Wenn also die Führungskräfte der großen deutschen Privatsender nach Los Angeles fliegen, dann in der Regel nicht um einzukaufen - zumindest nicht für ihren Arbeitgeber. Viel mehr geht es für RTL, ProSieben und Co. darum zu erfahren, was sie schon längst gekauft haben - eine ganz andere Dynamik. Während beispielsweise für die britischen Medienjournalisten vor Ort bei den LA Screenings die Hochphase der Spekulationen und Breaking News beginnen, welcher UK-Sender sich für welche Serie interessieren könnte oder schon zugeschlagen hat, geht es für uns bei DWDL.de in den Gesprächen mit ProSiebenSat.1 und der Mediengruppe RTL Deutschland nach den Screenings um die Zufriedenheit mit der jeweiligen Serien-Ausbeute, die man schon im Vorfeld gleich im Paket gekauft hat.
Alle wichtigen deutschen Marktteilnehmer sind auch in diesem Mai wieder in Los Angeles vor Ort, darunter zum Beispiel auch führende Köpfe von Sky, ARD und ZDF. Es geht dabei um die Beobachtung von Trends, manchen Einzel-Deal und natürlich Networking. Dafür reisen in den letzten Jahren übrigens auch immer mehr deutsche TV-Produzenten mit nach Los Angeles - meist aus purer Neugier, aber zunehmend auch aufgrund der steigenden Bedeutung von internationalen Koproduktionen. Der TV-Markt ist schließlich längst keine Einbandstraße mehr, die von den USA hinaus in die weite Welt führt. Das Medienmagazin DWDL.de ist als einziger deutscher Branchendienst vor Ort bei den LA Screenings. Der Name ist übrigens kein feststehender Begriff.
Der internationale Branchendienst VideoAge reklamiert diese Namensfindung für sich. Oftmals ist auch von den May Screenings die Rede. Gemeint ist so oder so die gleiche Woche, in der sich inzwischen derart viele TV-Einkäufer aus aller Welt auf die Reise nach Los Angeles machen, dass auch kleinere Produktionshäuser aus den USA sowie dem Ausland die Anwesenheit der Einkäufer längst für sich nutzen. Gebündelt im Hyatt Century City präsentieren sich dutzende weitere TV-Häuser wie etwa auch Beta Film oder Red Arrow aus Deutschland, in Hotelsuiten und -zimmern. Klingt ein bisschen kurios - und ist es auch. Auf Etage 17 und 19 des Hotels präsentieren Zimmer neben Zimmer große und kleine Namen des TV-Geschäfts ihre Highlights.
Anders als bei den Events der Hollywood-Studios (wie Disney) gibt es hier keine Gästeliste. Kommen kann hier ins Hyatt Century City theoretisch jeder, aber eine aussagekräftige Visitenkarte sollte man schon haben, wenn man erwartet, dass man auch etwas zu sehen bekommt. Seinen Ursprung hat diese internationale Zusammenkunft der TV-Einkäufer übrigens in den 60er Jahren. Mit den Kanadiern fing alles an: Weil mit CTV 1961 der erste private Fernsehsender Kanadas auf Sendung ging, kam es zum Wettbewerb um US-amerikanische Produktionen. Zuvor kämpften die Hollywood-Studios um die Gunst des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Kanada und flogen in den Norden. Seit 1963 jedoch kamen die Kanadier nach Los Angeles.
Es folgten in den Jahren darauf Einkäufer aus Lateinamerika, dann Großbritannien und weiteren europäischen Ländern (darunter Deutschland), Australien und Asien (hier besonders Japan). In den 70er Jahren wandelte sich nicht nur die Form der Präsentationen mehrfach, auch das Datum wanderte langsam aber stetig: Traf man sich anfangs noch im Februar, wurde im Laufe der 70er Jahre der Mai der Monat der Wahl. So war es möglich von immer mehr Serien auch schon fertige Pilot-Episoden zu zeigen. In den 80er Jahren etablierten sich die LA Screenings dann als eine der wenigen Events der TV-Branche, die den Takt vorgeben und gleichzeitig zum wichtigen Networking Event geworden sind. Das hat sich bis heute nicht geändert.
Anders als bei den Upfronts in New York, wo die US-Sender ihren Werbekunden unter immer größerem Druck erklären müssen, warum lineares Fernsehen in Zeiten von Netflix, Amazon, Hulu und Co. noch so kraftvoll ist, dass die Werbekunden auch ihre Scheckbücher zücken, werden all die neuen Marktteilnehmer in Los Angeles nicht als Bedrohung wahrgenommen. Es ist dieser entscheidende Unterschied in der Perspektive: Für TV-Produktionsfirmen bzw. Studios bedeutet der verschärfte Wettbewerb mehr potentielle Abnehmer für ihre Serien und eine höhere Nachfrage nach Content. Auch jene Studios, die einem der großen US-Networks angehören, produzieren für SVoD-Plattformen. Auch in dieser Hinsicht ist Los Angeles weitaus entspannter als New York.