Es scheint, als habe in der ARD ein geheimes Casting stattgefunden. Gezielt wurde gesucht nach Kameramännern, die mit einer gewissen Sicherheit jedes ansprechende Bild zu vermeiden wissen. Dazu wurden Tonmenschen gefunden, die prima im Studio funktionieren, aber noch nie eine Halle geschweige denn ein angeschlossenes Fernsehpublikum versorgt haben. Einige blinde Lichtsetzer wurden auch ausfindig gemacht, und als bester Regisseur stand bald ein Vierjähriger fest, der wahllos an den Knöpfen im Regieraum herumzufummeln weiß.
All diese Erwählten hat man dann an einem Samstagabend nach Offenburg gekarrt, um einer einst beliebten Musikshow den Gnadenschuss zu geben, frei nach dem Motto: Wenn wir die volkstümliche Musik schon nicht auf legalem Weg aus dem Programm bekommen, dann machen wir es halt the ARD-way und reformieren das Ding zu Tode, was am Ende einen fatalen Dreisatz ergibt: Musikantenstadl - Stadlshow - tot.
Aber natürlich reicht es nicht, einfach nur schlechte Bilder zu senden von aktuellen und zukünftigen Bluthochdruckpatienten, die mit glasigem Blick in die Kamera schauen und dabei ihre oberen Extremitäten zueinander zu führen trachten. Es muss das echte Grauen sein.
Und in der Tat sind es grauenhafte Verhältnisse, die das Erste zeigt. Menschen, zu Tausenden in einer ultrahässlichen Mehrzweckhalle zu malträtieren mit Klängen, die jeden Tinnitus als attraktive Alternative erscheinen lassen. Nein, das ist kein „Brennpunkt“. Im Ersten läuft so etwas offiziell unter dem Label Verjüngung. Vor Ort wird das indes zu einem Massaker an der volkstümlichen Musik.
Man muss dieses Genre nicht mögen, aber wenn man so schaut, was da in Offenburg vor sich geht, dann kann einem diese Art der Viervierteltaktbewältigung schon ein bisschen leidtun. Wenn das der selige Karl Moik noch hätte erleben müssen, wäre er sicher dem einst von Stefan Raab angedichteten Joint näher gewesen denn je. Moik ist im Frühjahr gestorben und musste nicht mehr miterleben, wie man sich sein Erbe in diesem Dilettantenstadl durch die Nase gezogen hat.
Da werden junge Menschen in Lederhosen und Dirndl gesteckt, bevor sie dann die Menschen zum gemeinsamen Bummsfallera auffordern. Für wie anspruchslos* die Macher ihr Publikum halten, zeigt sich, wenn alle paar Minuten irgendwer vorbei kommt und allen Anwesenden sagt, dass er sie nicht hören kann und ihnen dann befiehlt die Hände nach oben zu heben. Nein, kein polizeilicher Hold up mit anschließendem Shoot down. Das würde zu sehr nach Gnadenschuss klingen. Von den Stadl-Insassen wird lediglich erwartet, dass sie ihre Handflächen durch Kollision zum Glühen bringen.
„Der Wahnsinn ist ausgebrochen“, singen die Dorfrocker, und selten war ein Song wahrer. Da hüpfen die Troglauer Buam umher, als habe man ihnen gerade die dringend benötigte Drogenration verweigert. Der Sänger sieht ein bisschen aus wie der junge Robert Plant in Lederhosen. Er lacht sehr viel sehr grundlos. Man sieht den sechs Herren an, dass sie den Auftrag haben, sich ein bisschen wie die Volksmusikausgabe von Metallica zu fühlen. Leider klingen sie mit ihrer Mischung aus Bratgitarre und Akkordeonmampf lediglich wie eine verunglückte Wacken-Ausgabe vom Ballermann.
Das ganze spielt sich ab „in unserem neuen Zuhause.“ So jedenfalls nennen sie den Monsterbau, den da irgendein komplett Unbegabter in die Offenburger Hallen-Ödnis gepflanzt hat. Eigentlich sagt diese sehr gewollte Hüttensimulation, die aussieht als hätten sich die Planer nicht entscheiden können zwischen einem Parkhaus und einem IKEA-Puff, ziemlich viel aus über das Selbstverständnis der Organisatoren. Wer solch einer Bausünde auch nur einen Hauch von Gemütlichkeit attestiert, kann wahrscheinlich ebenso gut auf dem Bahnhofsklo Weihnachten feiern.
Natürlich haben sie auch ein paar Oldies eingeladen, die an früher erinnern sollen. DJ Ötzi, der nicht ohne Grund so heißt wie eine Gletscherleiche, gibt vor, dem geschassten Moderator Andy Borg nahezustehen, aber trotzdem bei der neuen Verrätershow dabei sein zu wollen. Auch so kann man unterstreichen, dass man für Geld wirklich alles macht. DJ Ötzi erbricht einen alten Cheap-Trick-Hit mit ganz viel Oh Oh Oho. Mit seinem weißen Käppi sieht er ein bisschen aus, als habe er bis kurz zuvor noch als Schneemann gearbeitet und sein Kostüm nicht komplett entsorgt bekommen.
Weil selbst dem vierjährigen Regisseur aufgefallen ist, dass es ein bisschen unwürdig aussieht, wenn man einen älteren dicken Mann mit einem Käppi auf der Bühne Stampfremmidemmi machen lässt, haben sie rundherum noch vier Hupfdohlen drapiert. Die sehen ein bisschen aus, als hätten sie seit der Schlecker-Pleite sonst keine Anschlussverwendung mehr gefunden und zappeln, als wären ihnen eben mitgeteilt worden, dass ihr Resthirn die Ausreise aus ihren Körpern beantragt habe.
„Die Hände nach oben“, befiehlt das Moppelchen, und die Halle tobt. Na ja, die Halle sollte toben. Leider bekommt man davon nicht so viel mit, weil Ton und Kamera offenbar gerade vor dem Gebäude stehen, um eine zu rauchen.
Dann folgt das Interview mit der singenden Gletschermumie. „Du bist so erfolgreich, bist aber so wahnsinnig bodenständig geblieben. Wie schaffst du das?“ Ja, das sind die Knallerfragen, für die man einen Moderator braucht. Leider hat die ARD nur einen gefunden, der gegen Geld auch die Eröffnung einer Eiterwunde besprechen würde. Ihm an die Seite hat man einen singenden Silvie-Meis-Klon gestellt, der immer ein bisschen so spricht, als habe er mal ein Michelle-Hunziker-Poster an der Wand gehabt. Die Namen dieser Gestalten zu nennen, wäre eindeutig zu viel der Ehre. Und auch eine Strafe, die eine Rehabilitierung schwer machen würde. „Ach, Sie sind die beiden, die damals dieses unwürdige Spektakel namens Stadlshow beim Sterben begleitet haben“, hieße es dann.
Ja, es geht dem Ende zu mit der volkstümlichen Musik im Fernsehen. Irgendwer dort mag diese Musik nicht, hat aber nicht einmal den Mut gehabt, das Projekt auf eine anständige Palliativstation zu überweisen. Dort wüsste man sicherlich, wie man den Schmerz mindert, der bei den Hits der Poxrucker Sisters oder der Powerkryner aufkommt, die schlechte Popsongs (Sex Bomb) von früher auf offener Bühne vergewaltigen.
Niemand schreitet ein, wenn so etwas passiert. Alle schauen nur zu. Nein, sie schauen nicht. Niemand schaut bei so etwas zu. Sie gaffen. Dies ist der größte anzunehmende Unfall für den deutschen Schlager und die Unterhaltungskompetenz der ARD. Beiden wird in 160 Minuten das letzte bisschen Restwürde aus den Adern gesaugt.
Man hätte ahnen können, wo das hinführt. Man hätte den Ankündigungstext der ARD lesen müssen. „Die Eurovisions-Sendung bietet dem Publikum wie bisher einen beschwingten, abwechslungsreichen und launigen TV-Abend mit unbeschwerter Unterhaltung und den besten Interpretinnen und Interpreten der deutschsprachigen Musik“, stand da. So etwas ist nicht mehr geschrieben worden, seit auch der letzte Depp kapiert hat, dass die Rheumadecken auf Kaffeefahrten nicht wirklich günstig zu erwerben sind.
Das Schlimme an der neuen Stadlshow ist indes, dass sie niemand mittendrin stoppt. Wofür hat die ARD einen Programmdirektor. Müsste der nicht mittendrin sagen: "Stopp, das könnt ihr so nicht machen. Sendet lieber Testbild."
Ja, müsste er, tut er aber nicht. Stattdessen gräbt man noch ein paar mehr musikalische Moorleichen aus. Peter Kraus tritt an und der Sohn von Tony Marshall und Wolfgang Fierek und Jürgen Drews. Wer sich je gefragt hat, woher all die Zombieserien ihr Personal nehmen, könnte beim Anschauen dieses Grauens Antworten bekommen.
Aber möglicherweise ist die wahre Frage eine ganz andere. Hat man diese Zurschaustellung von öffentlich-rechtlichem Unvermögen nur inszeniert, um einen Kontrast zu kreieren, der selbst eine Nebelwand scharfkantig wirken lassen könnte? Oder wie ist es zu erklären, dass da einer wie Florian Silbereisen auftritt und gegen den Moderator wirkt wie ein Showriese? Ist die Stadlshow möglicherweise nur deshalb so verhunzt worden, damit Andrea Kiewels Fernsehgartenvorhölle anmutet wie ein lauschiger Ort? Ist der Stadl überhaupt gültig, obwohl Helene Fischer nicht da war?
Aber nein, das sind alles nur wilde Verschwörungstheorien. Die wahre Mission der Macher war eindeutig, den Stadl zu plündern, ihn auf Dauer zu diskreditieren, ihn zu vernichten. Angesichts des Gesehenen, des Durchlittenen und der mauen Zuschaueranzahl von 2,46 Millionen, kann man es nur mit den Worten von George W. Bush sagen: Mission accomplished.
*Anmerkung von Autor und Redaktion: Wir entschuldigen uns für den unangebrachten Gebrauch des Wortes "behindert" in einer früheren Fassung des Artikels.