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Herr Jollet, welchen FAST-Channel haben Sie zuletzt gesehen?

Olivier Jollet: Das war Borussia Dortmund TV. Einerseits aus eigenem Interesse, weil ich großer Fußballfan bin. Andererseits aber auch aus beruflichen Gründen, denn wir haben den Channel kürzlich auf Pluto TV gelauncht.

Pluto TV hat sich Anfang 2024 optisch neu aufgestellt, es gab einen Relaunch. Das haben Sie damals auch gemacht, um sich "von der Masse abzuheben". Wie hart ist der FAST-Markt in den vergangenen Jahren wirklich geworden?

Ich bin seit fast neun Jahren bei Pluto TV und es ist faszinierend, wie sich der FAST-Markt entwickelt hat. Als wir gestartet sind, hätte ich nicht unbedingt gedacht, dass das alles zu einem Milliardengeschäft wird. 2027 sollen FAST-Anbieter laut den Marktforschern von Omdia zwölf Milliarden Dollar Umsatz machen. Innerhalb des Streamingmarktes ist FAST das Segment, das am schnellsten wächst. Da muss man aber natürlich Unterschiede machen zwischen den USA und dem Rest der Welt.

FAST wächst weltweit, aber mit Abstand am größten ist der Bereich in den USA.

2014 waren wir der erste FAST-Anbieter in den USA. 2018 haben wir Pluto TV auch in Deutschland und Großbritannien an den Start gebracht, das war eigentlich der Start von FAST in Europa. Seitdem ist das Wachstum gigantisch, denn FAST erfüllt ein Bedürfnis: Wir helfen unseren Userinnen und Usern dabei einfacher als vorher Entscheidungen zu treffen. Es gibt immer mehr Inhalte und wir sorgen mit unserer Kuratierung für einen guten Überblick. 2024 haben wir unser zehnjähriges Jubiläum gefeiert und dachten, dass es gut wäre, diesen Meilenstein mit einem neuen Branding zu zelebrieren. Und nicht nur das, wir hatten starke Marketingaktivitäten in verschiedenen Ländern. Während des Super Bowls waren wir als Marke groß auf dem Sphere in Las Vegas sichtbar.

Ein gutes Design reicht inzwischen aber vermutlich nicht mehr. Pluto TV hat viel Konkurrenz bekommen, wie sieht’s mit dem inhaltlichen USP aus?

Wir haben uns in den vergangenen Jahren darauf fokussiert unser Angebot an Inhalten und unsere Content-Partnerschaften auszuweiten. Wir sind mittlerweile auch im Live-Sport zu Hause, beispielsweise durch unsere Partnerschaft mit DAZN. Wir haben mehr exklusive Inhalte und natürlich auch mehr Channels. Als wir in Deutschland gestartet sind, hatten wir rund 15 Channel auf Pluto TV. Heute sind es mehr als 200. Quantität und Qualität haben sich verbessert, das sehen die Nutzer. Und Sie haben recht: Das Branding kann zwar helfen, ist aber nicht das Wichtigste. Es geht um Inhalte.

FAST schnell erklärt

  • FAST steht für Free Ad-supported Streaming Television und ist im Grunde nichts anderes als ein linearer Sender, der eben nur online ausgespielt wird. Anders als die großen SVoD-Dienste setzen FAST-Anbieter ausschließlich auf Werbeeinnahmen und sind für die Nutzerinnen und Nutzer kostenlos verfügbar. In den meisten Fällen sind auf einem FAST-Channels thematisch ähnliche Formate zu sehen. Oder es gibt gleich ganze Kanäle für eine Sendung, die dort dann 24/7 zu sehen ist.

Und die verschärfte Konkurrenzsituation?

Wenn ein Markt wächst, kommen neue Player hinzu. Ich finde das sehr gut, denn es hilft, den Markt noch größer zu machen. Es sind neue, reine FAST-Anbieter dazugekommen, aber auch die klassischen Sender setzen verstärkt auf FAST. Das ist spannend, denn es zeigt das Potenzial des Markts. Es hilft, wenn mehrere Anbieter zu Werbetreibenden gehen und ihnen erklären, warum auch sie in FAST investieren sollen. Ich glaube, wir sind erst am Anfang von etwas Größerem, das gilt sowohl für Deutschland als auch weltweit.

Was erwarten Sie?

Der US-Markt wächst weiterhin sehr stark, aber ist natürlich schon auf einem anderen Niveau. Ein großer Anteil des Wachstums entfällt mittlerweile auf die internationalen Märkte, vor allem Europa. Das Sehverhalten der Menschen wird sich weiter ändern, es geht alles noch mehr in Richtung Streaming. In der "alten Welt" gab es früher Free- und Pay-TV. Ich bin davon überzeugt, dass es in der Streaming-Welt künftig neben einem großen Pay-Angebot auch einen Free-Markt geben wird. Werbung wird eine entscheidende Rolle im Streaming spielen, 2024 war das beste Beispiel dafür. Viele große SVoD-Anbieter sind da auf den Werbezug aufgesprungen. Und das, obwohl sie teilweise jahrelang das Gegenteil behauptet hatten. Mittelfristig wird der Unterschied zwischen FAST und AVoD verschwinden. Die Rede wird dann nur noch von werbefinanziertem Streaming sein.

In der "alten Welt" gab es früher Free- und Pay-TV. Ich bin davon überzeugt, dass es in der Streaming-Welt künftig neben einem großen Pay-Angebot auch einen Free-Markt geben wird.  


Dass Netflix, Disney+ und Prime Video jetzt auch groß in die Werbung einsteigen, sehen Sie nicht als Gefahr für das eigene Geschäftsmodell?

Nein. Ich glaube, das wird die Dynamik im Streaming-Markt sogar noch beschleunigen. Laut GroupM werden die Werbeumsätze im Streaming in den USA ab 2029 größer sein als die des klassischen Fernsehens. Wenn der Trend mehr in Richtung Streaming geht und immer mehr mit Werbung bespielt werden kann, dann werden auch die Werbetreibenden diesem Trend folgen und ihren Fokus ändern.

Blicken wir vielleicht nochmal in die Vergangenheit. Wie lief es werbetechnisch 2024?

Natürlich hat man gesehen, dass der Werbemarkt angespannt war, aber für uns war es ein gutes Jahr. Wir sind mit Pluto TV im Bereich Connected TV (CTV) tätig, dadurch können wir den Werbetreibenden das Beste aus linearem TV und Digital anbieten. Wir haben 2024 mehr als 80 Prozent der gestreamten Stunden auf dem Big Screen verzeichnet. Damit bieten wir eine Werbewirkung wie im klassischen TV, bei einer gleichzeitigen Flexibilität und vielfältigen Targeting-Möglichkeiten.

Wer sind die Userinnen und User von Pluto TV?

Es hängt natürlich vom jeweiligen Channel ab, grundsätzlich erreichen wir aber jüngere Zielgruppen als das klassische lineare Fernsehen. Das Durchschnittsalter liegt bei uns knapp unter 40 Jahren. Unsere Engagement-Raten wachsen nach wie vor zweistellig und monatlich schauen Millionen Menschen in Deutschland Inhalte auf Pluto TV. Zuletzt haben wir einen großen Push durch Sport verzeichnet. Wir haben beispielsweise durch unsere Partnerschaft mit DAZN bereits seit 2023 eine Vielzahl an Darts-Events der PDC live und exklusiv kostenlos im Programm. Der Erfolg der Darts-WM auf Sport1 jüngst zeigt wieder, wie die Zielgruppe von Darts wächst und viele Darts-Fans sind in der Folge zu treuen Zuschauerinnen und Zuschauern von Pluto TV geworden.

Welche Rolle spielt Deutschland für Pluto TV und was erwarten Sie hier für 2025?

Deutschland gehört zu unseren Top-5-Märkten, ist für uns also einer der wichtigsten internationalen Märkte. Das betrifft die Bereiche Umsatz, Nutzung und Engagement. Wir richten also besondere Aufmerksamkeit auf Deutschland und der Grund ist relativ klar: Deutschland hat einerseits einen großen Werbemarkt und andererseits ist das frei empfangbare Fernsehen hier traditionell sehr stark. Die Bereitschaft, für Inhalte zu zahlen, ist in Deutschland geringer als anderswo. Wenn man es schafft, eine kostenlose Premium-Streamingplattform auf die Beine zu stellen, kann man sich sicher sein, dass das Interesse der Menschen sehr hoch ist. Das machen wir.

Wohin geht es inhaltlich 2025?

Sport wird für uns ein großes Thema bleiben. Die Partnerschaft mit DAZN hatte ich schon angesprochen, zuletzt hatten wir eine Kooperation mit der Darts Modus Super Series angekündigt, die unser Portfolio an exklusivem Live-Sport nochmal massiv erweitert. Parallel dazu erweitern wir unser Content-Portfolio und sind immer stärker auf der Suche nach Exklusivität. Wir hatten in der Vergangenheit bereits erste Free-TV-Premieren auf Pluto TV, etwa von "Star Trek: Picard" oder auch "13 Reasons Why". Das wollen wir verstärken und gleichzeitig sind wir auf der Suche nach neuen, lokalen Inhalten. Hier arbeiten wir mit vielen lokalen Partnern, eine Show wie "Hausmeister Krause" gehört zu unseren Top-Performern.

Deutschland gehört zu unseren Top-5-Märkten, ist für uns also einer der wichtigsten internationalen Märkte.


Was läuft bei Pluto TV eigentlich gut und was nicht? Und gibt’s da Unterschiede in den verschiedenen Ländern?

Was nicht funktioniert, bleibt in der Regel nicht auf dem Dienst (lacht). Das ist das schöne beim FAST: Unser Job ist es, ständig neue Channels zu testen und zu starten. Aber genau so müssen wir Channel wieder einstellen, wenn sie nicht performen. Ich motiviere mein Team auch dazu, Channels offline zu nehmen, wenn sie nicht funktionieren. Generell sind wir mit Comedy-Inhalten sehr erfolgreich, "Anger Management" läuft aktuell sehr gut in Deutschland. Crime und True Crime sind außerdem sehr beliebt, bestenfalls mit abgeschlossenen Handlungen pro Folge. Weniger gut funktionieren horizontal erzählte Inhalte, da gehen die Zuschauerinnen und Zuschauer lieber ins SVoD. Da unterscheiden sich die deutschen Userinnen und User auch nicht so sehr von denen aus anderen Ländern, das Sehverhalten ist relativ ähnlich. Natürlich gibt es ein paar Unterschiede, aber Crime und Comedy funktionieren überall. Sehr gut für uns ist es außerdem, wenn wir bestimmte Nischen besetzen.

Haben Sie da ein Beispiel?

Anime hat eine fantastische Zielgruppe, die auch in Social Media sehr präsent ist. Zuletzt hatten wir in Frankreich einen großen Erfolg mit solchen Inhalten und haben eine ganze Anime-Kategorie aufgebaut. Ein anderes Beispiel ist Western. Das ist etwas, das ausnahmsweise mal nicht vor allem auf die jüngere Zielgruppe abzielt. Aber es ist ein Genre, das früher in der Primetime gelaufen und mittlerweile komplett von klassischen TV-Sendern verschwunden ist. Auch SVoD-Plattformen bedienen dieses Genre kaum. Mittlerweile haben wir in fast allen Ländern Western-Channels und haben damit neue Zielgruppen erschlossen.

Nochmal generell zu FAST und dem Gesamtmarkt: Trotz des Booms in den vergangenen Jahren habe ich das Gefühl, dass mittlerweile eine Art Konsolidierung stattfindet. Es sprießen nicht mehr jede Woche neue Angebote aus dem Boden. Sehen Sie das auch so?

2022 und 2023 war FAST ein Buzzword. Die Folge davon war, dass viele Anbieter eigene FAST-Channels gelauncht haben. Viele davon waren aber gar keine richtigen FAST-Channels. Das waren Playlists mit 20 Stunden an Inhalten, das ist kein FAST-Channel - sondern schlicht ein schlechtes Konzept. Ich würde nicht von einer Konsolidierung sprechen, vielleicht ist es am ehesten noch eine Konsolidierung der Qualität. Am Ende liegt die Wahrheit bei den Userinnen und Usern. Viele damals gestarteten Angebote waren nicht erfolgreich und deshalb gibt es sie heute nicht mehr. Die Player, die jetzt am Markt sind, setzen auf Qualität und Quantität.

Pluto TV bietet neben FAST auch VoD-Inhalte an. Wie ist da das Verhältnis bei der Nutzung zwischen FAST und VoD?

Der größte Teil der Nutzung entfällt auf die FAST-Channels. VoD ist für uns mehr eine Ergänzung, die wir unseren Nutzerinnen und Nutzern anbieten wollen. Unsere Vision war die Leanback-Experience. VoD spricht da ein bisschen dagegen, aber wir haben festgestellt, dass die Userinnen und User manchmal auch klassisches Catch-Up wollen. Deshalb ist unser VoD-Bereich lediglich eine Catch-Up-Funktion der FAST-Channels, das heißt, die Inhalte, die auf den linearen FAST-Channeln laufen, können nach Ausstrahlung auch on-demand geschaut werden. Unser Fokus liegt klar auf FAST, da sehen wir hohe Nutzungszahlen und starke Verweildauern. Die durchschnittliche Session eines Pluto-TV-Nutzers auf dem Big Screen in Deutschland beträgt mehr als zwei Stunden, das ist massiv.

Was ist die größte Herausforderung für FAST in den kommenden Monaten und Jahren?

Wir sollten aufhören, uns alle im Markt als Wettbewerber zu sehen. Stattdessen sollten wir besser miteinander kooperieren, wir sind Partner. Es geht darum, den Markt gemeinsam zu entwickeln und zu stärken. Partnerschaften werden perspektivisch noch viel wichtiger. In Frankreich haben wir erst im November eine große Zusammenarbeit mit M6 angekündigt. In diesem Zuge bespielen wir den FAST-Bereich von M6 mit Inhalten, sie profitieren hier ganz erheblich von unserer Expertise. Und im Gegenzug dürften wir viele Inhalte der Gruppe auf Pluto TV nutzen. Zum ersten Mal hat M6 damit eigene Inhalte außerhalb des eigenen Systems verfügbar gemacht. Das ist ein wichtiger Meilenstein gewesen. Solche 360-Grad-Partnerschaften sind ein schönes Beispiel dafür, wie man Value in einen Markt bringen kann, der von immer mehr Unternehmen erschlossen wird.

Wir sollten aufhören, uns alle im Markt als Wettbewerber zu sehen. Stattdessen sollten wir besser miteinander kooperieren, wir sind Partner. Es geht darum, den Markt gemeinsam zu entwickeln und zu stärken.  


Klassische Eigenproduktionen stehen aber nach wie vor nicht auf dem Zettel von Ihnen, oder?

In Deutschland haben wir bislang noch keinen Original Content produziert. Wir haben natürlich unseren Live-Content. Wenn eine Darts-Übertragung oder ein Spiel der Handball-Champions-League exklusiv bei uns auf Pluto TV stattfindet, ist das auch ein Original, weil es im frei empfangbaren Bereich nur bei uns zu sehen ist. Manchmal ist bei uns auch die erste Folge einer neuen Serie von Paramount+ zu sehen. In anderen Ländern haben wir außerdem schon in eigenproduzierte Inhalte investiert.

Was waren das für Inhalte?

In Brasilien haben wir beispielsweise zusammen mit Tinder eine Datingshow umgesetzt. In Dänemark haben wir eine Talkshow produziert, obwohl das zunächst nur als Marketing-Aktion geplant war. Aber auf diese Art und Weise können wir Marken, Streamingplattformen und Produktionsfirmen zusammenbringen. Vielleicht kommt sowas auch mal nach Deutschland. Was wir aber niemals machen werden, ist eine klassische Auftragsproduktion im Bereich High-End-Fiction. Das ist einfach nicht unser Business und ganz ehrlich: Es gibt so viel guten Library-Content, den die Menschen immer und immer wieder schauen wollen. Viele Personen wollen Inhalte sehen, die sie schon kennen. Nicht umsonst sind diese Serien auf den großen SVoD-Plattformen oft am beliebtesten. Das ist unser Haupt-Business und hier müssen wir uns daran machen, auch in Zukunft die besten Hidden Gems zu finden.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Jollet!