Im ARD-Kosmos mit seinen vielen Gremien und Räten kann es manchmal unübersichtlich werden. Engelbert Günster ist in der ARD aber der starke Mann der Aufsicht: Er ist nicht nur Vorsitzender des SWR-Rundfunkrates, sondern als solcher auch Vorsitzender der ARD-Gremienvorsitzendenkonferenz (GVK). Im August sorgte ein Interview mit ihm für Aufsehen, darin äußerte er den Verdacht, die Politik könnte angedachte Reformen aus Eigeninteresse abschwächen. Genau das ist nun passiert. Was hält er jetzt also vom vorgelegten Reformpapier, wo sieht er Verbesserungsbedarf und an welchen Stellen kritisiert er die eigenen Intendantinnen und Intendanten? 

Herr Günster, Sie hatten vor wenigen Wochen in einem Interview davor gewarnt, dass die Politik angedachte, mutige Reformschritte aus dem Referentenentwurf des Reformstaatsvertrags zurückdreht bzw. abschwächt. Nun liegen die Pläne der Rundfunkkommission vor. Ist das der große Wurf oder doch nur ein fauler Kompromiss?

Engelbert Günster: Es verdient große Anerkennung, dass sich die Staatskanzleien aller Bundesländer auf den Weg gemacht haben, einen gemeinsamen Vorschlag auf den Tisch zu legen. Viele Jahre haben sich die Länder gegenseitig blockiert und es ist im Wesentlichen, trotz zwei Medienänderungsstaatsverträgen, nicht wirklich etwas vorangegangen, die Strukturen blieben unverändert. Deshalb waren wir sehr positiv gestimmt, als im Juni der erste Vorschlag durchgesickert ist. Der wurde in den Wochen danach allerdings deutlich geschliffen. Jetzt ist ein Entwurf zur Anhörung gestellt worden, der anders ist, als wir uns das erhofft hatten. Wir wollen die Veränderungsbereitschaft unsererseits in jedem Fall weiter vorantreiben. Aber vielleicht zwei grundsätzliche Dinge: Es wird zu viel miteinander vermengt.

Was meinen Sie?

Auf der einen Seite Reformen mit dem Ziel, die Strukturen und das Angebot moderner zu machen. Und auf der anderen Seite soll der öffentlich-rechtliche Rundfunk billiger werden. Beides hängt miteinander zusammen, man muss es aber trotzdem getrennt betrachten. Vor allem wenn es um die Zeitabläufe geht. Das ist mir oft zu kurzsichtig: Da werden Reformen angestoßen und da gehen einige davon aus, dass es gar keine Beitragserhöhung mehr braucht, weil sofort alles billiger wird. So einfach kann es sich die Politik nicht machen, das muss man den Menschen besser erklären.

Wissen Sie, wieso der Referentenentwurf so stark abgeändert wurde?

Nein, das weiß ich nicht. Jetzt müssen wir mit dem, was auf dem Tisch liegt, zurechtkommen und wir haben uns dazu ja auch geäußert. Wir treten als Gremienvorsitzende der ARD-Anstalten ganz klar für eine gemeinsame, föderale Infrastruktur ein. Dazu müssen einzelne Anstalten Autarkie aufgeben. Im Gegenzug erhalten sie eine maximale programmliche Autonomie. Das muss Hand in Hand gehen und das muss umgesetzt werden, wenn der Gesetzesentwurf beschlossen wird. In den Gemeinschaftsangeboten der ARD müssen auch künftig die unterschiedlichen Blickwinkel aus allen Ecken der Republik sichtbar werden. Die Angebote müssen einen offenbleibenden Meinungsaustausch organisieren und kontroverse Meinungen hervorbringen. Das ist das Kerngeschäft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Diesem Ziel müssen alle Reformen dienen. Organisatorisch haben wir jedoch nach wie vor einen Dissens.

Wir treten als Gremienvorsitzende der ARD-Anstalten ganz klar für eine gemeinsame, föderale Infrastruktur ein. Dazu müssen einzelne Anstalten Autarkie aufgeben. 


Sie hatten sich vor allem für eine zentrale Einheit inklusive Geschäftsführung innerhalb der ARD für Infrastruktur und Verwaltung ausgesprochen. Etwas, das der Zukunftsrat ausdrücklich empfohlen hat und zwischenzeitlich war dieser Vorschlag auch Teil des Reformentwurfs. Herausgekommen ist nun aber ein Federführungsprinzip innerhalb der ARD und ein vorsitzübergreifendes Büro. Reicht das?

Wir glauben, eine Geschäftsführung wäre besser. Aus meiner eigenen Erfahrung weiß ich aber: Dezentrale Bereichsleitungen können auch funktionieren, wenn sie einer gemeinsamen Strategie verpflichtet sind. Und da liegt der Haken: So lange die ARD-Intendantenrunde keine gemeinsame Strategie auf den Weg bringen muss – gefordert von den Ministerpräsidenten als Normgeber -, können weder eine Geschäftsführung noch dezentrale Bereichsleitungen kohärent arbeiten und diese Strategie verbindlich umsetzen. Die fehlende Stringenz ist der Kern des Problems, das nach wie vor nicht gelöst ist.

Ist das nicht sehr viel Misstrauen gegenüber den Intendantinnen und Intendanten der ARD? Wenn das neue Federführungsprinzip beschlossen wird, müssen sich die Anstalten doch ohnehin eine gemeinsame Strategie überlegen. Anders geht es doch gar nicht, wieso eine staatsvertraglich festgelegte Verpflichtung?

Ich sehe bei den Intendantinnen und Intendanten die Bereitschaft, sich zusammenzuraufen. Aber politischer Druck und die klare Zielsetzung, eine solche Strategie zu erarbeiten und umzusetzen, würde den ganzen Prozess beschleunigen. Ich habe die Sorge, dass die politisch Verantwortlichen da vor ihrer eigenen Courage zurückschrecken. Denn die Umsetzung einer solchen Strategie könnte ja auch bedeuten, dass die Intendantinnen und Intendanten sich zum Beispiel darauf einigen, dass man nur noch bestimmte Sendekapazitäten benötigt. Und dann bräuchte man vielleicht auch die eine oder andere Produktionsstätte nicht mehr.

Es ist doch eine Unsitte, immer nach Karlsruhe zu müssen, wenn man sich nicht einig ist.


Es gab in der Vergangenheit bereits Vorschläge aus der ARD, wie eine verstärke Zusammenarbeit oder Einsparungen aussehen könnten. Die jeweilige Landespolitik ist dann immer ganz geschockt, wenn ausgerechnet bei ihnen am Standort etwas wegfallen soll. Wie scheinheilig ist die Medienpolitik, wenn es an die konkrete Umsetzung von Sparmaßnahmen geht?

Das ist des Pudels Kern. Da steht sich die Politik gelegentlich selbst im Weg. Es ist natürlich leicht, Forderungen zu stellen. Wenn es dann an die Umsetzung geht, darf man vor den Konsequenzen nicht zurückschrecken. Das kann ich aber nicht auflösen, wir können als Gremien nur Veränderungsbereitschaft signalisieren und unsere Unterstützung für eine effizientere Umsetzung des staatsvertraglichen Auftrags. Der Zwang zur Strategie und der Zwang, diese stringent umzusetzen, sind essenziell.

In Sachen Medienrat war im Referentenentwurf zunächst vorgesehen, dass die Mitglieder dieses neuen Gremiums von den bisherigen Aufsichtsgremien von ARD, ZDF und Deutschlandradio gewählt werden. Nun sollen auch die Regierungschefinnen und Regierungschef zwei Mitglieder entsenden. Ein vernünftiger Kompromiss?

Da müssen wir mal abwarten, wie es letztlich umgesetzt wird. Ich will das nicht von vornherein ablehnen, es muss nur sichergestellt sein, dass dieses neuen Gremiums staatsfern agiert. Grundsätzlich begrüßen wir die Einführung des Medienrats. Es ist ein legitimes Ziel der Politik, eine systemübergreifende Bewertung vorzunehmen, ob die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten insgesamt ihre Funktion erfüllen. Der Medienrat muss eng zusammenarbeiten mit den Aufsichtsgremien der verschiedenen Anstalten. Das Mandat muss klar beschrieben sein. Und noch weitere Punkte zur Aufsicht…

Ja?

Es gibt bereits den gut arbeitenden Programmbeirat, der hat nur kein Aufsichtsmandat. Wenn man diesem bestehenden Gremium ein Mandat erteilen würde, hätte man die programmliche Seite für die ARD ein ganzes Stück weitergebracht. Stattdessen soll künftig die Aufsicht über das ARD-Gemeinschaftsprogramm, ähnlich wie der Vorsitz, alle zwei Jahre rotieren - auch das kritisieren wir als GVK. Es braucht viel Zeit, um sich da verantwortungsvoll sachkundig zu machen. Wenn sich dann alle zwei Jahre ein anderes Gremium einarbeiten soll, ist das von Ehrenamtlern in der Form kaum leistbar. Damit überfordert man die Organe.

Was sehen Sie noch kritisch.

Die zusätzlichen Verschärfungen beim Verbot der Presseähnlichkeit. Wir meinen, da muss man offener dran gehen, die Zukunft muss mehr online gedacht werden. Die stringente Trennung von Audio, Video und Text ist aufgrund der fortschreitenden Medienkonvergenz nicht mehr zeitgemäß. Da müssen sich die Verlage mit den Rundfunkanstalten zusammenraufen, aufeinander zugehen und kooperieren. Das wird auch funktionieren, wenn man die Weichen entsprechend stellt.

Ich glaube daran, dass sich die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten an den rechtlich vorgeschriebenen Weg halten - und die KEF-Empfehlung umsetzen. 


Wie bewerten Sie den ARD-Reformprozess generell?

Viele Initiativen laufen schon: Kompetenzcenter, Straffung der Hörfunkprogramme und die Streichung von Apps. Hinzu kommen Reformen in der Infrastruktur, deren Auswirkungen mittelfristig zu sehen sein werden. Wo nach wie vor erheblicher Beratungsbedarf besteht, ist bei den Spartensendern. Auch die KEF gibt uns immer wieder dicke Brocken, wie zum Beispiel das Immobiliensegment, auf.

Sie haben die Spartensender angesprochen. Die ARD wollte ursprünglich bis Ende 2023 entscheiden, welchen Kanal man einstellt. Dann hat man das auf 2024 verschoben – und jetzt wirkt es so, als seien alle Sender plötzlich Verhandlungsmasse für Gespräche mit dem ZDF. Da macht die ARD doch wirklich keine gute Figur, oder?

Da will ich Ihnen gar nicht widersprechen. Da hätten wir uns mehr Handlungsdruck unter den Intendantinnen und Intendanten gewünscht. Es hätte in diesem Punkt einen Durchbruch geben müssen. Jetzt ist der Druck von außen da.

Wie bewerten Sie die Reaktionen der Anstalten? Wenn es um die Spartensender geht, verfallen alle in eine Art Abwehrhaltung.

Das ist Mikado: Wer wackelt zuerst? Als Aufsichtsperson will ich mich nicht zu einzelnen Sendern äußern, das müssen die operativ Verantwortlichen aushandeln. Aber es gibt aus meiner Sicht durchaus Potenzial, einiges zu vereinfachen.

In Sachen Rundfunkbeitrag ist ja inzwischen klar, dass eine Erhöhung nicht wie von der KEF empfohlen ab 2025 kommt. Zumindest nicht direkt zu Beginn des Jahres. Wie bewerten Sie das?

Ich vertraue darauf, dass die Politik funktioniert. Es ist ein klarer Rechtsweg vorgesehen und die KEF macht das nicht zum Spaß. Die KEF hat nach strenger Prüfung den Finanzbedarf der Anstalten festgestellt. Gleichzeitig hat die Kommission viele Hinweise darauf gegeben, wo die Politik tätig werden könnte. Da geht es zum Beispiel um beitragsferne Leistungen und das Immobilienmanagement. Insofern glaube ich daran, dass sich die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten an den rechtlich vorgeschriebenen Weg halten - und die KEF-Empfehlung umsetzen.

Das ist Mikado: Wer wackelt zuerst? Als Aufsichtsperson will ich mich nicht zu einzelnen Sendern äußern, das müssen die operativ Verantwortlichen aushandeln. Aber es gibt aus meiner Sicht durchaus Potenzial, einiges zu vereinfachen. 
Engelbert Günster zur Abwehrhaltung der Anstalten, wenn es um die Spartensender geht.


Das hat die Politik ja schon vor einigen Jahren nicht geschafft, jetzt ist die Blockade-Haltung innerhalb der Länder noch größer.

Es ist doch eine Unsitte, immer nach Karlsruhe zu müssen, wenn man sich nicht einig ist. Es gibt klare demokratische Prozesse, die sich seit vielen Jahren bewährt haben und jetzt gilt es, sich zusammenzuraufen. Ich setze darauf, dass die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten eine verantwortungsvolle und rechtskonforme Entscheidung treffen.

Nach der Vorlage des Reformstaatsvertrag gab es bereits Ministerpräsidenten, die eine Erhöhung des Rundfunkbeitrags ausgeschlossen haben. Ich sehe da ehrlich gesagt keine sonderlich großen Chancen auf einen Durchbruch.

Es fällt tatsächlich schwer, daran zu glauben. Es hilft jedenfalls nicht, sich mit populistischen Aussagen nach vorn zu wagen und sich einer Lösung komplett zu versperren. Da muss man sich auch mal hinstellen und den Menschen erklären, dass Reformen und deren Umsetzung Zeit brauchen. Der Rundfunk ist ein komplexes System. Die Anstalten wollen sich verändern und offensichtlich will sich jetzt auch der Normgeber bewegen. Jetzt müssen die politisch operativ handelnden Personen die Reformen durchbringen und gleichzeitig erklären, dass mit deutlichen Einsparungen erst in vier oder fünf Jahren zu rechnen ist. Für den Zeitraum 2025 bis 2028 sind von der KEF klare Anforderungen aufgeschrieben worden, die muss die Politik umsetzen.

Wann sollen die Anstalten im Fall der Fälle also das Bundesverfassungsgericht anrufen? Direkt Anfang Januar oder erst im Laufe des Jahres, wenn eine Ratifizierung durch alle 16 Landtage möglicherweise gescheitert ist?

Wenn die Beitragserhöhung nicht zum 1. Januar kommt, sind die Anstalten nicht mehr bedarfsgerecht finanziert. Wann dann der Gang nach Karlsruhe ansteht, muss nicht ich entscheiden.

Herr Günster, vielen Dank für das Gespräch!

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