Herr Bickel, mit welchen Erwartungen gehen Sie in das neue Jahr?

Ich freue mich darauf, dass wir in diesem und dem nächsten Jahr die Früchte ernten dürfen, die wir in den vergangenen Jahren gemeinsam mit unseren Partnern und den Kreativen gesät haben. Auf das Publikum wartet eine ganze Menge an schönen, spannenden, humorvollen und emotionalen Programmen. 

Bei vielen Projekten, wie etwa "Mozart/Mozart" oder "Das zweite Attentat", setzen Sie auf Partnerschaften. Geht es schlicht nicht mehr ohne? 

Doch, es geht schon ohne, so wie etwa bei "Ghosts", einer Serie, die wir als Auftragsproduktion mit BBC Studios Germany realisieren. Aber in der Tat: Je höher der Production Value ist, desto wahrscheinlicher und wünschenswerter ist es, Partnerschaften einzugehen. Idealerweise solche, bei denen am Ende für jeden Partner wirklich mehr herauskommt – was zum Beispiel die Nutzungsrechte angeht. 

Mozart/Mozart © ARD/Story House Pictures GmbH In diesem Frühjahr beginnen im Baltikum die Dreharbeiten für die sechsteilige Serie über Mozarts Schwester.

Wie blicken Sie denn gerade auf den Produzentenmarkt, für den es zuletzt viele Herausforderungen gab?

Mit viel Empathie, weil die Situation tatsächlich für alle nicht bequem ist – und Unternehmer am freien Markt trifft die Situation noch einmal ungleich schwerer. Ich betrachte es daher als Verpflichtung für uns als große ARD-Anstalt, unseren Partnern bei aller Unsicherheit so viel Gewissheit wie möglich zu geben.

Wie schwierig ist das, wenn man selbst nicht weiß, wie die eigene Finanzierung in den nächsten Jahren aussehen wird? 

Der Rundfunkbeitrag ist natürlich ein großes Thema. Wir müssen jetzt abwarten, wie das Bundesverfassungsgericht entscheidet. Ich hoffe, dass die Etatperspektiven für die Fiktion so verlässlich bleiben wie das angesichts des Stellenwerts, den Serien und Spielfilme in der Mediathek haben, eigentlich notwendig ist.  

Wie sehr ärgert es Sie, dass sich die Diskussion um das Filmfördergesetz im vergangenen Jahr zu einer Art Never-Ending-Story entwickelt hat? 

Ich weiß nicht, ob "ärgern" das richtige Wort ist. Immerhin hat der Bundestag vor Weihnachten ein Gesetz beschlossen, psychologisch ein ganz wesentlicher Zwischenschritt für die Branche. Das lässt manches verschmerzen, das nicht drin steht.

Lassen Sie uns über das Inhaltliche sprechen. Noch in diesem Monat startet "A Better Place", eine Serie, die der Frage nachgeht, wie eine Welt ohne Gefängnisse aussieht. Was macht diese Produktion aus Ihrer Sicht so besonders?

Ich glaube, an dieser Serie sind gleich eine Reihe von Dingen besonders, allen voran natürlich das Thema. Dahinter steht ein gesellschaftlicher Diskurs, der sich um die Frage dreht, inwieweit man Menschen im Strafvollzug nochmal eine zweite Chance geben sollte. Die Antwort fällt sicher anders aus, wenn man die Geschichte, so wie wir es bei "A Better Place" tun, aus der Perspektive einer Mutter erzählt, die vor der Wirklichkeit steht, dem Mörder ihres Kindes im Supermarkt zu begegnen. "A Better Place" ist daher auch die klare Aufforderung an unser Publikum, sich auf ganz unterschiedliche Sichtweisen einzulassen und Position zu beziehen. Dazu kommt, dass wir keine ganz klassischen bürgerlichen Milieus erzählen, die wir in fiktionalen Stoffen häufig erleben. Stattdessen setzen wir auf ein sehr diverses Ensemble von Figuren. 

A Better Place © WDR/Studiocanal "A Better Place": Klaus Bäumer (Richard Sammel, l), ein Neonazi und verurteilter Mörder, wird aus dem Knast entlassen.

Das Ziel ist es also, einen Diskurs damit auszulösen? 

Natürlich geht es uns darum, diese Diskussionen, die der Film erzählerisch in der Geschichte führt, fortzusetzen und vielleicht sogar diesen einen Schritt weiterzugehen und nicht nur bei der konkreten Fragestellung zu bleiben. Dann ist man schnell bei dem noch größeren Thema der gesellschaftlichen Toleranz und der sehr aktuellen Frage, wie man sich verständigen kann, wenn man unterschiedlicher Meinung ist. Solche Impulse zu setzen gehört aus meiner Sicht auch zu unserer Aufgabe als Öffentlich-Rechtlicher Rundfunk.

Gibt es eine Art Geheimrezept, was den Erfolg angeht – und zwar sowohl im Linearen als auch in der Mediathek? Ich frage deshalb auch gerade in Bezug auf "A Platter Place", weil die Serie linear zwar um 20:15 Uhr im Ersten startet, aber irgendwann nachts um 3 Uhr zu Ende geht. 

Die Programmierung im Linearen ist ganz bestimmt eine Herausforderung. Allerdings haben wir "A Better Place" vor allem mit Blick auf die Zuschauerinnen und Zuschauer in der Mediathek produziert, also für ein Publikum, das hoffentlich dazu bereit ist, sich intensiv auf dieses Thema einzulassen. Der Start um 20:15 Uhr ist deshalb in erster Linie als Schaufenster zu sehen, um möglichst viele Menschen auf das Angebot in der Mediathek hinzuweisen. 

 

"Was uns ein wenig fehlt, ist die Komödie."

 

Wie verhält es sich bei "Mozart/Mozart", einer groß angelegten Produktion, die Sie zusammen mit dem ORF umsetzen?

Bei "Mozart/Mozart" handelt es sich um eine Produktion, die auf eine sehr breite, zugewandte, populäre Ansprache im Linearen setzt, gleichzeitig aber auch das Publikum in der Mediathek ansprechen soll. Sie überträgt im Prinzip die Logik des modernen Pop- und Unterhaltungsbetriebs auf die Zeit von Wolfgang Amadeus Mozart und seiner weniger bekannten Schwester Maria Anna, deren Perspektive wir erzählen und auch ein bisschen zurechtzurücken. Durch den Erfolg ihres Bruders ist nämlich ein wenig aus dem Blick geraten, dass sie ebenfalls eine sehr talentierte Musikerin war. In unserer Geschichte bekommt sie deshalb die Chance, das allen in der Welt noch mal zu zeigen – verpackt in einer sehr lebhaften, sehr bunten und radikal populären Erzählung und verbunden mit viel Musik. Das ist ein großes Unterhaltungsversprechen für alle zwischen 20 und 99.

Welche Stoffe vermissen Sie aktuell?

Als WDR sind wir im Krimi und im Thriller stark und haben es bei "Mozart/Mozart" mit einem sehr leichtflüßigen Drama zu tun. Was uns ein wenig fehlt, ist die Komödie. Die besondere Herausforderung besteht in diesem Genre darin, Stoffe zu finden, die sowohl linear als auch non-linear ihr Publikum finden. "Ghosts", eine Feelgood-Comedyserie, ist für uns der Versuch, eine breite Ansprache zu finden, zumal wir es mit Meltem Kaptan, Max Giermann, Cristina do Rego und vielen weiteren mit einem herausragenden Ensemble zu tun haben. 

Beim Original handelt es sich um eine BBC-Serie. Gibt es darin denn auch tatsächlich etwas typisch Deutsches?

Wir haben zusammen mit BBC Studios Germany und Yves Hensel, Aylin Kockler, Claudius Pläging und Erik Haffner darauf geachtet, die Serie nicht nur als Rewrite zu betrachten. Wir wollen auf hiesige Verhältnisse zugeschnittene Figuren entwickeln und mit der hiesigen Art, komödiantisch zu erzählen, eigene Akzente setzen – wenn auch im Idealfall mit einem kleinen, britischen Twist. 

Ghosts © WDR/BBC Studios/Frank Dicks Die Geister kommen nach Deutschland: WDR und BBC Studios Germany drehen Comedyserie "Ghosts" für ARD-Mediathek.

Ein weiteres, mit Robert Stadlober, Anna Schudt und Armin Rohde sehr prominent besetztes Projekt ist "Hundertdreizehn". Darin geht’s zunächst mal um eine statistische Schicksalszahl. Wie groß ist die Herausforderung, daraus eine spannenden Serienstoff zu kreieren? 

Die Herausforderung ist vorhanden, keine Frage, aber ich bin sehr zuversichtlich, dass es Arndt Stüwe und Rick Ostermann mit ihrer Energie gut gelingen wird, sie zu meistern. Die Kunst liegt darin, diese Zahl, die sinnbildlich für die Menge an Schicksalen steht, die bei einem Unglücksfall miteinander verbunden sind, als Ausgangspunkt für ein großes Geheimnis zu nehmen, das wir erzählen. Und auch wenn ein tragisches Busunglück im Zentrum steht, wollen wir das Publikum nicht beschweren, sondern gut unterhalten und sogar mit leichten, emotionalen Momenten überraschen. 

Bei so vielen Serienprojekten stellt sich die Frage, wie viel Kapazitäten eigentlich noch für den klassischen 90-Minüter vorhanden sind. 

An den Einzelstücken halten wir fest. Wir haben beim WDR tatsächlich gerade viele Serien in der Entwicklung und Realisierung und mussten deshalb bei den Einzelstücken ein bisschen kürzer treten. Gleichzeitig haben wir uns aber ganz klar dazu zum Mittwoch als Fernsehfilmplatz bekannt, und tun viel dafür, hier auch weiterhin mit herausragenden Einzelstücken sehr bemerkenswertes Programm machen. Im nächsten Jahr drehen wir beispielsweise einen in Köln spielenden Fernsehfilm mit dem Titel "Für euch", basierend auf einem Roman von Iris Sayram. Dazu kommen die Mystery-Reihe "Wäldern" und die Medical-Reihe "Therapie und Praxis", eine Working Place Reihe über den Alltag der Mitarbeitenden eines Essener Klinikums.

 

"Das Regionale mit seinen Geschichten von Hier ist ein echtes Alleinstellungsmerkmal."

 

Weil Sie gerade Köln und Essen angesprochen haben: Wie wichtig ist es für Sie eigentlich noch, die Stoffe in Nordrhein-Westfalen anzusiedeln? Bei einer Produktion wie "Mozart/Mozart" wird das ja kaum möglich sein.

Mozart im Rheinland macht wenig Sinn, da haben Sie recht. (lacht) Wenn wir uns aber fragen, was wir als WDR in diese unüberschaubar breite Welt der Medienangebote einbringen können, dann ist das Regionale mit seinen Geschichten von Hier ein echtes Alleinstellungsmerkmal. Darin sehe ich für die Zukunft eine große Chance, übrigens auch für den Standort NRW, wo es uns in besonderem Maße darauf ankommt, mit den Firmen und Talenten aus unserer Region zusammenzuarbeiten. 

Serien explizit fürs Dritte Programm spielen aber dennoch keine Rolle mehr, oder?

Das WDR Fernsehen hat ganz sicher seine Existenzberechtigung, und man kann auch dort viel Fiction von uns sehen. Aber wir bündeln unsere Kräfte klar für die ARD Mediathek und das Hauptprogramm. Von Serien, die rein für das Dritte Programm gemacht werden, haben wir daher Abstand genommen. 

Eine der erfolgreichsten WDR-Serien der vergangenen Jahre war tatsächlich sehr lokal verankert, nämlich "Mord mit Aussicht", von deren Neuauflage es inzwischen zwei Staffeln gibt. Wie zufrieden sind Sie damit? 

"Mord mit Aussicht" besitzt einen ausgesprochenen Kultstatus und uns ist glücklicherweise vor drei Jahren ein sehr erfolgreicher Reboot gelungen – zwar mit neuer Besetzung, aber eben auch mit vielem, das man an dieser Welt auch früher schon kannte und mochte. Wir wollen jetzt die Gelegenheit nutzen, um uns Marie Gabler und all die anderen Hauptfiguren noch einmal genau anzuschauen, um vielleicht so manchen Handlungsstrang noch einmal neu zu justieren. 

Es geht also weiter?

Ja, wir werden alle gewonnenen Erkenntnisse in die sechste Staffel von "Mord mit Aussicht" einfließen lassen und voraussichtlich Ende des Jahres in die Produktion gehen. Die Ausstrahlung wird dann wahrscheinlich Anfang 2027 erfolgen. Lang lebe Hengasch!

Herr Bickel, vielen Dank für das Gespräch.