Frau Aigner, vor knapp zwei Jahren ist Netflix mit einem optionalen neuen Einstiegstarif in die Werbevermarktung gestartet. Wie groß ist die vermarktbare Reichweite inzwischen?
Wir freuen uns sehr über das starke Wachstum und die Fortschritte unseres Werbe-Abos, das sowohl bei unseren Mitgliedern wie auch unseren Werbepartnern auf großes Interesse stößt. Nach knapp zwei Jahren sind wir weltweit bei mehr als 70 Millionen Monthly Active Users. Vielleicht zum Vergleich: Als ich vor einem Jahr bei Netflix in Deutschland an Bord gekommen bin, lagen wir weltweit bei 15 Millionen Monthly Active Users. Mittlerweile buchen mehr als 50 Prozent aller, die sich für ein Netflix-Abo entscheiden, den Werbetarif.
Auch in Deutschland?
Da weichen wir im deutschen Markt nicht stark von anderen ab. Wir erwarten deshalb auch weiterhin ein sehr dynamisches Wachstum der vermarktbaren Reichweite bei uns und global. Gerade haben wir unsere neue deutsche Serie „Achtsam Morden“ veröffentlicht, über „Nobody wants this“ und „Monster: Die Geschichte von Lyle und Erik Menendez“ reden alle und am 26. Dezember kommt die mit Spannung erwartete zweite Staffel des globalen Phänomens „Squid Game“. Solche Titel sorgen für viel Fandom und Gesprächsstoff - was wiederum sehr zur Freude unserer Werbekunden ist.
Nun interessieren sich deutsche Werbekunden natürlich eher für die Reichweite im deutschen bzw. deutschsprachigen Raum...
Wir kommunizieren extern zum jetzigen Zeitpunkt nur die globalen Zahlen, aber haben natürlich alle Daten vorliegen.
Einen Versuch war’s wert. Bleiben wir bei Zahlen: In Großbritannien lässt Netflix seine Reichweiten nach Branchenstandards messen, für USA und Brasilien ist die Messung für Anfang 2025 angekündigt. Und in Deutschland? Gibt es Gespräche mit der AGF?
Wir verfolgen auf europäischer Ebene eine einheitliche Strategie zur Integration in die JICs (Joint Industries Council, Anm. d. Red.). Die Kooperation mit BARB ist in Europa die erste - mit beeindruckenden Zahlen von sieben Millionen Zuschauerinnen und Zuschauern im Monat in Großbritannien. Durchaus ein Meilenstein. Zu allem anderen werden wir zu gegebener Zeit Updates geben.
Also keine Gespräche mit der AGF?
Wir geben natürlich Bescheid, sobald es etwas zu vermelden gibt.
Dann machen wir strategisch weiter: Welche Rolle spielt Werbung für Netflix: Zubrot oder zweites Standbein?
Wir bauen das als neuen relevanten Revenue Stream auf. Nun haben wir anders angefangen als ein Mitbewerber, weil wir die Entscheidung für das neue kostengünstige Werbe-Abo lieber in die Hände unserer Mitglieder gelegt haben statt Werbung ungefragt einzuführen. Damit startet man bei Null und braucht Zeit bis es skaliert hat, aber das dynamische Wachstum des zweiten Jahres im Vergleich zum ersten zeigt ja, wie gefragt das Angebot ist. Werbung ist für uns perspektivisch kein Zubrot, sondern relevanter Revenue Stream.
Was genau bedeutet denn Werbung bei Netflix? Sie werden anders als das lineare TV-Programm nicht reguliert, können also so viel Werbung schalten wie sie möchten…
Die Frage ist nicht, was wir können, sondern was vor allem unsere Mitglieder und Werbepartner möchten. Wir zeigen maximal vier Minuten pro Stunde, damit unterscheiden wir uns weiterhin sehr stark von der linearen TV-Welt. Wir haben nur sehr kurze Werbeblöcke von maximal 75 Sekunden Länge, mit einem Countdown, damit die Zuschauerinnen und Zuschauer immer sehen können, wie lange die Werbung noch dauert. Wir platzieren die Werbepausen auch händisch. Wir achten bei der Werbevermarktung in vielerlei Hinsicht auf ein positives Seherlebnis, auch damit die Werbung unserer Kunden von dieser positiven Strahlkraft profitiert in puncto Wahrnehmung und Erinnerung. Bei so kurzen Werbeblöcken und mit dem Countdown erreichen wir eine extrem gute View Through Rate. Und aus Mitgliedersicht bekomme ich für 4,99 Euro ein sehr gutes Produkt - mit HD, zwei parallelen Streams und Download-Funktionalität.
Wie verkauft Netflix Werbung? Haben Sie ein Targeting auf Zielgruppen und wenn ja, nach welchen Kriterien?
Natürlich, zum Einen gibt es Zuschauer-basiertes Targeting, also Age- und Gender-Targeting, oder auch Geo-Targeting. Zum Anderen gibt es Contextual Targeting, also z.B. Genre-Targeting. Grundsätzlich sind all unsere Netflix-Inhalte - alle Serien und Filme - bei uns in eins von fünf Genres eingeordnet. Die haben dann noch Unter-Genres, so haben wir jetzt vor Weihnachten unseren Kunden ein Holiday-Genre angeboten, also saisonal die Platzierung in allen Inhalten, die thematisch und mit der Stimmung zum Thema Weihnachten passen. Rechtzeitig zum Valentinstag gibt es auch wieder ein entsprechend buchbares Umfeld. Oder Programme für Sportfans. Buchbar sind auch Platzierungen in den Top10-Inhalten des Tages. Werbetreibende können auch die Option "First Impression" wählen, was bedeutet, dass ihre Werbung beim ersten Einloggen eines Abonnenten erscheint, einem Moment hoher Aufmerksamkeit. Außerdem bieten wir Targeting nach Gerät und Tageszeit an. Was wir hingegen generell nicht targeten sind Kinder-Profile, die sind bei uns komplett ausgeschlossen.
Jetzt wird man als Zuschauer mitunter ja erschlagen von der Vielzahl an Angebot. Wie geht es Werbekunden und Agenturen? Verstehen die, wie sie bei Netflix buchen oder sind die Möglichkeiten erklärungsbedürftig?
Das ist natürlich genau die Aufgabe an der mein Team - das sich im Laufe des vergangenen Jahres gefunden hat - und ich arbeiten. Wir sind mit Microsoft als Partner gestartet, haben zum 1. Juli diesen Jahres das gesamte Sales-Geschäft inhouse genommen, wobei Microsoft unser Tech-Partner bleibt. Es geht darum, unseren Partnern, Agenturen und Werbekunden näherzubringen, was Werben bei Netflix heißt und was bei uns möglich ist. Das entwickelt sich natürlich auch permanent weiter. So ist auch auf globaler Ebene das Holiday-Genre entstanden, weil es den Wunsch gab, in der Vorweihnachtszeit explizit in diesen Feel Good-Programmen platziert zu sein. Wir lernen da also genauso wie unsere Kunden stetig dazu.
Wie verteilen sich die Buchungen zwischen sehr konkreten Platzierungen und Run of Network?
Sie meinen Run of Netflix, wie wir es nennen (lacht). Es richtet sich nach den Wünschen der Kunden. Manche suchen nach skalierbaren Platzierungen, andere nach ganz konkreten Umfeldern, da sind Serien wie „Emily in Paris“ sehr gefragt. Dann gibt es auch noch Sponsoring einzelner Programme wie mit L’Oreal bei „Bridgerton“ in Deutschland, bei uns Single Title Sponsorship genannt - bis hin zu handgefertigten Kooperationen mit Brand Partnership und Consumer Product-Verlängerung, wie wir es mit Coca Cola und Mezzo Mix für „Love is Blind: Germany“ umgesetzt haben. Ganz frisch haben wir auch eine Consumer Products Kooperation mit Pandora umgesetzt, die eine Schmuck-Kollektion zu unserer Serie „Stranger Things“ herausgebracht haben - und das zeitlich sogar unabhängig vom Start der nächsten Staffel.
Kurz nach dem Start des Werbe-Tarifs ist im Frühjahr 2023 dann der Werbemarkt eingebrochen. Wie sieht die Entwicklung 2024 aus, wie bewerten Sie den Werbemarkt?
Ich glaube, da muss man unterscheiden zwischen sehr etablierten Anbietern im Markt, die über Jahrzehnte agieren und natürlich mehr zu verteidigen haben und einem neuen Angebot wie uns, das von Null an aufbaut. Für uns könnte der Zeitpunkt und das Momentum nicht besser sein, weil das sich permanent verändernde Zuschauerverhalten besonders in bestimmten Altersgruppen, die immer seltener linear schauen wollen, zu unseren Gunsten wie auch Social Media verändert.
Sind Sie persönlich froh, nicht mehr lineares Fernsehen vermarkten zu müssen?
Ich bin immer noch großer Freund des linearen Fernsehens, das sich auch bei den älteren Zuschauergruppen weiterhin großer Beliebtheit erfreut. Das ist immer noch eine starke Substanz. Nichtsdestotrotz sehen wir massive Verschiebungen mit denen wir - und andere Mitbewerber - bei insbesondere jüngeren Menschen eine Lücke schließen können, die das lineare Fernsehen hinterlassen hat. Wohl wissend, dass das lineare Fernsehen für den sehr schnellen Reichweitenaufbau eine starke Wahl ist. Ich würde gar nicht behaupten wollen, dass wir jetzt schon eine vergleichbare Kraft haben. Aber wir sehen ja, wie sich die Kurven der Nutzung von linearen und non-linearen Angeboten in Zukunft entwickeln. Wir ergänzen uns derzeit sehr gut und liefern gerne insgesamt inkrementelle Reichweite und besonders Zuschauergruppen, die kaum mehr linear zu erreichen sind.
Jetzt experimentiert Netflix bei den NFL Christmas Games ja durchaus auch mit linearen Live-Events. Das kommt nun erstmal aus den USA. Würden Sie so einen Live-Event gerne auch mal in Deutschland vermarkten?
Die NFL hat in jedem Fall eine riesengroße Strahlkraft. Dieses Jahr ist es so, dass die Vermarktung der Christmas Games durch unsere Kolleginnen und Kollegen in den USA global erfolgte.. Schauen wir mal, wie es bei den Spielen im nächsten und übernächsten Jahr aussieht. Gerne vermarkten wir das auch hier vor Ort in Deutschland.
Und vielleicht gibt es ja auch mal Live-Sport aus Deutschland, den Sie dann vermarkten können…
(lacht) Schauen wir mal. Dazu kann ich wenig sagen, das liegt nicht in meiner Verantwortung.
Frau Aigner, herzlichen Dank für das Gespräch.