Herr Wolpers, Herr Göbels, Sie sind beide schon lange bei Brainpool. Wie viel ist nach 30 Jahren noch vom Spirit der Anfangszeit übrig?

Godehard Wolpers: Natürlich wird jede Produktionsfirma von sich behaupten, wie toll sie ist. Aber Brainpool als Theaterbetrieb mit eigenen Studios, eigener Baubühne, Grafik und Fotoredaktion, aber auch mit der langen Geschichte – von der "Wochenshow" über "Pastewka", "Ladykracher" und "Stromberg" bis hin zu "TV total" – ist wirklich etwas Besonderes. All das verbindet und ist wahrscheinlich auch mit ein Grund dafür, warum man hier so lange und gerne arbeitet, allen Schwierigkeiten der vergangenen Jahre rechts und links zum Trotz.

Werden die vermeintlich guten, alten Zeiten in der Rückschau manchmal verklärt?

Florian Göbels: Ich glaube nicht, dass etwas verklärt wird. Aber als Brainpool startete, war das Fernsehen ein anderes und Brainpool profitierte seinerzeit sehr von einem wahren Comedy-Boom. Wer Comedy machen wollte, ging zum Fernsehen – und viele davon zu uns. Die Möglichkeiten haben sich heute, gerade für junge Menschen, massiv verändert.

Wolpers: Klar, damals hatte man sehr viele Spielwiesen im Fernsehen. Aber es ist auch nicht so, dass es heute keine mehr davon gibt. Ich hatte vor einigen Jahren das Glück, zum Beispiel mit Luke Mockridge in relativ kurzer Zeit sehr viel ausprobieren zu können – auch wenn das Ende dann alles andere als glücklich war, wie wir alle wissen. Oder denken Sie an Joko und Klaas. Die dürfen heute im Fernsehen nahezu machen, was immer sie möchten. Was sich verändert hat, ist sicher der lange Atem. Die "Wochenshow" war am Anfang kein Erfolg. Der stellte sich nur ein, weil es jemanden gab, der an die Sendung geglaubt hat. Leider Gottes sind auch die 22-Uhr-Sendeplätze, wie es sie früher zuhauf gab, über die Jahre hinweg verschwunden, weil sich die Sender aus wirtschaftlichen Gründen auf die Primetime um 20:15 Uhr konzentrieren. Auf diesen Sendeplätzen sind aber alle Stars groß geworden, durften sich ausprobieren, lernen und Publikum einsammeln. Viele Formate war in der Regel netto sogar nur 23 Minuten lang.

Die Wochenshow © IMAGO / teutopress "Die Wochenshow", hier mit Markus Maria Profitlich, Anke Engelke, Ingolf Lück und Bastian Pastewka, prägte von 1996 bis 2002 die Comedy in Sat.1.

Allerdings sind durch Ihr Haus auch die bis weit nach Mitternacht ausgedehnten Shows salonfähig geworden. Stichwort "Schlag den Raab"...

Göbels: Die "Wok-WM" und später "Schlag den Raab" waren die ersten Shows mit einer solchen Sendelänge. Ich glaube, die längste Ausgabe von "Schlag den Raab" war gegen 2:30 Uhr zu Ende. (lacht)

Folgte das von vornherein einem Masterplan?

Göbels: Das war keine Absicht, es hat sich so ergeben. Vielmehr war es anfangs ein Risiko. Gerade die "Wok-WM" erwies sich als derartiges Logistikmonster, dass erst während der Show klar wurde, wie lange das alles dauert. Irgendwann hat man dann aber natürlich festgestellt, dass es dem Marktanteil hilft, wenn etwas später Schluss ist. Andererseits hatten wir auch "Schlag den Star"-Ausgaben, die nach vier Stunden vorbei waren und trotzdem sehr gute Quoten hatten.

 

"Sebastian Pufpaff hat andere Stärken als Stefan Rabb und die passen vielleicht etwas besser in die Form unseres neuen 'TV total' und damit vielleicht auch sogar ein bisschen besser in die aktuelle Zeit."
Florian Göbels

 

Viele dieser langen Shows, die bei Brainpool entstehen, laufen schon seit vielen Jahren. Ist das eigentlich noch zeitgemäß?

Göbels: Die Zahlen sprechen erstmal dafür, dass diese Shows noch funktionieren. Länge ist allerdings kein Selbstzweck, es muss sich aus der Dramaturgie ergeben. Es ist wichtig, immer wieder neue Impulse zu setzen: wir haben zum Beispiel ganz frisch das neue "TV total Promi-Wrestling" aufgezeichnet.

Wolpers: Neue Impulse gelten ja auch bei allen anderen Formaten. So wie wir es gerade bei unserer neuen Comedyshow "Fake News - Alles erstunken und erlogen" für ProSieben versuchen. Das ist Comedy weitergedacht in die heutige Zeit, indem wir bewusst mit KI arbeiten. Eigentlich eine naheliegende Idee. Ich bin fast überrascht, dass das bisher nach unserem Kenntnisstand noch niemand in der Welt gemacht hat. 

Göbels: Bei "TV total" wiederum sieht man außerdem, wie wichtig es ist, ein Format weiterzuentwickeln. Klar, Sebastian Pufpaff hat aus alter Tradition heraus auch Stefans Raabs Job bei der "Wok-WM" oder beim "Autoball" übernommen. Aber beide sind unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen Fähigkeiten. So ist dann auch der "Bundesvision Comedy Contest" entstanden, eine klare Sebastian-Pufpaff-Veranstaltung. Puffi kommt aus der Standup-Comedy und will ganz bewusst junge Comedy-Talente fördern. Er hat andere Stärken als Stefan und die passen, meiner Meinung nach, vielleicht etwas besser in die Form unseres neuen "TV total" und damit vielleicht auch sogar ein bisschen besser in die aktuelle Zeit.

Lässt sich an "TV total", gerade im Vergleich zu Stefan Raabs neuer RTL+-Show, ablesen, wie sich der Humor in all den Jahren verändert hat? 

Wolpers: Ich glaube nicht, dass ich mit Anfang 20 über andere Sachen gelacht habe als jetzt mit 57. 

Göbels: Humor ist sicher auch eine Frage des Mediums. Würden wir uns bei "TV total" hinstellen und nur noch junge Witze machen, dann wären wir zur falschen Zeit im falschen Medium. Klar kann man jetzt darüber aufregen, dass Stefan Raab die gleichen Witze wie vor 20 Jahren macht. Aber wenn Oasis ihr Comeback geben, dann wollen die Leute auch, dass die so klingen wie früher. 

Manche würden von 90er-Jahre-Humor sprechen. 

Göbels: Das hat schon Roland Kaiser in der Laudatio zum Deutschen Fernsehpreis gesungen. Ganz ehrlich, aber der wusste doch gar nicht, was das eigentlich heißt. Das ist ein Begriff, der meiner Meinung nach überhaupt keinen Sinn macht. Ich glaube, es sind eher die Themen, gar nicht der Gag an sich. Denn ein Gag ist ein Gag, und entweder erwischst du den Richtigen oder den Falschen. Und wenn du den Falschen erwischt hast, dann hast du vielleicht eher auf das falsche Thema gesetzt. Oder du hast jemanden tatsächlich beleidigt. Dann wird’s natürlich immer schwierig.

Fake News © Joyn / Steffen Z. Wolff Der jüngste Brainpool-Neustart: "Fake News - Alles erstunken und erlogen" mit Linda Zervakis bei ProSieben.

Wolpers: Ich habe gerade erst einen Artikel darüber gelesen, dass junge Comedians bei ProSiebenSat.1 angeblich überhaupt nicht stattfinden würden. Aber mit Verlaub, das ist wirklich Quatsch. Wir produzieren demnächst unter anderem die dritte Staffel "Bratwurst und Baklava - Die Show" und haben Anfang Januar vier große Aufzeichnungen zu "Die besten Comedians Deutschlands" für Sat.1 mit insgesamt 40 Comedians. Ja, da sind große, bekannte Künstler mit dabei, aber eben auch die kleinsten Newcomer, die vor ein paar Wochen noch zum ersten Mal in unserem Nightwash-Waschsalon auf der Fensterbank standen. Und später schicken wir die Show auch noch zusammen mit Sat.1 auf Tour durch die großen Hallen. Im Übrigen auch der Beweis, dass man auch heute noch eine neue Comedy-Marke etablieren kann, auch wenn natürlich jetzt einige Fragen werden, was genau denn eigentlich neu an der Idee ist, zehn Comedians auf die Bühne zu stellen.

Was antworten Sie darauf?

Wolpers: Auch eine Stand-Up-Mixshow ist Handwerk. Es ist nicht nur der eine Künstler, der da auf der Bühne steht. Da geht es um Live-Atmosphäre, den richtigen Mix und etwa um die Frage, ob man aus dem Studio heraus produziert oder On-Location geht, zu welcher Uhrzeit man beginnt, kommt das Publikum freiwillig dahin oder wird es hingeprügelt.

Was ist denn die beste Uhrzeit, um eine Comedyshow aufzuzeichnen? 

Wolpers: 20 Uhr! Zeit genug zum schick machen, hinfahren, was trinken. Jeder ehrliche Lacher im Saal überträgt sich idealerweise auch auf dem Schirm.

 

"Letztendlich wurde auf Stefans Planeten nur das umgesetzt, was er gut fand – und was er nicht gut fand, wurde eben nicht umgesetzt."
Godehard Wolpers

 

Wir sprachen gerade schon über Stefan Raab, der über viele Jahre hinweg einer der Taktgeber im Haus war. Wann war Ihnen klar, dass er sich von Brainpool trennen will?

Göbels: Die Trennung war ein beidseitiger Prozess. Es war in dem Moment klar, als Marcus und Stefan diese gemeinsam dem Team verkündet haben.

Wolpers: Ansonsten hatten wir keine Kenntnisse über den D-Day. (lacht)

Göbels: Stefan hatte die Rückkehr von "TV total" ja noch mit angestoßen, und als die Entscheidung fiel, war die Sendung bereits gut zwei Jahre mit Puffi sehr erfolgreich – in einer etwas neuen Variante, die klar für die Primetime gemacht war und weniger auf Late-Night-Elemente setzte. 

Und trotzdem hat es augenscheinlich das Bedürfnis gegeben, auseinanderzugehen. 

Göbels: Ich weiß nicht, ob Bedürfnis das richtige Wort ist. Essen, schlafen, Fußball sind Bedürfnisse. Man hatte unterschiedliche Strategien für die Zukunft. 

Wolpers: Man sollte, gerade im Rückblick auf die vergangenen 30 Jahre, nicht vergessen, dass Brainpool Stefan Raab wahnsinnig viel zu verdanken hat. Ohne ihn hätte es dieses tolle Konstrukt, diese Firma, die Jörg Grabosch mit weiteren Wegbegleitern aufgebaut hat, in dieser Form niemals gegeben. Letztendlich wurde dann aber auch auf Stefans Planeten nur das umgesetzt, was er gut fand – und was er nicht gut fand, wurde eben nicht umgesetzt. Aber die Welt dreht sich weiter und Stefan ist jetzt seit einem Jahr weg. Und trotzdem war es, bei allem Respekt, das erfolgreichste Brainpool-Jahr seit 2016.

Stefan Raab und Walter Freiwald 1999 © IMAGO / United Archives Stefan Raab und sein Gast Walter Freiwald im Jahr 1999 bei "TV total".

Seit dem Jahr also, als Stefan Raab aus dem Fernsehen verschwand. 

Wolpers: Für Brainpool war das damals der größte Einschnitt, auch emotional. Sie dürfen nicht vergessen, dass wir uns damals von 80 namhaften Kolleginnen und Kollegen trennen mussten. Die Entscheidung mussten die damaligen Gesellschafter und Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ausbaden, nicht der Künstler. 

Göbels: Stefans Rückzug erfolgte Ende 2015 und allen war klar, dass da nun ein Riesenklotz an Sendungen wegfallen würde. Wir haben danach versucht, diesen Wegfall so gut wie möglich zu kompensieren – beispielsweise mit "Schlag den Star" oder Kegeln und Curling bei RTLzwei. 

Wolpers: Stefan hat ja relativ intensiv hinter den Kulissen als Produzent gearbeitet. Ich fand es schon bemerkenswert, dass sich ein Mensch, der so lange vor der Kamera erfolgreich war und seine Schäfchen im Trockenen hat, noch einmal die Mühe macht, im täglichen Produzenten-Zirkus mitzumischen und sich mit den einzelnen Logos, den Trailern oder der Deko hinten links auseinanderzusetzen.

Stefan Raab war in all den Jahren aber nicht der einzige prägende Kopf.

Wolpers: Wir alle haben vor allem Jörg Grabosch, der Brainpool 1994 zusammen mit Martin Keß und Ralf Günther gegründet hat, wahnsinnig viel zu verdanken – auch dank der Bereitschaft, immer wieder ins finanzielle Risiko zu gehen. Ein Bülent Ceylan zum Beispiel trat zu der Zeit nur im Capitol vor 700 Zuschauern in Mannheim auf. Trotzdem hat Grabosch allein Künstler und Sender überzeugen können, ihn in der SAP-Arena vor 10.000 Menschen für RTL aufzuzeichnen – und das war, wie wir heute alle wissen, ein riesiger Erfolg. Solche Talente zu einem frühen Zeitpunkt zu erkennen und daneben auch noch diese Firma mit all ihren Tochterfirmen wie Brainpool Live, Banijay Media oder dem Studio-Dienstleister Cape Cross, um nur einige zu nennen, aufzubauen, ist eine wahrlich große Leistung. 

 

"Comedy ist für uns als Alleinstellungsmerkmal weggefallen, weil auch andere Firmen dieses Genre für sich entdeckten und gleichzeitig der Markt größer und die Ausspielwege vielfältiger geworden sind."
Godehard Wolpers

 

Brainpool war lange Zeit ein Einzelkämpfer, gehört nun aber schon seit einigen Jahren zu Banijay. Wie hat sich durch diesen Riesenkonzern im Hintergrund das Arbeiten verändert?

Wolpers: Es gibt jetzt Yoga im "Schlag den Star"-Studio. (lacht)

Göbels: Ich habe ja im Laufe der Jahre einige Wechsel mitbekommen, zumindest im Oberbau. Brainpool war mal eine GmbH, dann eine AG, gehörte mal zu Viva, Viva gehörte mal zu... ich weiß gar nicht mehr, wie die alle hießen, weil wir zu dem Zeitpunkt einfach immer weitergearbeitet und das gemacht haben, was wir am besten können, nämlich Fernsehen zu machen. Jetzt sind wir unter dem Banijay-Dach und einige andere gehören auch noch dazu. Dennoch können wir auch weiterhin ziemlich eigenständig arbeiten.

Wolpers: Marcus Wolter lässt uns auch nach wie vor autark Projekte betreuen, an die wir glauben. Aber natürlich waren die Zeiten auch schon vor sieben oder acht Jahren andere als in den Anfängen. Comedy ist für uns als Alleinstellungsmerkmal weggefallen, weil auch andere Firmen dieses Genre für sich entdeckten und gleichzeitig der Markt größer und die Ausspielwege vielfältiger geworden sind.

Neben der Comedy war immer auch das recht strenge Beharren auf die Rechte an eigenen Produktionen ein Alleinstellungsmerkmal von Brainpool. Lässt sich darauf im Jahr 2024 noch beharren?

Wolpers: Brainpool investiert in Rechte, in Künstlerinnen und Künstler und Projekte. So haben wir zum Beispiel "Fake News" oder "Bratwurst & Baklava" auf eigene Faust pilotiert und erst anschließend den Sendern vorgestellt. Auch Stromberg haben wir gemeinsam mit MadeFor und Banijay Media auf eigenes Risiko wieder angeschoben und verwerten die Marke im Kino, bei Amazon und bei ProSieben. Will heißen: wir investieren in Rechte und Talente und gehen ins Risiko. Im Erfolgsfall gehört uns dann auch ein Teil dieser Rechte. Das hat mit "beharren" wenig zu tun. 

Heute Abend feiert Brainpool in Köln Geburtstag. Was haben Sie sich vorgenommen?

Wolpers: Wir wollten bewusst keine große Party mit lauter Musik und einer Ansprache vorweg, sondern einen Abend mit vielen Weggefährten verbringen. Wir haben alle eingeladen, die irgendwann in den letzten 30 Jahren vor oder hinter der Kamera bei Brainpool gearbeitet haben. Wir feiern im Kölner Cinedom und zeigen den heißesten Scheiß, der jemals von uns produziert worden ist. Es gibt die größten Flops und die legendären Weihnachtfilme – und wer schon einmal bei einer Brainpool-Weihnachtsfeier war, weiß, worüber ich rede. Das wird ein ganz großes Klassentreffen. 

Herr Wolpers, Herr Göbels, vielen Dank für das Gespräch.