Für Jetlag hat sie gar keine Zeit: Ebru Atasav Tahranci pendelt wöchentlich zwischen Istanbul, Westeuropa, der Dominikanischen Republik und den USA. Seit dem Einstieg von Acunmedya bei Sport1 wird immer wieder vom „türkischen Medienhaus“ gesprochen, was nicht falsch ist. Dort fing alles an, geht aber inzwischen weit darüber hinaus. Doch das wird die CEO des Unternehmens im Gespräch selbst erklären. Wir hatten die Gelegenheit mit ihr per Videocall zu sprechen als Sie gerade in in ihrem Office in Istanbul war. Die Freigabe des Interviews kam nur wenig später dann schon wieder aus New York. Es ist ein Gespräch mit viel Enthusiasmus beim Thema Strategie. Auch auf die bislang schlechten Quoten der neuen Formate entmutigt sie nicht. Beim Thema Stellenabbau ist sie hingegen kurz angebunden...
Ebru, bevor wir über Sport1 sprechen, können Sie uns kurz Hintergrund geben: Wer ist Acunmedya?
Wir sind ein global aktives Unternehmen in der Unterhaltungsbranche, haben aber als Produktionsfirma in der Türkei angefangen, wo wir internationale Formate wie „Survivor“, „The Voice“ und „Got Talent“ produzieren. 2013 haben wir einen Sender in der Türkei gekauft – und Sie werden nicht überrascht sein, wie sich die Geschichte ähnelt – es war damals ein Nachrichtensender, kein Unterhaltungssender. Wir haben dann alle unsere Unterhaltungsformate auf den Kanal übertragen und innerhalb von sechs Monaten war dieser Sender, TV8, mit einem Marktanteil von 18 % der führende Sender in der Türkei. Wir haben viel darüber gelernt, wie man einen Fernsehsender betreibt und auch vermarktet. Heute ist er sehr stabil, hoch profitabel. 2017 haben wir zum ersten Mal in Griechenland produziert. Wir hatten dort keinen eigenen Kanal, haben uns mit Skai zusammengetan, einem damaligen Nachrichtensender. Also haben wir angefangen, „Survivor“ für sie zu produzieren, und innerhalb von vier Monaten war der Sender Nr. 1 mit einem Marktanteil von 40 Prozent. Sie werden ein Muster erkennen können…
Ein sehr ehrgeiziges Muster ...
Acunmedya begann dann, für immer mehr Länder zu produzieren. Heute sind wir in 14 Ländern aktiv und produzieren 5.000 Stunden Fernsehprogramm im Jahr. Wir haben ein riesiges Production Hub in der Dominikanischen Republik, ein Abenteuerpark auf 3 Millionen Quadratmetern. Ein Land produziert in der Ecke „Survivor“, das nächste Land in der anderen Ecke „Exatlon“. Es ist so groß, dass wir ein eigenes Hotel gebaut haben, damit wir alle unterbringen können. Wir haben auch unsere eigenen Studios in Istanbul. Das soll Ihnen nur eine Vorstellung davon geben, wer wir sind. Und natürlich ist unser Gründer Acun Ilıcalı in der Türkei ziemlich berühmt, weil er nicht nur produziert, sondern auch mehrere Fernsehshows moderiert. Er liebt Unterhaltung – und Sport. Er hat zwei Fußballvereine gekauft, Hull City in Großbritannien und kürzlich NK Maribor in Slowenien. Von unserem Gründer bis hin zu unserem Tagesgeschäft dreht sich bei uns wirklich alles um Sport und Unterhaltung. Wir haben keine anderen Geschäftsbereiche. Wir sind auch nicht Teil eines großen Mischkonzerns, bei dem Fernsehen nur die Nebenrolle spielt. Wir leben fürs Fernsehen, 24/7.
Und jetzt haben Sie eine Chance bei Sport1 in Deutschland gesehen?
Um genau zu sein: Die Gelegenheit kam zu uns. Bernhard Burgener, mit Highlight Communications jetzt unser Partner bei Sport1, hat uns gefunden. Er wusste, was wir tun, und wir kannten Highlight, weil wir auch im Sportrechtegeschäft tätig sind und in der Türkei die Champions League und die Europa League über unseren eigenen Streaming-Dienst Exxen anbieten. Also trafen wir uns, sprachen miteinander und beschlossen, eine Partnerschaft einzugehen, um Sport1 zu einem großartigen Sender zu machen.
"Die Idee, einen Sender zu übernehmen und an die Spitze eines Marktes zu bringen, ist eine spannende Herausforderung."
Was hat für Sie den Ausschlag gegeben, mit 50 Prozent bei Sport1 einzusteigen?
Wissen Sie, unser größter Vorteil, die ganz besondere DNA von Acunmedya, ist der Mut. Wir gehen Risiken ein, wenn wir die Chance auf Erfolg sehen. Und ich meine Erfolg, denn Geld wird dem Erfolg folgen. Die Idee, einen Sender zu übernehmen und an die Spitze eines Marktes zu bringen, ist eine spannende Herausforderung. Wir sind von dieser Idee begeistert. Deutschland war schon immer ein großer und starker Markt, den wir erschließen wollten. Wir haben früher schon mit Sendern verhandelt, aber hatten nie das Gefühl, dass die Bedingungen für uns passten. Deshalb sind wir sehr glücklich über die Idee, die Bernhard Burgener uns vorstellte. In sehr kurzer Zeit waren wir uns einig, haben den Deal vereinbart und abgeschlossen. Und hier sind wir nun: Ganz am Anfang dieses neuen Abenteuers.
Und Sie haben wahrlich keinerlei Zeit verschwendet, um loszulegen. Einige Sendungen sind schon on air, andere wurden bereits angekündigt…
Das stimmt, wir haben schnell angefangen, aber warum nicht? Warum Zeit verlieren? Produktionen sind unser Tagesgeschäft und wir haben laufend Produktionen von „Masterchef“ in der Türkei, „Exatlon“ und „Survivor“ in der Dominikanischen Republik. Es geht nicht darum, sich zu beeilen, aber warum sollten wir uns zurückhalten?
Nun, für das Publikum und die Mitarbeiter war Sport1 bislang in erster Linie ein Sportsender – dass es plötzlich so viel Unterhaltung gibt, einschließlich einer Fashion-Show, ist überraschend…
Wir wollen Sport1 zu einem erfolgreichen Sender für Sport und Entertainment machen, wie unsere anderen Sender auch. Das bedeutet, dass Sport1 kein reiner Sportsender bleibt, aber wir sind zum Beispiel große Fans vom „Doppelpass“. Der bleibt natürlich bestehen.
Planen Sie auch weiterhin, bei Sport1 in neue Sportrechte zu investieren?
Wir sind immer an Sportrechten interessiert. Wie ich bereits erwähnt habe, sind wir als Unternehmen sehr sportbezogen. Und lassen Sie mich das klarstellen: Wir haben nicht vor, Sport1 in einen reinen Unterhaltungssender zu verwandeln. Wir prüfen also definitiv Sportrechte, wie wir es auch für andere Kanäle und OTT-Plattformen getan haben, die wir besitzen. Wir wollen „Doppelpass“ und Darts weiterführen und weiterhin Fußball übertragen. Wir führen das Beste von Sport1 fort und ergänzen Entertainment.
Die Frage steht im Raum: Bleibt Sport1 denn Sport1 oder braucht es eine neuen Namen?
Der Name bleibt vorerst bestehen, weil Sport1 eine sehr gute Marke ist; seit Jahren etabliert und auf dem deutschen Markt sehr bekannt. Wenn wir irgendwann unsere Strategie vollständig umgesetzt haben, werden wir den Namen vielleicht ändern, damit sich auch Entertainment im Namen des Senders widerspiegelt.
"Wenn die Leute jetzt darüber reden, was denn bloß eine Fashion Show bei Sport1 zu suchen hat, dann haben wir schon gewonnen."
Eines der ersten Entertainment-Formate ist „My Style Rocks“, eine Fashionshow. Ist das nicht zum Auftakt der neuen Strategie gleich etwas weit hergeholt?
Nun, unsere erste Produktion „Exatlon“ passt perfekt zu Sport1, da es um Sport und Entertainment geht. Aber wir suchen nicht nur nach sportbezogener Unterhaltung. Ich habe das Sport1-Team vorletzte Woche besucht und genau diese Frage gestellt: Wer bringt eine Fashion Show auf einem Sportsender? Wir tun das! Sport hat ein männliches Publikum, aber um Sport1 zu einem größeren Sport- und Entertainment-Sender zu machen, müssen wir Frauen und jüngere Zuschauer ansprechen, die es vielleicht gewohnt waren, den Kanal zu überspringen. In diesen Bereich müssen wir investieren. Und wissen Sie was? Wenn die Leute jetzt darüber reden, was denn bloß eine Fashion Show bei Sport1 zu suchen hat, dann haben wir schon gewonnen. Heutzutage ist es am schwierigsten, überhaupt erst einmal Aufmerksamkeit zu erregen.
In den ersten Wochen waren die Einschaltquoten nicht gut. Aber Sie scheinen sich keine Sorgen zu machen?
Wie ich auch unserem Team in München gesagt habe: Wenn man diese Sendungen ins Programm nimmt, wird man natürlich erstmal Null Einschaltquote bekommen. Was könnte man auch anderes erwarten? Welche Frau wird einen Sportsender einschalten, nur weil wir das Programm von einer Woche auf die andere ändern? Aber wir wissen, dass unsere Formate funktionieren, und wir sehen, wie „My Style Rocks“ inzwischen in den sozialen Medien Aufmerksamkeit erregt und viral geht. Wir haben all das vorher schon mal gemacht. Wir fangen bei Null an und wissen, dass es Zeit braucht, um die Aufmerksamkeit von Frauen und auch von Kindern und Jugendlichen zu bekommen. Deshalb wiederholen wir zum Beispiel „Exatlon“ morgens. Sport1 wird ein Sender für die ganze Familie.
"Das ist ein echter Motor für die Marke. Im Moment gibt es keine Pläne, irgendetwas im Digitalgeschäft zu ändern"
Dem Sender gehörten auch Pay-TV-Kanäle, die Sie verkauft haben. Jetzt gehört zu Sport1 auch noch ein erfolgreiches Digitalgeschäft, eine der größten Sport-Marken im deutschen Internet. Wird dieses Geschäft bestehen bleiben?
Wir haben uns für den Verkauf der Pay-TV-Kanäle Sport1+ und eSports1 entschieden, um sich mehr auf die entscheidenden Bereiche Free-TV und Digital zu konzentrieren. Dies war eine strategische Entscheidung, die wir gemeinsam mit dem Sport1-Management und der Highlight-Gruppe getroffen haben. Im Free-TV können wir mehr Menschen erreichen, und Digital ist ein so wichtiger Teil von Sport1. Der digitale Bereich ist derzeit eine der größten Stärken von Sport1, mit Millionen von Unique Usern und fantastischem Traffic. Das ist ein echter Motor für die Marke. Im Moment gibt es keine Pläne, irgendetwas im Digitalgeschäft zu ändern. Unser Fokus liegt darauf, großartige Programme und Inhalte für das Free-TV zu schaffen, während wir das digitale Geschäft so weiter ausbauen, wie es ist.
Diese neue Strategie geht trotzdem mit einigen Stellenkürzungen bei Sport1 einher ...
Das ist etwas, das bereits vor unserem Einstieg aufgrund der Performance des Unternehmens begonnen hat und es wird nun umgesetzt. Das hat nichts mit unseren Unterhaltungsplänen für den Sender zu tun, und wir vertrauen darauf, dass das Managementteam die notwendigen Maßnahmen ergreifen und das regeln wird.
Stichwort Leitung: Braucht es für einen Unterhaltungssender neues Führungspersonal?
Wir haben Matthias Kirschenhofer in München, der das Geschäft bei Sport1 leitet, und Holger Anderson bei Acunmedya, der bei dem Projekt einer der ersten an Bord war und uns bei der Unterhaltungsprogrammierung unterstützt. Und natürlich haben wir unsere Armee von Unterhaltungsexperten, die unsere Shows in Istanbul und in der Dominikanischen Republik produzieren.
Gibt es eigentlich einen konkreten Termin für den Neustart von Sport1?
Das ist eher ein Prozess. Wir gehen Schritt für Schritt vor. Wir wollten „Exatlon“ machen, dann haben wir beschlossen, etwas für das weibliche Publikum zu machen, also haben wir „My Style Rocks“ gemacht. Bald darauf folgt „Masterchef“ und später „Survivor“. Neben diesen sehr gut etablierten globalen Marken werden wir auch neue Formate wie „Tempting Fortune“ nach Deutschland bringen. Und wir planen weitere Daytime Programme, die noch mehr Abwechslung bringen und sich auch an ein jüngeres Publikum richten.
An welche Art von Daytime-Programme denken Sie?
Wir haben zum Beispiel die Dating-Show „Power of Love“ in anderen Ländern sehr erfolgreich produziert, aber es wäre noch zu früh, sie jetzt auf Sport1 zu bringen. Wir konzentrieren uns vorerst auf die Formate, die wir bereits auf Sendung oder angekündigt haben. Wenn zum Beispiel „My Style Rocks“ sein Publikum findet, könnte der richtige Zeitpunkt für „Power of Love“ kommen. Wir haben einen ganzen Katalog von Formaten, die sich in anderen Ländern als erfolgreich erwiesen haben, sodass wir das Unterhaltungsprogramm auf Sport1 nach und nach erweitern können.
"Für 'Masterchef' haben wir in Istanbul eines der besten Studios parat. Warum sollten wir also Zeit verschwenden und ein weiteres Studio bauen?"
Sie sprachen schon die angekündigten Revivals „Survivor“ und „Masterchef“ fürs kommende Jahr an. Beide Formate haben zuletzt in Deutschland nicht funktioniert. Liegt es am Reiz, Ihre Production Hubs besser auszulasten?
Natürlich wird es unseren Produktionszentren zugutekommen. „Survivor“ kann man halt nicht in Deutschland produzieren und für „Masterchef“ haben wir in Istanbul eines der besten Studios parat. Warum sollten wir also Zeit verschwenden und ein weiteres Studio bauen? Aber wir haben uns aus einem anderen Grund für diese beiden Formate entschieden: Weil es großartige Formate sind. Wir lieben sie. Dass beide Formate in Deutschland nicht ausgestrahlt wurden, entmutigt uns nicht. Es ist eine Chance. Sie wissen doch: Wir lieben es, Risiken einzugehen. Nur wer große Risiken eingeht, kann große Erfolge erzielen.
Bei „Survivor“ und „Masterchef“ arbeiten Sie mit Banijay zusammen, produzieren aber in Ihren eigenen Produktionszentren. Sind Sie auch offen für Auftragsproduktionen, die extern durchgeführt werden?
Ja, natürlich. Auf unserem Kanal in der Türkei produzieren wir auch nicht alles selbst. Dafür haben wir weder die Zeit noch die Kapazitäten. Wir fokussieren uns auf einige große und wichtige Formate, sind darüber hinaus definitiv an Koproduktionen interessiert und offen für neue Ideen von Produzenten. Bei „Survivor“ und „Masterchef“ haben wir eine langjährige globale Partnerschaft mit Banijay in zahlreichen Gebieten. Wir freuen uns auf die Zusammenarbeit mit Brainpool in Deutschland und gemeinsam, diese Flaggschiff-Formate umzusetzen.
Eine Frage für den Produzentenmarkt: Sind Sie derzeit auf der Suche nach weiteren Formaten für Sport1?
Wir bekommen schon viele Ideen, da wir bereits mit einigen Unternehmen in Kontakt stehen. Und wenn sie noch nicht mit uns in Kontakt stehen - einfach anrufen. Wer uns finden will, wird uns finden. Für 2025 haben wir zwar mehr oder weniger die Aufstellung, die wir haben wollen, und konzentrieren uns auf die Marken, die wir kennen. Aber sobald wir größer werden, werden wir 2026 mehr tun und sind dafür immer offen für einen Austausch von Ideen.
Zum Schluss etwas Allgemeineres: Vor zehn Jahren, als die Streaming-Dienste aufkamen, sprachen alle vom „Goldenen Zeitalter des Fernsehens“. Wie würden Sie die heutige Zeit benennen?
Ich erzähle Ihnen nichts Neues, wenn ich sage, dass wir alle beobachten wie die Kurve des linearen Fernsehens nach unten und die Streaming-Kurve nach oben geht. Deshalb investieren auch alle Sender längst stark ins Streaming. Was bedeutet das für uns? Inhalte sind weiterhin das A und O. Inhalte werden überall gebraucht. Und wenn jemand sagt, dass junge Leute nicht fernsehen - doch das tun sie, aber zu ihren eigenen Bedingungen, digital auf ihrem iPad. Wichtig ist für die Branche, dass wir eine Messeinheit finden, um den Quotenerfolg über lineares und On-Demand-Nutzung hinweg abbilden zu können.
Letzte Frage: Wenn Sie in einer Ihrer Shows antreten müssten, welche würden Sie wählen?
Interessante Frage. Nun, ich kann nicht ohne Essen leben, also kann es nicht „Survivor“ sein. Aber leider bin ich auch nicht gut darin, Essen zuzubereiten und zu kochen, also kann ich auch nicht „Masterchef“ machen. Bleibt noch „Exatlon“, aber dafür bräuchte ich definitiv etwas Vorbereitungszeit (lacht).
Ebru, vielen Dank für Ihre Zeit.