Der kleine Jens möchte aus dem medialen Bällebad abgeholt werden. Er weint, weil er ab Montag nicht mehr umgeben sein wird von Kamerateams, die alle darauf warten, mit ihm lustige Spielchen zu spielen und abstruse Assoziationsketten zu schmieden. Der kleine Jens hat all diese Politiksimulationen sehr genossen, diese ununterbrochene Aufmerksamkeit. Aber nun ist es vorbei. Nun stehen seine Chancen wieder schlechter, bei der Show „Germany’s next Wolfgang Bosbach“ ganz vorne zu landen

Was macht der kleine Jens also ab morgen? Wohin flieht dann die Alice? Und der Martin? Was wird mit dem? Ja, es wird noch ein kurzes Aufwallen geben, so etwas wie ein klassisches Nachspiel mit ein bisschen Streicheln, ein bisschen Drücken, vielleicht sogar mit ein paar zärtlichen Worten. Aber dann ist Schluss, Finis, Aus. Jede Beziehung geht halt irgendwann mal zu Ende, auch eine mit dem großen Bällebad namens Fernsehen.

Natürlich wird es nach dem Wahltag noch hier und da ein paar Auftritte geben von Jens Spahn. Er wird seine Positionen hier und dort erklären, in dieser Talkshow und dann in jener. Aber er wird nicht mehr alle fünf Minuten vor einer anderen Kamera stehen. Das macht ihn bestimmt sehr, sehr traurig.

Das ist verständlich, denn die vergangenen Wochen müssen sich für ihn angefühlt haben wie eine orgiastische Sause, wie multipler Sex mit allen. Alle wollten ihn, den kleinen Jens, und alle haben ihn bekommen. Er war willig, hat jeden Scheiß mitgemacht, immer ein Lächeln bewahrt und auch noch die abstrusesten Fragen mit einer halbwegs nach irgendwas klingenden Antwort aus seinem ultrakonservativen Inneren veredelt. Das soll jetzt einfach so vorbei sein?

Natürlich geht die Arbeit eines Jens Spahn weiter. Aber es werden deutlich weniger Anfragen kommen aus den Sendern, von den Bloggern, von den YouTubern. In Berlin wird jetzt verhandelt hinter verschlossenen Türen, also dort, wo die Journalisten nicht hindürfen. Das kann einen Kamera-Junkie wie den kleinen Jens schon ins Wanken bringen. Wohin nun mit seinem Hang zur Omnipräsenz?

Gleiches gilt natürlich auch für Alice Weidel, für Christian Lindner, für Martin Schulz. Alle waren immer da, alle haben mitgemischt, haben sich mehr oder minder besinnungslos hineingestürzt in den medialen Wahlkampftrubel, aber der ist nun vorbei. Nach all den Höhepunkten geht es nun zu den Mühen der Ebene.

Auch in den Talkshow-Redaktionen droht jetzt Tristesse. Ja, ein, zwei, vielleicht sogar drei gewohnte Runden kriegt man noch hin, bis sich die Koalitionsverhandlungen in die finale Phase begeben. Da kann man im Titel noch ein paar von der AfD-Rhetorik befeuerte Beunruhigungsfragezeichen setzen. Aber dann? Dann muss man sich wohl oder übel andere Themen überlegen, muss die Welt da draußen wieder wahrnehmen wie sie ist und nicht wie sie in die Schlagzeile passt.

Auch für Anne, Maybrit, Sandra und Frank bricht nun eine harte Zeit an. Vorbei die Phase, in der es genügte, die neueste Unverschämtheit aus der rechten Ecke zum Thema umzudrechseln und damit zu adeln. Jetzt müssen wieder Themen von Belang her, möglicherweise sogar Inhalte, vielleicht mal ein bisschen mehr Talk statt zu viel Show.

Vorbei ist also die Zeit der hormonellen Aufwühlung. Es geht nun rein in die Routine alltäglicher Beziehung. Jetzt sind die wirklich essentiellen Fragen zu klären. Wer bringt die Kinder zur Schule, wer ruft den Heizungsmonteur an, und wer ersetzt langfristig Wolfgang Bosbach als festgewachsenen Bestandteil der deutschen Talkkultur? Wird es der kleine Jens schaffen?

Man weiß es nicht. Fest steht nur, dass der 24. September 2017 auch für das deutsche Fernsehen einen Wendepunkt setzt. Jetzt bietet sich die Chance, das Geschäft mit den Wortrechten mal wieder ernst zu nehmen, sich möglicherweise sogar den großen Themen zu widmen, vielleicht mal über Myanmar, Bangladesch oder die Toten aus der Sahara zu sprechen, aus der nationalen Ich-Bezogenheit auszubrechen und all die aufgeblasenen Phrasen wegzulassen, die man aus der „Bild“ geklaut hat.

Wäre noch die Frage zu klären, wer den Müll runterbringt, wenn Mutti ruft. „Jeeeens! Jeeeens! Kommst du mal? Ja, du darfst gleich wieder an die Playstation und World Of Hartaberfaircraft spielen. Aber nur wenn du vorher den Müll runterbringst. Und ja klar, wir gehen bald wieder ins Bällebad. Spätestens 2021.“