Vielleicht ist es an der Zeit, Spenden zu sammeln. Für einen Mann, der zur Zeit durch die Gegend streunt und einen, nun ja, nicht nur leicht verwahrlosten Eindruck macht. Er ist sehr offensichtlich älteren Datums und sieht so aus, als würden ihm Haare aus der Nase wachsen. Die kann man aber nicht sehen, weil sich darunter ein eher ungepflegtes Bartgelände erstreckt. Dieses silbrige Gestrüpp gleicht ein bisschen einer im Gesicht getragenen Jogginghose, über deren Träger Karl Lagerfeld alles gesagt hat. Im Prinzip wirkt der Streuner, der offensichtlich schon länger nicht mehr beim Friseur war, wie jemand, der eindeutig zu viel Tagesfreizeit hat. Die nutzt er, um durch die Stadt zu ziehen, sich mit der Selfiekamera vor Hecken oder Hotels zu postieren und für "Spiegel+" optische 5-Minuten-Terrinen aufzugießen.
Ja, es ist Harald Schmidt, der da täglich um 17 Uhr den Nutzern von "Spiegel+" eröffnet, was ihm vom Tage übrig blieb. Nach Ansicht der Ergebnisse einer kompletten Sendewoche kann man sagen: Es ist inhaltlich nicht der Rede wert, was dieser alte Mann mit Redebedarf, da von sich gibt. Aber es gibt im Zusammenwirken mit der Optik Anlass zur Sorge.
Den jungen Menschen muss man vielleicht erklären, wer Harald Schmidt ist. Oder besser gesagt: war. Er galt mal als der beste, wenn nicht der einzige Late-Night-Moderator, als Institution am Rande der Nacht, als einer, der allen gezeigt hat, wie es geht. Er galt mal als witzig. Aber das ist lange her. Angesichts der Videos muss man sagen: Sehr lange.
Nun wirkt er wie einer, der zu spät aus dem Krieg zurückgekehrt ist und mit den Verhältnissen nicht mehr klarkommt. Vielleicht könnte Nico Hofmann mal ein Bio-Pic daraus machen und zeigen, wie Schmidt gebeutelt von all den Gefechten im Privatfernsehgeschäft heimkehrt, sich aber nicht mehr zurechtfindet, weil seine von Veronica Ferres gespielte Frau jetzt einen anderen hat, einen schnittigen, von Heino Ferch gegebenen Versicherungsmakler.
Schmidts Themen ähneln zwar noch jenen, aus denen er früher Gags destilliert hat. Aber so, wie er sie heute vorträgt, haben sie nichts Ansehenswertes, nichts Hörenswertes. Der Dirty Harry von einst referiert nun Boulevardthemen, versucht sich über die Plauze des neuen JU-Vorsitzenden lustig zu machen und erzählt den Sexismus, den er auf Lkw-Planen entdeckt hat, nach. Natürlich inklusive ironischer Distanzierung, aber leider will es ihm nicht recht gelingen, wirklich die nötige Distanz zwischen sich und das Objekt seines Referats zu bringen.
Einmal lungert er in Köln vor einem Hotel am Rheinufer herum und befragt Mädchen, die auf einen Popstar warten über eben diesen Popstar. Das wirkt wie hart am Rande der intellektuellen Belästigung, besonders in dem Moment, als er meint, unbedingt noch Berichte über die angebliche Homosexualität des Künstlers thematisieren zu müssen. Natürlich mit dem ironischen Hinweis, dass so etwas natürlich heutzutage kein Thema mehr sei. Ja, lieber Zausel-Opa, das sollte heute kein Thema mehr sein. Hat dir aber nach der Heimkehr von der Front wohl niemand gesagt.
Manchmal bleibt der einstige, inzwischen zum Vader-Abraham-Double des deutschen Humorgewerbes mutierte Großmeister aber auch daheim. Am Freitag vor einer Woche filmte er sich im Bett, und das sah schwer nach Endstadium aus. Man war versucht während der Smartphone-Sichtung des Videos auf dem Festnetz die Palliativeinheit des nächstgelegenen Krankenhauses zu alarmieren.
Die Besorgnis über die physische Konsistenz dieses Greises wird natürlich auch von der Tatsache genährt, dass er sich in beinahe jedem Video im Gesicht herumkratzen muss. Hat er früher selten getan. Heute möchte man ihm da stets prophylaktisch zurufen: Nicht in der Nase bohren! Es kommt nicht so weit. Noch nicht. Aber es sieht die ganze Zeit so aus, als wolle er gleich nach Jogi-Löw-Art mit dem Finger auf Tiefenerkundung gehen.
Zudem sieht er ein bisschen so aus, als dufte er nicht mehr, sondern röche schon ein wenig nach Altenheim. Vielleicht sollte ihm mal jemand sagen, dass es bei Männern über 60 wichtig ist, auf eine gewisse optische Contenance zu achten. Irgendwann hat Schmidt sich ja mal vollmundig als Privatier mit abgeschlossener Vermögensbildung bezeichnet. Wenn dem so ist, dann ist er jetzt die wandelnde Warnung vor solch einem Status Quo.
Aber vielleicht beruhen ja all diese Beobachtungen auch nur auf falscher Wahrnehmung, gespeist von der Enttäuschung, dass ein einst übermächtig Großer die Öffentlichkeit an seiner publizistischen Verwesung teilhaben lässt. Da wird selbst der Spontangedanke, dass Schmidt früher mit seinen Kolumnen beim "Focus" schon sehr gut aufgehoben war, rasch eliminiert von der Einsicht, dass der "Spiegel" von heute viel von dem vorhält, was den "Focus" einst so eklig machte.
Nichtsdestotrotz ist es an der Zeit einzugreifen, Spenden zu sammeln. Mit denen wird dann ein Coach finanziert, der ihm erklärt wie man in Würde altert. Und wenn nicht genug für einen Coach zusammenkommt, müsste es doch wenigstens für einen Besuch im Barbershop reichen. Und für eine Creme gegen das Jucken im Bart.