Am 8. August hatte das Erste mit "Kulenkampffs Schuhe" einen Riesenhit. Der beinhaltete alles, was das öffentlich-rechtliche System so wertvoll erscheinen lässt. Er machte klug, er war unterhaltsam und mit 12,6 Prozent Marktanteil und 1,93 Millionen Zuschauer sehr erfolgreich für eine Dokumentation, die um 22.30 Uhr begann und satte 90 Minuten dauerte. Nicht zu vergessen waren die mehrheitlich euphorischen Kritiken, die es vorher hagelte und die auch nach dem Ausstrahlungstermin nicht abrissen. Immer mehr Menschen veredelten ihre Beiträge im Leben und in sozialen Medien mit einem „Müsst ihr unbedingt anschauen“-Imperativ. So etwas erlebt man dieser Tage eher selten im öffentlich-rechtlichen Gefüge. Damit war „Kulenkampffs Schuhe“ in Zeiten ewiger Wiederholungen und endloser Sportübertragungen so etwas wie der anspruchsvolle Sommerhit schlechthin.
Wer aber nun den nachgereichten Guck-Befehlen nachkommen wollte, hatte nur kurz gute Karten, denn schon nach sieben Tagen verschwanden „Kulenkampffs Schuhe“ sang- und klanglos aus der Mediathek. „Warum ist jeder Batic-Leitmayr-Kokolores über Wochen in der Mediathek abrufbar - aber wirklich herausragendes Fernsehen nicht?“, lautete eine Frage unter dem Ankündigungstext auf der ARD-Homepage. In der Tat machte sich allgemein Verärgerung breit über die berüchtigte Siebentageregel, und es keimte die Frage, wie das gehen könne, dass die Ministerpräsidenten doch gerade beschlossen hätten, die starren Fristen aufzuweichen, und nun komme da so ein brillantes Stück, und dann sei das gleich wieder fort.
In der Tat sind „Kulenkampffs Schuhe“ derzeit verschwunden. Nach nur sieben Tagen sind sie seit Donnerstag unzugänglich, nicht einmal als DVD zu haben. Wer bei amazon „Kulenkampffs Schuhe“ eingibt, stößt auf eine Weihnachts-CD mit Geschichten des seligen Hans-Joachim Kulenkampff, und direkt darunter werden Sportschuhe angeboten. Keine Spur der genialen Dokumentation von Regina Schilling, in der sie private Super-8-Schnipsel mit Fernsehausschnitten großer Shows der Sechziger verbindet und damit nicht nur das Fernsehgeschehen jener Tage in Relation zur Mentalität jener noch oft grauen Tage setzt, sondern auch der damals oft nicht erfolgten Verarbeitung der Kriegszeiten Bilder gibt, die genau zeigen, warum so viele Menschen so wenig erzählten aus den dunklen Tagen.
Man konnte sich also prima aufregen über dieses unzulängliche System, das endlich einmal wieder Großes schafft, das in der Lage ist, Menschen zu bewegen, und dann derart lieblos damit umgeht. Allerdings trifft der Furor nicht den Kern, denn das Verschwinden der Doku hat viel profanere Gründe. Ein Anruf beim produzierenden SWR bringt rasch Klarheit. Dort weiß man, dass eine längere Verweildauer der Doku schlicht und einfach an den Rechtekosten scheitert. Weil der Film nämlich komplett aus Archivmaterial besteht, das eben nicht nur aus den Regalen der Sendeanstalten stammt, müssen für jeden Schnipsel die Rechte verhandelt und, ganz wichtig, bezahlt werden. „Je länger die Verweildauer, desto höher die Kosten“, bringt es SWR-Sprecher Wolfgang Utz auf eine griffige Formel.
Natürlich könnte man nun anmerken, dass man dann halt etwas mehr hätte zahlen können, und dann wären die Rechte und damit die Verweildauer der Doku in der Mediathek halt länger gesichert. Das Argument zählt aber nur, weil der Film ein solcher Erfolg geworden ist. Konnte man das schon bei der Entstehung ahnen? Was wäre passiert, wenn man sich für viel Geld Ewigkeitsrechte gesichert hätte, und dann wäre das Publikum ausgeblieben?
Um aus diesem Dilemma zu entkommen, verweist man beim SWR auf die nun anstehende Wanderschaft, die „Kulenkampffs Schuhe“ nun durch die Dritten der ARD antreten werden. So ist der Film schon am kommenden Sonntag wieder on air. Eigentlich sollte er sich da auch irgendwo im Spätprogramm verlaufen, aber wegen der immensen Nachfrage hat man ihm nun auf 20.15 Uhr verlegt. Danach steht er dann wieder sieben Tage in der Mediathek. Ein bisschen was kriegen sie also doch noch hin in der ARD.
Wer also den eindeutigen Sommerhit und sicheren zukünftigen Fernsehpreisträger nicht verpassen will, der notiere sich den neuen Termin. Wann die anderen Dritten folgen, steht noch nicht fest.
Einen Vorteil hat das Dilemma um die kurze Verweildauer wegen der hohen Rechtekosten allerdings. Es macht im Umkehrschluss das Fernsehen wieder zu etwas Exklusivem, vergleichbar vielleicht zu den Kunstwerken von Christo. Die kann man auch immer nur zu einer bestimmten Zeit erleben. Wer nicht da war, hat sie halt verpasst. Ein Mahnmal gegen die ständige Verfügbarkeit, die auch die Beliebigkeit fördert. Was ich immer haben kann, das wird nichts wert sein. Willst du was gelten, mach dich selten, stand früher im Poesiealbum. War nicht ganz falsch.