Wenn es für Kochsendungen im deutschen Fernsehen ein Rezeptbuch gäbe, dann wäre das vermutlich broschiert und würde im Regal nicht sonderlich viel Platz einnehmen. Neuauflagen erschienen allenfalls mit geringfügigen Aktualisierungen. Und die allermeisten Gerichte kämen bei den Rezipient:innen eher mittelgut an, weil sie bloß eine stetige Variation weniger Klassiker wären, die seit Jahren immer wieder verzehrt werden.
Was die Sender aber nicht davon abhält, immer neu aufzutischen, ohne dass bei der Herstellung allzu weit über den eigenen Tellerrand hinausgeschaut worden wäre.
Oder, anders gesagt: Deutsche Kochshows sind oft wie Zwiebelschneiden. Zum Heulen.
Mit freundlicher Unterstützung von Aldi
Seit zwei Wochen versucht Sat.1 seinen Zuschauer:innen am Nachmittag den Mund mit zwei Neuformulierungen wässrig zu machen: "Drei Teller für Lafer" und "Das Schnäppchen-Menü" mit Alexander Kumptner sollen dem Sender den Nachmittag sanieren – was bislang qualitativ und quantitativ nur mäßig gelingt (aber wer weiß, was der Sendeplatztausch für Überraschungen bringt). Auch für die Primetime ist ein weiteres Kochformat angekündigt. Im vergangenen Jahr servierte das Erste bereits einen ähnlichen Ansatz im Nachmittagsprogramm. Die Sender sind überzeugt: Schmeckt nicht, gibt's nicht!
Gibt's aber doch – zumindest scheint die Sättigungsgrenze beim Publikum so langsam erreicht: Etablierte Shows mögen sich weiter (oder wieder) großer Beliebtheit erfreuen. Aber sonst hält sich der Appetit auf Neues in Grenzen.
Das könnte auch daran liegen, dass für die oft günstig, schnell und einfach herzustellenden Formate produktionsübergreifend immer wieder auf dieselben Zutaten zurückgegriffen wird.
Beim "Schnäppchen-Menü" kochen zwei Paare aus derselben Stadt mit begrenztem Budget Mehrgangmenüs aus Produkten, die sie vorher zusammen im Discounter eingekauft haben: "mit freundlicher Unterstützung von Aldi Süd und Aldi Nord", die die beiden Zwannis sponsern – und ganz genauso wie es schon "Das perfekte Dinner" auf Vox in einer Spezial-Woche im vergangenen Herbst mit demselben Partner vorexerziert hat.
So ein Duell wiederholt sich schnell
In "Drei Teller für Lafer" bereiten drei Köche aus drei Generationen jeweils ein Gericht zur Sternekochverkostung vor, denn: "Wir wollen zeigen, wie gut Deutschland kochen kann", sagt Lafer, als habe er das nicht schon über Jahre hinweg mit zahlreichen Kolleg:innen im ZDF-Dauerbrenner "Die Küchenschlacht" erledigt, hinter dem mit den Fernsehmachern dieselbe Produktion steckt, die im Vorjahr im ARD-Auftrag außerdem bereits Steffen Henssler ins "Familien-Kochduell" hat laufen lassen. (Das inzwischen nur noch als Wiederholung durchs NDR-Randprogramm geistert.)
Demnächst fragt Sat.1 obendrein zur besten Sendezeit "Wer kocht das Beste für die Gäste?": Gastgeber Frank Rosin misst sich in einem kulinarischen Wettstreit zur Premiere mit dem Rivalen Alexander Herrmann, was insofern praktisch ist, weil sich die beiden nicht nur als Juroren aus "The Taste" kennen – sondern exakt dasselbe Duell gerade schon zum Auftakt der zweiten Staffel von "Kühlschrank öffne dich!" ausgetragen haben, ebenfalls in Sat.1.
Werden die vielen neuen Kochshows etwa gar nicht frisch angerichtet – sondern bloß mit Fix-Produkten eilig zusammengerührt, um im Überfluss die bekannte Mischung anzurühren, bei der nachmittags die Normalos kochen, um ihre Gerichte von Profis bewerten zu lassen – bevor es abends dann oft genau andersherum läuft?
Budgets, Tagesmotto und Pflichtzutaten
"Mit 20 Euro hauen wir die anderen in die Pfanne und lassen's in der Küche so richtig krachen!", versprechen Kumptners "Menü-Musketiere", um nachher beim Einkauf die völlig willkürliche gesetzte Ausgabengrenze einzuhalten – wehe, es verrechnet sich einer! Bei Hensslers "Familien-Kochduell" blieben den Teilnehmenden sogar nur 100 Euro Wochenbudget für fünf Vor- und Hauptspeisen, und am Bildschirmrand lief die Zeit bis zur sekundengenauen Pflichtablieferung der angerichteten Menüs runter.
"Es wird feurig", "Ein Tag am Meer" und "Fastfood de Luxe" lauten die Vorgaben, mit denen bei "Drei Teller für Lafer" gekocht werden soll. Henssler meldete: "Heute: Veggie gegen Fisch!" Und bei der "Küchenschlacht" geht man die Sache saisonal an – Mottotag: Mairübchen!
Dass die "Schnäppchen-Menü"-Zubereitung in den heimischen Küchen der Kandidat:innen in Abwesenheit des betreuenden Fernsehkochs erfolgt, der aus dem Off seinen Senf zu den Rezeptfortschritten gibt, lässt Raum für einen "Joker" – den einmalig einlösbaren Videoanruf, mit dem sich beim Profi ultimativ erfragen lässt: Das Schokotörtchen auf den Avocadospiegel draufgeben oder besser daneben?
Und während die einen noch die "Tageszutat" Avocado in ihre Rezeptpläne einarbeiten, befasst sich Lafer damit, wie er die ihm von den Kandidat:innen überreichten "Pflichtzutaten" erfolgreich um sein geplantes Chili herumdrapieren kann.
Wolfsbarschröllchen gegen Avocado-Lachs-Tatar
In jeder, wirklich jeder Sendung versuchen sich anstrengend überambitionierte Kochlaiinnen und -laien gegenseitig mit ihren am durchschnittlichen Mittagstisch der Deutschen völlig vorbeigeplanten Kreationen auszustechen, um Tages- bzw. Wochensiege davon zu tragen.
Es gibt Linsenhummus mit Spinat-Topping und gerösteten Fladenbrot-Sticks, asiatisches Avocado-Lachs-Tatar mit Balsamico-Gurkensalat, gedämpftes Wolfsbarschröllchen mit Tomate-Sablés, Paprikaschaum und Manchego-Segel, pochiertes Rinderfilet mit Meerrettichsauce auf glasiertem Wurzelgemüse und Mairübchen-Apfel-Carpaccio mit Jakobsmuschel, Erbsenpüree und Apfel-Gel – bis sich irgendwann eine Rentnerin in Erinnerung an ihre Balkanurlaube an herzerfrischend einfache Cevapcici mit Djuvec-Reis und scharfen Zwiebeln wagt.
Die Profis begleiten diese Anstrengungen mit einer Flut an Tipps: Beim Coq au Vin kommt es in erster Linie darauf an, dass man die Soße gut reduziert kriegt. Rohen Knoblauch für Vorspeisen immer kleinschneiden, niemals pressen! Der Mürbeteig gehört nicht in den Tiefkühler. Limetten vorm Anschneiden auf dem Brett mit der Handfläche rollen, dann kommt richtig viel Saft raus. Und: Jetzt zeig ich mal, wie man eine Mango fachgerecht zerteilt!
Von wem war nochmal das Rezept?
Vor allem in den schnell hintereinander wegproduzierten Nachmittagsformaten wirken allerdings auch die fernseherprobtesten Starköche bisweilen von der Routine erschöpft: Im "Familien-Kochduell" versuchte Steffen Henssler, einen Weltrekord darin aufzustellen, wie oft man in einer Dreiviertelstunde "Alter Schwede!" sagen kann. (Ohne, wie Guido Cantz, dafür gerügt zu werden.)
Und Johann Lafer sieht in seiner neuen Sat.1-Show vor allem erschöpft aus, wenn ihm "schwer bebackte Kandidaten" wieder aufs Neue ganz "fandastisch" die "Deller" vollmachen, um "Guden Appedid" zu wünschen. Wie er denn auf Steinbutt mit Limettenkruste und Pekanuss-Chili-Sauce mit gegrillter Mango und Basmatireis gekommen sei, wollte Lafer jüngst von einem Teilnehmer wissen: "Von wem kommt das Rezept?" – "Von dir. Aus deinem Kochbuch."
Aber, herrjeh, wie soll man sich bei so einem Durchsatz auch behalten, was man den Leuten schon alles in die Kochtöpfe reingequatscht hat, bevor es einen Jahre später in der eigenen Sendung wieder heimsucht?
Läppische Gewinnbeträge
Dank der pflichtmäßigen Smalltalks mit den Kandidat:innen, die notwendig sind, um beim Schnippeln, Anschwitzen und Aufbacken die Zeit rumzukriegen, lässt sich nun immerhin feststellen, dass wohl keine deutsche Fernsehköchin und kein deutscher Fernsehkoch so schnell ins Investigativfragen-Fach wechseln und da jemandem den Job wegnehmen wird: "Wer hat bei euch in der Küche den Hut auf?", "Bist du sehr ernährungsbewusst?", "Du hast ja ein Haus in Schweden!", "Was ist in den Cevapcici alles drinnen?", "Wie lange kennt ihr euch schon?", "Du bist im Bereich vorbeugende Tierseuchenbekämpfung tätig – macht dir das Spaß?"
Natürlich interessiert niemanden, was die da antworten. Aber: Achtung, gleich ist die Zeit für den Hauptgang rum!
Bevor im Abspann schließlich all den Küchenbauern, Geräteherstellern, Porzellanmanufakturen und Lebensmittelzulieferern für deren "freundliche Unterstützung" gedankt wird ("Drei Teller für Lafer" kommt tatsächlich auf zwölf unterschiedliche Partner!), muss eilig geprüft werden, wer denn nun als Sieger:in den läppischen Gewinnbetrag zwischen 500 und 1000 Euro davontragen darf.
Zu oft variiert und aufgespiced
Wobei auch die Fazits in der Regel ähnlich positiv ausfallen: "Das war gerade hintenraus ein schönes Menü", "So stell ich mir Essen vor", "Kann man nicht besser garen", "Würde ich gerne aufessen", "Mhmm, mhmm", "Das ist 'ne Vorspeise, die könnte ich auch in einem Sternerestaurant servieren". Und nur ganz, ganz selten hätte man den Rucola vielleicht ein bisschen stärker abmarinieren können.
Derweil endet der kulinarische Horizont deutscher Primetime-Kochshows unmittelbar hinterm ewigen Kochduell – und auch das ist leider viel zu wenig, um dem Genre neue Impulse geben zu können, wie es einst "Kitchen Impossible" mit seiner einzigartigen Bildsprache und Erzählart gelang, die inzwischen aber auch zu oft variiert und aufgespiced wurde, um noch überraschen zu können. Dass es trotzdem noch Spielräume gibt, bewies Vox zuletzt zwar mit "Mälzer & Henssler liefern ab!", das nun jedoch in "Kitchen Impossible"-Bahnen gelenkt wird, damit dem bisherigen Counterpart mehr Zeit für "Deutschland grillt den Henssler" bleibt.
Letztlich ist es beim Fernsehen wohl ähnlich wie beim Soßenkochen: Hauptsache, man bekommt Bindung rein. Und das gelingt den allermeisten Sendern mit ihren neuen Formaten derzeit aus nachvollziehbaren Gründen so gar nicht.
Sat.1 zeigt neue Folgen von "Das Schnäppchen-Menü" und "Drei Teller für Lafer" werktags ab 15 bzw. 16 Uhr.