Sie haben's wahrscheinlich gemerkt: Gerade sind Wünsch-dir-was-Wochen beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Erst hat Markus Söder (nachdem er in den zurückliegenden Jahren "aus terminlichen Gründen" gleich mehrfach an der Mitgestaltung der Anstalten von innen heraus gescheitert war) seinen höchstwahrscheinlich ausgewürfelten Streich- und Sparplan in die "Bild"-Zeitung hinein diktiert, das Zentralorgan der fairen Auseinandersetzung mit ARD und ZDF ("GEZ-Hammer!").
Kurz danach publizierte dann auch der von der Rundfunkkommission der Länder beauftragte "Zukunftsrat" seinen Bericht mit (erwartbar differenzierteren) Reformvorschlägen (PDF). Diese sehen unter anderem eine Neuorganisation der Gremien, eine gemeinsame Digitaltochter, ein verändertes Finanzierungsmodell sowie die Gründung einer autark agierenden ARD-Anstalt vor, damit sich die Landesrundfunkanstalten ganz auf ihre Aufgaben im Regionalen konzentrieren könnten.
Doch so sehr diese Ansätze dazu einladen, angeregt zu diskutieren, wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland langfristig organisiert sein soll: Wäre es nicht fein, wenn sich auch mittelfristig schon Grundlegendes ändern könnte, um die Transformation einzuleiten?
Ich hätte da einen Rat für die nähere Zukunft: Nieder mit dem ARD-Vorsitz! Und ich kann das auch erklären.
Sprechen Sie Intendantisch?
Der Vorsitz ist sowas wie das Ehrenamt des Zusammenschlusses der neun Landesrundfunkanstalten, deren Intendant:innen sich alle zwei Jahre darin abwechseln, öffentlich für den gesamten Verbund einzustehen, um dessen Entscheidungen zu erklären und sich Prügel dafür abzuholen. Vordergründig bringt das Renommee und Einfluss; tatsächlich aber haben sich viele Senderchefs bei ihrer Zusatzaufgabe zuletzt eher selten mit Ruhm bekleckert.
Die Repräsentationsleidenschaft der ehemaligen RBB-Intendantin Patricia Schlesinger stand in umgekehrter Relation zum Bärendienst, welchen sie der Gemeinschaft mit ihrer auf Selbstbevorteilung fokussierten Führung erwiesen hat.
Ihr Vorgänger und Interims-Nachfolger, WDR-Intendant Tom Buhrow, war Zeit seines Amtes vor allem mit dem Aufführen von Drohgebärden an die Politik beschäftigt, wie sehr deren Einsparforderungen das Programm beschädigen würden – bevor er kurz vor Amtsübergabe überraschend noch seinen Reformerehrgeiz in einer Schublade entdeckte.
Auch in den (vergleichsweise ruhigeren) Jahren zuvor ließ sich oft der Eindruck gewinnen, dass Intendant:innen nicht automatisch die allerbesten Kommunikator:innen sind, um die ARD in der Öffentlichkeit so zu vertreten, wie sie es nötig gehabt hätte.
Gniffke bloggt, erklärt, interagiert
Seit etwas mehr als einem Jahr – und aller Voraussicht noch bis Jahresende – ist der kürzlich bis 2029 wiedergewählte SWR-Intendant Kai Gniffke ARD-Vorsitzender; und macht einiges anders als seine Vorgänger:innen. Das liegt zuallererst an dem von ihm selbst formulierten Rollenverständnis, sich "zum Dialog verpflichtet" zu fühlen und als "Impulsgeber" zu verstehen, weniger als "Erneuerer" (wie er u.a. bei DWDL.de und im "journalist" zu Protokoll gab).
Gniffke hat auf swr.de gebloggt und liefert Updates zu seiner Arbeit inzwischen via LinkedIn. Er gibt den unterschiedlichsten Medien unerlässlich Erklärinterviews, stellt sich auf Instagram im "Live Talk 2.0" den Fragen junger Beitragszahlender und wiederholt mantraartig seine Mission, die ARD "zum erfolgreichsten Streaminganbieter Deutschlands" zu machen bzw. die Bewegtbild-Zukunft "nicht ausländischen Tech-Konzernen zu überlassen".
Und er macht das alles gar nicht schlecht. In Interviews übt Gniffke sich in angenehmer Demut und Zurückhaltung, auch gegenüber den schärfsten Kritiker:innen seines Senderverbunds; er äußert Verständnis für Forderungen, die von außen an die ARD herangetragen werden, hält sich zugleich aber mit Kommentaren zu Einlassungen aus der Politik zurück, weil ihm das nicht zustehe. Das ist schlau.
Es reicht nur leider nicht.
Selbst- und Außenwahrnehmung klaffen auseinander
Im Herzen ist Gniffke der größte Befürworter des Systems, das er vertritt – und das ist einerseits eine hervorragende Qualität. Gleichzeitig aber auch keine allzu gut Voraussetzung, um eines der Kernprobleme der ARD zu lösen: Theoretisch finden (fast) alle gut, dass es sie gibt – aber praktisch halt – angesichts der zahlreichen Baustellen, die sich kaum mehr überblicken lassen – auch wieder nicht.
Gniffke versucht, die Aufbruchsbereitschaft der ARD zu vermitteln: Er schwärmt von "großartigem Team-Spirit" und im Anschluss an Treffen mit seinen Kolleg:innen von einer "Sitzung des Aufbruchs" (ohne freilich zu erklären, wie man sitzend irgendwohin aufbrechen könnte). Dem "Spiegel" sagt er, man sei "geschlossen wie nie", mehr noch: "Die ARD ist 'on fire'"!
In ihm lodert die Begeisterung. Nur der Funke, der will dabei nicht so recht überspringen.
Und das liegt daran, dass Gniffke – wie die allermeisten Führungskräfte im Senderverbund – kein oder nur sehr wenig Gespür dafür hat, wie drastisch sich Selbst- und Außenwahrnehmung der ARD voneinander unterscheiden. Als Cheerleader der guten Laune erklärt er die aus seiner Perspektive weitreichend wirkenden Reformbeschlüsse; zugleich merkt man ihm aber das Unverständnis darüber an, wenn die Öffentlichkeit nicht in dem Maße applaudiert, wie er es für angemessen hielte, oder Journalist:innen längst überfällige Entscheidungen einfordern: Die ARD macht und tut und spart und kämpft. Aber am Ende hilft das alles gar nichts, und das Gemotze darüber, dass das nicht reicht, wird immer größer.
Das große Scheuklappen-Dilemma
Während man sich in den Anstalten zu Unrecht gegängelt fühlt, verfestigt sich in großen Teilen der Gesellschaft, in Politik und Medien eher das Gefühl, dass zwischen Baden-Baden, Hamburg und Leipzig eher am möglichst schmerzfreien Selbsterhalt gearbeitet wird.
Es ist ein einziges großes Scheuklappen-Dilemma, und Gniffkes Problem ist, dass ihm sein Unverständnis darüber bei öffentlichen Auftritten nicht nur anzumerken, sondern von außen auch leicht als Arroganz auslegbar ist. In der "Zapp"-Sondersendung zur Zukunft der ARD im vergangenen Jahr wirkte Gniffke trotz guter Argumente überheblich und eitel, weil er dem Moderator:innenduo attestierte, die falschen Themen anzusprechen: Braucht der SWR in Zukunft mehr Geld? "Das ist nicht die Frage, die mich umtreibt, sondern: Wie schaffen wir es, in den nächsten Jahren bei den Menschen zu sein?" (Hier geht's zur Sendungskritik von DWDL.de.)
Im "Spiegel" (Abo-Text) sagte er: "Warum müssen wir immer soviel über Geld reden?", er spreche lieber über "Zukunftsfragen".
Und als Gniffke bei einer Veranstaltung der Akademie der Künste in Berlin das nach Ansicht der Zuhörenden unzureichende Kulturprogramm der ARD verteidigen sollte, erklärte er (laut "FAZ"), ihm liege in der Debatte etwas an den Fakten. Das war maximal missverständlich formuliert und stieß auf entsprechende Resonanz.
Doch erstmal übers Geld sprechen
Man kann Gniffke gerade dabei zusehen, wie er aus diesen Fehlern lernt. Wie er merkt, dass man ihn nicht über Zukunftsfragen reden lässt, wenn die meisten Leute doch erstmal übers Geld sprechen wollen. Und wie er dem gerecht zu werden versucht, wenn er das Signal setzt, dem SWR-Verwaltungsrat eine Absenkung seines Gehalts für die zweite Amtszeit anzubieten.
Gniffke hat verstanden, was der ARD fehlt: ein gesellschaftliches Entgegenkommen. Und Kommunikation. Aber in letzter Konsequenz ist er in seiner Intendantenrolle nicht der Richtige, um das umzusetzen.
Die ARD benötigt keine wechselnden "Vorsitzenden", die sich alle zwei Jahre wieder neu rantasten müssen, wie man am besten mit einer Öffentlichkeit interagiert, die in vielerlei Weise unzufrieden ist mit dem Status quo. Und der es nicht reicht, wenn man ihr dann entgegenhält, dass die Landesrundfunkanstalten gerade schon artig ihre SAP-Systeme vereinheitlicht haben. Weil das einfach nicht dem entspricht, was die Gesellschaft als Hauruck-Signal wahrnimmt.
Was die ARD aber ganz dringend bräuchte, ist: mehr Nachvollziehbarkeit. Und sowas wie eine Außenministerin bzw. einen Außenminister, der in der Lage wäre, das mit einer gewissen Kontinuität zu leisten.
Eine unintendantigere ARD als bisher
Jemand, der (ganz zwangsläufig) Fan der Grundidee des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist, aber zugleich als Infragesteller seines aktuellen Stands glaubwürdig wäre; jemand, der leichter, selbstverständlicher, ungezwungener mit gesellschaftlichen Akteuren – vom Beitragszahlenden bis zu Medienpolitiker:innen – kommunizieren könnte; jemand, der Verteidigung und Angriff gleichermaßen beherrscht, ohne sich als Senderchef:in mit einzelnen Ministerpräsidentinnen besonders gut stellen zu müssen. Vielleicht ja jemand wie – Florian Hager?
Vor zwei Jahren hat sich der frühere Funk-Chef und ARD-Mediathek-Leiter zum HR-Intendanten wählen lassen und probiert in diesem Amt derzeit schon, wie eine ARD aussehen könnte, die sich lockerer, moderner als bisher gibt.
In Interviews demonstriert Hager eine für ARD-Verhältnisse erstaunliche Klarheit; in seinen Beiträgen auf LinkedIn schildert er, wie er gerade die Türdichtung an seinem Durchgangsbüro kaputt repariert hat, warum er trotz seines "krummen Lebenslaufs" Senderchef werden konnte, wie er in einer Zirkussschule jonglieren gelernt hat (und was das mit seinem Job zu tun hat).
Auf der Suche nach einer neuen Leitung für die HR-Programmdirektion postet er ungewöhnliche Stellenanzeigen ("Wer hat Lust, mit mir zu arbeiten?", "Gerne auch jemanden, der nicht naheliegend erscheint") und will "eine zeitgemäße Übersetzung unseres Auftrags" für eine Welt, "in der feste Sendeplätze ihre Bedeutung verlieren" bzw. "Community" wichtiger wird als das klassische Publikum ("Audience"). Er sagt: "Wir müssen unsere eigene Kommunikation nicht mehr als Endpunkt, sondern immer als Anfang und Anstoß von Dialog und Diskurs begreifen." Und stellt Fragen, ohne schon all die Antworten darauf zu haben.
Es ist eine völlig andere, sehr unintendantige Art des Austauschs, die direkt auf Mitlesende eingeht ("Und ihr so?") – und die gerade deshalb eine Riesenchance für den Senderverbund sein könnte.
Die Fassbarkeit der ARD stärken
"[M]eine Rolle als Intendant ist es (…) nicht, am Ende alles zu machen, sondern im Idealfall einen Anstoß zu geben", sagt Hager – und es ist sein gutes Recht, diese Fähigkeit dafür einzusetzen, um die konkreten Abläufe im HR neu zu gestalten – anstatt die Fassbarkeit der ARD zu stärken. Aber konsequenterweise müsste er zugleich alles daran setzen, seine Kolleg:innen den Anstoß zu geben, dass auch die gemeinsame Arbeitsgemeinschaft jemanden bräuchte, der sie in der Öffentlichkeit so vertritt, wie es derzeit eben nötig ist.
Die bzw. der die Interessen der ARD forciert, aber auch Verfehlungen einräumen kann; die bzw. der weiß und versteht, wie der Senderverbund von außen gesehen wird, ohne deswegen emotional zu werden; die bzw. der vermittelt, aber auch klare Worte formuliert – nach innen wie nach außen; und die bzw. der zu reparieren versteht, was in den zurückliegenden Jahren angesichts weitreichender Skandale und Uneinsichtigkeiten kaputtgegangen ist. (Jonglieren wäre dann vielleicht optional.)
Es ist allerhöchste Zeit, aus den Chefsesseln aufzustehen, um zu merken: Die ARD braucht keine Vorsitzenden, sondern ein Außenministerium. Nicht erst in Zukunft, sondern jetzt.
Und damit: zurück nach Köln.