Herr Schlegl, Sie haben sich vor acht Jahren aus dem Fernsehen zurückgezogen, um Notfallsanitäter zu werden. Jetzt machen Sie für den NDR eine Reportage, in der Sie sich mit Drogen beschäftigen. Sind Sie also, um im Bild zu bleiben, beim Fernsehen rückfällig geworden?
Drogen sind ein Thema, das mich nicht mehr loslässt, seit ich 2016 mit einer Notfallsanitäter-Ausbildung begonnen habe. Seither hatte ich viel mit Leuten zu tun, die Drogen nehmen – das sind für Menschen, die im Rettungsdienst arbeiten, nicht immer einfache Patienten, weil man auch auf die Eigensicherung achten muss. Mich hat deshalb schon lange interessiert, warum es so viele Menschen gibt, die illegale Drogen nehmen. Aus diesem Grund habe ich für das ZDF-Magazin "Frontal" im vergangenen Jahr auch schon mal einen kleinen Internet-Clip zu diesem Thema gedreht. Daraufhin kam die wunderbare Produktionsfirma Doclights um die Ecke und schlug mir vor, zusammen mit dem NDR, meiner alten Liebe, eine Doku zu machen.
Haben Sie gezögert?
Ich musste schon ein paar Tage überlegen, ob ich das mache, weil ich mich seit 2016, als ich mich bei "Aspekte" verabschiedete, nur auf kleine Projekte konzentriert habe. Ich war so gesehen zwar nie wirklich komplett raus, aber habe mir sehr gefallen in dieser Outsider-Rolle, also allenfalls ab und zu mal in den Medien aufzutauchen. Weil mir das Thema Drogen durch meinen beruflichen Alltag so am Herzen liegt, habe ich mich aber schließlich darauf eingelassen, und ich finde, das Ergebnis ist wirklich gut geworden.
Sie haben also nichts verlernt?
Ich wusste anfangs wirklich nicht, ob das was wird und vermutete, dass mein Reporter- oder Moderatoren-Dasein irgendwie eingerostet ist. Aber das Gegenteil war der Fall. Nach den Drehtagen bin ich zufrieden nach Hause gegangen und musste mir eingestehen, dass die Arbeit wirklich Bock gemacht hat. Ich habe nach meinem Rückzug zwar nie alle Brücken eingerissen, aber jetzt ist die Liebe wieder ein bisschen entflammt. Es hat mich selbst überrascht, wie gern ich das gemacht habe.
Inwiefern hat sich Ihr Verhältnis zum Fernsehen dadurch verändert?
Ich gebe Ihnen jetzt die Headline: Ich bin wieder da... Jedenfalls ein bisschen. (lacht) Zumindest hat es sich für mich so angefühlt. Mir ist bewusst geworden, dass ich beides brauche; dass ich nicht zu 100 Prozent im Blaulichtbereich, im Rettungsdienst oder im Kriseninterventionsteam arbeiten kann, weil ich in diesem Umfeld mit so viel Tod, Schrecken und Leid konfrontiert werde. Wissen Sie, ich habe ein paar Kolleginnen und Kollegen gesehen, die mit der Zeit ihre gesamte Empathie verloren haben, die völlig abgestumpft sind. Das will ich nicht. Deshalb benötige ich als Ausgleich noch eine andere Welt. Um die Blaulichtwelt weiter durchziehen zu können, brauche ich das Schreiben und ja, vielleicht brauche ich auch das Fernsehen wieder.
2016 haben Sie dem "Stern" ein bemerkenswertes Interview gegeben, in dem Sie über Ihren geplanten Rückzug sprachen, der ja auch ein Risiko darstellte. Wie ist es Ihnen in den Monaten danach ergangen?
Das war ein Wieder-Klein-Machen, ein Wieder-Lehrling-Sein, Azubi-Sein. Das war eine Zeit, in der ich auch mal angeschrien wurde. Wenn man Fehler macht, ist es schon ein ziemlich rougher Bereich. Aber ich hatte Bock und brauchte diesen neuen Impuls, weil ich nach 20 Jahren als Moderator von Viva bis "Aspekte" für mich im Fernsehen alles durchgespielt hatte. Mit der Entscheidung von damals bin ich auch heute noch total glücklich, auch wenn mein Konto in der dreijährigen Ausbildung nicht immer glücklich war. Ich durfte unzählige Menschen retten, war im Mittelmeer im Einsatz. Das prägt. Wenn Sie einen 40-jährigen Mann auf der Straße reanimieren und der sich später im Krankenhaus bedankt, dann ist dieser Moment millionenfach stärker als jeder Applaus in einer Fernsehshow.
Erinnern Sie sich an den Moment, in dem Sie zum ersten Mal ein Menschenleben gerettet haben?
Nein, ich kann mich eher an den ersten Moment erinnern, als es nicht passiert ist. Das war tatsächlich ein Drogenfall, relativ früh in meiner Notfallsanitäterausbildung. Wir wussten, der Mann hat was genommen, und plötzlich setzte seine Atmung aus. Direkt vor meinen Augen. Wir mussten ihn reanimieren, haben das auch sehr lange gemacht. Später kam er zwar noch in die Klinik, aber uns erreichte schließlich die Nachricht, dass er es nicht geschafft hat. Das war mega frustrierend. So etwas nimmt man nach der Schicht mit nach Hause. Aber man muss lernen, dass du in vielen Fällen, wenn es so hart auf hart kommt, auch mal zu spät kommst. Das zu akzeptieren, ist allerdings echt schwierig.
Da benötigt man vermutlich manchmal selbst Hilfe, oder?
Ich bin ja auch im Kriseninterventionsteam. Wir leisten quasi Erste Hilfe für die Seele – also psychosoziale Notfallversorgung, wenn wirklich was Hartes passiert ist, ein Unfall mit Todesfolge beispielsweise oder ein Suizid und Gewalttaten, aber auch das Überbringen von Todesnachrichten. Ich bin also dabei, wenn die Polizei das ausspricht und bleibe auch dann in der Wohnung, wenn die Polizei geht. Vieles von dem, was man dort miterlebt, ist schwer zu verarbeiten, weshalb wir eine Supervision mit Psychotherapeuten bekommen. Die geben uns immer wieder sehr eindringlich zu verstehen: Leute, macht diesen Job nicht komplett! Sucht euch noch was Anderes. Und das habe ich, um noch einmal den Bogen zu spannen, jetzt mit dem Fernsehen wieder gefunden.
"Ich hatte das Gefühl, dass ich die Maschine mal anhalten musste."
Ich stelle mir gerade vor: Der ehemalige Fernsehmoderator steht plötzlich bei Hinterbliebenen in der Wohnung. Da sind Sie doch sicher auch schon mal erkannt worden.
Das sind wirklich ungewöhnliche Momente, wenn sich die beiden Welten berühren. Aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Leute das gar nicht schockt. In Momenten, in denen sie mit einem derart großen Unglück konfrontiert sind, achten sie auch erst mal nicht darauf, wer da eigentlich genau in ihrer Wohnung steht. Manchmal, nach zwei oder drei Stunden, kommt es jedoch vor, dass die Menschen auftauen und sie dich tatsächlich erkennen und darauf ansprechen. Das ist aber ein gutes Zeichen, denn wenn sie das tun, haben sie schon eine Entwicklung mitgemacht. Ich erinnere mich aber auch eine Situation im Rettungswagen. Da machte eine Frau plötzlich die Augen auf und fragte: Ey, was habt ihr mir gegeben? Ich sehe hier Tobi Schlegl! Ich konnte ihr dann aber schnell erklären, dass das alles seine Richtigkeit hat.
Sie sprachen eben den Verdienst an, den Sie als Notfallsanitäter bekommen. Wie haben Sie diesen Unterschied im Vergleich zu Ihrer früheren Arbeit wahrgenommen?
Das hatte schon eine Radikalität. Und trotzdem war es für mich okay. Ich hatte ja den Vorteil, dass ich mir durch meine 20-jährige Arbeit ein bisschen was ansparen konnte. Deshalb habe ich das einfach riskiert. Aber klar: Das war in vielen Bereichen volles Risiko, weil ich nicht wusste, ob ich das durchstehe, übrigens auch psychisch. Aber das war mir egal. Ich brauchte genau diese Radikalität, diesen Impuls. Und das war stärker als alle Benefits, die mir das Fernsehen bis dahin gab.
Was hat Sie an der Fernsehwelt gestört?
Es tut mir total leid, ich würde jetzt gerne die große Abrechnung liefern, aber...
So war das nicht gemeint. Aber Sie haben ja angesehene Formate moderiert, allen voran "Extra 3" und "Aspekte".
Natürlich, diese Sendungen sind eigentlich ein Geschenk. Und doch hatte ich irgendwann das Gefühl, mich in einer Repeat-Schleife zu befinden. Vieles hatte sich wiederholt. Die Formate besaßen zwar Relevanz und Tiefe, aber das hat mir trotzdem nicht gereicht. Vielleicht auch, weil ich mit 17 Jahren in diesen Job reingerutscht und dann nicht mehr rausgekommen bin. Das war nicht wie bei einem Schauspieler, der auch mal drei, vier Monate nicht weiß, was er machen soll, sondern es kam immer Schlag auf Schlag. Ich hatte deshalb mit der Zeit das Gefühl, dass ich die Maschine mal anhalten musste, weil das sonst gar nicht mehr aufhört und ich alles wegmoderiere, bis ich irgendwann unter die Erde komme.
Einen nächsten möglichen Schritt in der Fernsehwelt haben Sie also nicht gesehen?
Nein, gar nicht. Da hat mich erstmal überhaupt nichts mehr gereizt.
Sie haben gerade angekündigt, ein Buch geschrieben zu haben über die Zeit, die Sie mit Ihrer Mutter auf dem Jakobsweg erlebt haben. Was hat denn Ihre Mutter dazu gesagt, als Sie damals mit dem Fernsehen aufgehört haben?
Das fand sie nicht gut.
Meist ist es ja umgekehrt. Da warnen die Eltern davor, zum Fernsehen zu gehen.
Genau. Meine Eltern waren die Ersten, die gesagt haben, ich solle mir doch bitte nichts auf meinen ersten Viva-Vertrag einbilden. Nach einem Jahr sei ich ohnehin wieder draußen. Wenn es dann aber doch geklappt hat und man aus freien Stücken aufhören will, heißt es plötzlich: Warum machst du das? Wie ist es denn mit dem sicheren Einkommen? Da plädieren sie dann auf Sicherheit, was ich natürlich verstehen kann. Ich habe in dem Fall trotzdem nicht auf meine Mutter gehört. (lacht)
Jetzt sind Sie dennoch wieder da. Wie soll's weitergehen?
Ich glaube, es ist die Kombination, die das Glück bringt. Der Blaulichtbereich, also der Rettungsdienst und das Kriseninterventionsteam, wird immer Teil meines Lebens sein. 50 Prozent diese Welt, 50 Prozent die andere Welt, also Schreiben und Fernsehen. Es wird sicher nicht mehr die tägliche oder wöchentliche Sendung sein. Aber hin und wieder solche Dokus und Reportagen zu relevanten Themen zu machen, würde mich ganz sicher reizen. Oder vielleicht auch mal zur Abwechslung etwas Leichtfüßiges, etwas rein Unterhaltsames. Nur eines möchte ich ganz sicher nicht...
Und zwar?
Niemand soll auf die Idee kommen, mich zu fragen, ob sie mich mit der Kamera im Rettungswagen begleiten können. Das gibt es doch schon zuhauf.
Herr Schlegl, vielen Dank für das Gespräch.
"Die NDR Story - Von Fentanyl bis Kokain: Drogenreport mit Tobi Schlegl", Montag um 22:00 Uhr im NDR Fernsehen und schon jetzt in der ARD-Mediathek