Mehr als vier Stunden hat sich ProSieben gestern Abend Zeit genommen, um das vermeintlich lustigste Bundesland Deutschlands zu küren. Beim ersten "TV total Bundesvision Comedy Contest" sollten Teilnehmer:innen aus unterschiedlichen Regionen dem Publikum beweisen, dass der deutsche Humor vielfältiger ist als man gemeinhin annimmt.

Und eigentlich muss man nicht nur dem Sieger von "Deutschlands wichtigstem Comedy-Wettbewerb" gratulieren, sondern auch dem Veranstalter: Denn dass ein großer deutscher Fernsehsender seine komplette Primetime freiräumt, um dort mal nicht Comedy-Altstars, sondern Talente von heute und morgen auf die ganz große Bühne zu stellen, ist alles andere als selbstverständlich, seitdem RTL letztmals 2018 seinen "Comedy Grand Prix" veranstaltete.

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die "upcoming Comedy-Stars" mit ihrem an diesem Abend neu erworbenen Kurzzeitruhm nur wenig werden anfangen können.

Das bleibt in der Box

Denn das deutsche Privatfernsehen kann ihnen derzeit so gut wie keine Möglichkeit bieten, sich nunmehr regelmäßig in die Herzen der Zuschauer:innen zu kalauern – und so idealerweise im Laufe der Zeit zu Sendergesichtern und Stars zu werden, ohne dem enormen Konkurrenzdruck zur klassischen Primetime standhalten zu müssen.

Dabei ist es ja nicht so, dass die Sender gar keine Ausprobierbereitschaft an den Tag legen würden. Den Programmplatz im Anschluss an das erfolgreich zurückgeholte "TV total" lässt ProSieben-Senderchef Hannes Hiller seit seinem Amtsantritt mit einer Mischung aus modernisierten Altformaten ("Quatsch Comedy Show", "Rent a Comedian") und neuen ("Bratwurst & Baklava") bespielen. Aber das ist nur ein kleiner Lichtblick in einer Entwicklung, die dazu geführt hat, dass es in der klassischen Late Prime der Privatsender sonst kaum noch einen verlässlichen Platz für – mehr oder weniger – wochenaktuelle Comedy-Formate gibt, wie sie viele Jahre lang üblich waren.

Das hat mehrere Gründe. Einer davon ist: Pech. Eigentlich hätte Sat.1 vor anderthalb Wochen am späten Donnerstagabend im Anschluss an seine erfolgreichen Shows das neue Comedy-Quiz "Was ist in der Box?" zeigen wollen. Das spart man sich in Unterföhring aber nun, nachdem Luke Mockridge, der eigentlich als Host eingeplant war, durch beleidigende Witze für Schlagzeilen gesorgt hatte.

Nicht nur sich selbst, sondern dem ganzen Genre, das ihn hat groß werden lassen, erwies Mockridge damit einen Bärendienst – ausgerechnet!

Abruptes Ende einer Ära

Die Älteren werden sich erinnern: Von 2015 bis 2018 durfte der als Comedy-Hoffnung gehandelte Moderator bei Sat.1 "Luke – Die Woche und ich" präsentieren – eine Mischung aus Personality, Musik, Klamauk und aktuellen Schlagzeilenkommentaren (die 2018 den Deutschen Fernsehpreis in der Kategorie "Beste Unterhaltung Late Night" gewann). Gleichzeitig ist es gefühlt eine Ewigkeit her, dass Mockridge vor sechs Jahren auf die Bühne kam und scherzte: "Wir sind seit fünf Staffeln am Start – bei Sat.1 spricht man schon von ner Ära. (…) Wären wir 'ne Netflix-Serie wären, würden jetzt wahrscheinlich krasse Dinge passieren, damit es interessant bleibt."

Genau so ist es anschließend zwar gekommen – aber vermutlich anders, als es allen Beteiligten lieb gewesen wäre.

Sat.1 hatte zuvor auch am Format festgehalten, als es am späten Freitag nicht sofort sein Publikum fand – und wurde dafür belohnt, als die Quoten nach der Verschiebung auf den späten Sonntag im Schlepptau von "The Voice of Germany" besser wurden. Ab 2019 sollte Mockridge trotzdem stattdessen die neue abendfüllende Primetime-Variante "Luke! Die Greatnightshow" etablieren; dann kam erst Corona und schließlich Mockridges vorübergehender Rückzug aus der Öffentlichkeit.

Lass mal lieber Quiz wiederholen

Seitdem hat sich einiges verändert: Vielen Privatsendern ist wochenaktuell produzierte Comedy in der Late Prime inzwischen schlicht zu teuer, wie Inga Leschek, Chief Content Officer bei RTL Deutschland, gerade im DWDL.de-Interview bestätigte: "[W]enn wir uns jetzt auf die besonders wichtigen Flächen konzentrieren wollen, dann bleibt schlichtweg kein Budget übrig, um auch noch für den späten Abend Comedy-Formate zu beauftragen."

Zumal gleichzeitig in Produktionen investiert werden muss, die als "Originals" für die Streamingplattformen der Gruppen hergestellt werden (und dann halt im Zweifel auch nochmal irgendwann spätabends linear laufen, so wie die "Comedystreet"-Neuauflage von Joyn bei ProSieben).

Dazu kommt: In einer Zeit, in der neue Formate blitzabgesetzt werden, wenn sie auf ihrem Timeslot nicht direkt das benötigte Publikum erreichen, will sich kaum ein Sender mehr die Zeit lassen, die richtige Programmfarbe mit dafür geeigneten Talenten zu finden.

Oftmals ist es eine sehr viel günstigere Variante, einfach große Shows länger durchlaufen zu lassen, ohne das Risiko einzugehen, mit einem Formatwechsel das Publikum zu verlieren. Sat.1 zieht "Das große Backen" bis 22.55 Uhr, bevor irgendeine Doku-Wiederholung übernimmt; die neue Staffel von "The Voice of Germany" lässt sich donnerstags und freitags ebenfalls bis 23 Uhr Zeit; montags quizzt Günther Jauch bei "Wer wird Millionär?" auf RTL fast bis zur Geisterstunde. An anderen Tagen sind die Slots nach "RTL Direkt" mit etablierten Magazinen von "Extra" bis "stern tv" belegt. Und auf dem eigentlich für "Was ist in der Box?" reservierten Sendeplatz wiederholt Sat.1 jetzt einfach kostensparend "The Floor".

Kürzungen im Mutterland der Late Night

Ein Stück weit lässt sich die Zurückhaltung der Sender nachvollziehen: Selbst lang laufenden Shows im Mutterland der Late Nights wird der Ausstrahlungsrhthymus gekürzt, weil das Publikum im Linearen kleiner wird und gespart werden muss.

Mit seiner TV-Wundertüte "Late Night Berlin" beweist ProSieben derweil trotz schwankender Einschaltquoten Kontinuität (auch wenn das vorrangig der Bedeutung von Klaas Heufer-Umlauf als einem der zentralen Sendergesichter geschuldet sein dürfte). Aber auch die ändert nichts daran, dass "LNB" im Linearen fast ausschließlich vom Erfolg – oder Misserfolg – des Vorprogramms abhängig ist.

Die vorvergangene Woche war dafür ein schönes Beispiel: Nachdem die neue "Superduper Show" beim Publikum (leider) nur auf geringes Interesse gestoßen war, bekam das im Anschluss auch Heufer-Umlauf zu spüren. Als dieselbe "LNB"-Folge aber am sehr späten Sonntagabend noch mal nach "Wer stiehlt mir die Show?" lief, blieben deutlich mehr Zuschauer:innen eingeschaltet als zur Erstausstrahlung. Dass der Bezug zur aktuellen Woche bei "Late Night Berlin" ohnehin nur noch eine untergeordnete Rolle spielt (Heufer-Umlauf bei "40 Years on Air": "Ich brauche niemanden mehr, der mir um 23 Uhr den Tag zusammenfasst"), kommt dem entgegen.

Strukturen für neue Stefan Raabs

All das macht die Gemengelage in der Late Prime hochkompliziert. Umso mehr stellt sich die Frage, ob man es sich deswegen so einfach machen kann wie RTL-Content-Chefin Leschek, die sagt, Innovation sei "großartig", aber "erst Mal kein Wert an sich", wenn sie am Geschmack des Publikums vorbeisende. Im Detail mag Leschek recht haben. Aber auch Stefan Raab, den RTL gerade für viele, viele Millionen Euro eingekauft hat, um ihn plattformübergreifend das machen zu lassen, was er besonders gut kann, ist im Prinzip genau das: ein Produkt von Innovation. Nur dass diese schon sehr, sehr, sehr lange zurückliegt.

Wer sich ausschließlich auf bestehende Entertainment-Talente verlässt, aber keine Möglichkeiten und Strukturen dafür schafft, neue Stefan Raabs groß werden zu lassen, gibt ein Stück weit die Kontrolle darüber ab, das eigene Programm der Zukunft erfolgreich zu gestalten.

Klar kann man als Programmverantwortliche:r hoffen, dass die sozialen Medien die Talentarbeit übernehmen – und man später bloß schnell genug sein muss, um sich die erfolgreichsten Youtuber:innen, Twitcher:innen und Instagrammer:innen rauszupicken. Im Sinne einer nachhaltigen Programmstrategie kann das aber zum Risiko werden. Die Vernachlässigung von Innovationen in der Late Prime fällt zuallererst auf die Sender selbst zurück; und zwar fast ausschließlich: die Privaten.

Für die Ausdauer belohnt

Ausgerechnet die Öffentlich-Rechtlichen haben in dieser Hinsicht besser verstanden, wie wichtig es ist, Comedy-Plätze am späten Abend zu etablieren, die mit ihrer selbst geschaffenen Wochenaktualität auch bei Zuschauer:innen in den Mediatheken punkten. (Das Ergebnis sind: gute Zahlen und Relevanz.)

Das Erste kann dabei auf Klassiker wie "Extra3" und neu Etabliertes wie "Die Carolin Kebekus Show" bauen. Und das ZDF darf sich nicht nur dafür auf die Schulter klopfen, Jan Böhmermann mit dem "ZDF Magazin Royale" ins Hauptprogramm geholt zu haben, sondern verfügt dank der vorher gezeigten "heute show", die anfangs auch kein Selbstläufer war, über ein quasi unschlagbares Line-up im Freitagspätprogramm. (Gerade steigerte die Nachrichtenparodie ihre Reichweite dank zeitversetzter Nutzung um eine Zahl an zusätzlichen Fans, die RTL+ sich mit Raab teuer einkaufen muss.)

Innovation mag kein Selbstzweck sein; aber sie ist womöglich ebenso notwendig wie Geduld in der Aufbauarbeit – wenn man langfristig nicht immer nur mit Geldbündeln wedelnd den Etablierten hinterherlaufen möchte.

In diesem Sinne wäre den deutschen Privatsendern zu wünschen, dass sich doch noch irgendwo eine Schatztruhe auftreiben lässt, aus der sich wieder mehr Mut zu gegenwartsverbundener Comedy in der Late Prime speisen ließe. Alleine schon, um in Zukunft noch was zu lachen zu haben.

Und damit: zurück nach Köln.

"Late Night Berlin" läuft am Dienstag um 23 Uhr bei ProSieben und bei Joyn.