftlichkeit und nachweisbaren Wirkung viele Marken an sich zieht. Ein guter Spot kann mit Storytelling eine Marke aufladen. Das ist das Brot- und Butter-Geschäft für uns und viele Kunden.
Klingt fast als gäbe es keine Herausforderungen…
(Lacht) Wie besprochen: Wir müssen es als Branche hinkriegen, dass wir die digitale Nutzung mit der TV-Nutzung konsequent und transparent zusammen ausweisen – möglichst inklusive aller Bewegtbildanbieter. Stephan Schmitter hat es bei Ihnen ganz richtig gesagt: Nur auf die lineare Quote zu blicken, untergräbt die Relevanz unserer starken Marken. Was El Cartel angeht: Wir schauen unser vermarktbares Inventar an und prüfen intensiv, wie wir es via Mandantengeschäft ausbauen können. Gleichzeitig bleiben wir der Vermarkter, mit dem man was Neues ausprobieren kann. Dafür standen wir immer. Wir haben viel vor und stellen El Cartel mit der jetzigen Klarheit im Rücken neu und selbstbewusst auf.
Herr Karrer, herzlichen Dank für das Gespräch.