Dass die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinandergeht, ist regelmäßig Thema in den TV-Talks des Landes. Aber wie sehr das auch auf die Gesprächssendungen selbst zutrifft, ließ sich selten besser feststellen als in diesen Tagen.
Während Caren Miosga die Premierengäste für ihre neue Sendung im Ersten gerade ins frisch polierte Sonntagabend-Séparrée holte, das gemeinsam mit dem ausgeklügelten Lichtkonzept "zur Verdichtung der Gesprächsatmosphäre" beitragen soll, und kurz bevor sich Louis Klamroth an diesem Montag aus der neuen "Hart aber fair"-Kulisse mit Townhall-Charakter in Petrol, Braun und Grau zurückmeldet, musste sich Jörg Thadeusz im RBB gerade entscheiden: abspecken oder aufhören?
Die Wahl fiel erfreulicherweise auf die erste Option. Und so wurde "Thadeusz und die Beobachter", seit über zehn Jahren Ort des angenehm-zivilisierten Widerspruchs im Dritten Programm des Rundfunks Berlin-Brandenburg, am vergangenen Dienstag von der Fernseh- zur Radiosendung degradiert, weil sie sich der Sender sonst nicht mehr hätte leisten können.
Schon die zweite Umtopfung
Am frühen Abend meldete sich Thadeusz zunächst bei RBB Kultur – nicht ganz mit der üblichen Stammbesetzung – aus einem Tonbearbeitungsraum des 1929 erbauten Haus des Rundfunks, an dessen Ränder gerade noch so ein paar Zuschauer:innen auf Stapelstühle gequetscht werden konnten, bevor die "Beobachter" (und :innen) an einem eckigen Funktionstisch vor ihren Mikrofonen Platz nahmen – wie erst im Livestream und später in der Zusatzausstrahlung des RBB-Spätprogramms zu sehen war.
Es ist schon die zweite Umtopfung des Formats, das ursprünglich aus einem regulären Fernsehstudio kam, bevor der Sender es in seine ausgebaute Dach-Lounge holte, was zwar eine Verkleinerung bedeutete – aber im Gegenzug auch eine durchaus angenehme atmosphärische Aufwertung. Über den Dächern der von draußen durch die Fenster hereinscheinenden Stadt saßen Debattierende und Publikum bei gedämmtem Licht in Club-hafter Umgebung beieinander. Auf den Tischen standen frische Blumensträuße, es gab Getränke für alle und der Gastgeber hieß seine Zuschauer:innen stets im 14. Stock des RBB-Fernsehzentrums willkommen. Das fühlte sich irgendwie – echt an.
Zumindest laut offiziellem Vermietungskalender steht die TV-Lounge künftig weitgehend leer, weil der RBB offensichtlich nicht mal mehr das Geld hat, dort die eigenen Sendungen auf die Beine zu stellen.
Oder wie RBB-Programmdirektorin Martina Zöllner gerade im DWDL.de-Interview befand: "Es muss nicht immer Hochglanz sein." (Drei Jahre nachdem ihr Sender mit seiner letzten Hochglanz-Ambition im Ersten krachend gescheitert war.)
Symbolbild-Mikrofone und Poppschutz-Augen
"Ich will nicht verhehlen: Das ist jetzt 'ne ganz schön abgespeckte Variante, was den Aufwand mit Leuten angeht", hatte RBB-Treuemoderator Thadeuzs am Nachmittag noch im Gespräch mit dem hauseigenen Radio Eins eingeräumt; und im neuen "Ich-will's-nicht-ganz-Sendesaal-nennen" später versucht, das Beste draus zu machen. Er winkte kurz in die statische Kamera ("Hallo, liebe Zuschauer im RBB Fernsehen!") und stieg direkt in die Debatte über AfD-Gegendemos und Ampel-Chaos ein, die jetzt statt einer immer zwei Stunden dauern soll, was von den Beteiligten als Vorteil gepriesen wird, dem Tempo der Sendung aber nicht so gut tut.
Statt Bewegtbildern zu aktuellen Themen und Personen, über die die Runde spricht, werden jetzt nur noch Audio-Aufnahmen eingespielt; nicht mal das Friedrich-Merz-Zitat aus "Caren Miosga" war im Original zu sehen. Stattdessen sah das TV-Publikum aufgezeichnete Kamerafahrten über Symbolbildmikrofone und anschließend noch sekundenlang die konzentrierten Gesicht der schweigenden Talkrunde.
Regelmäßig gab Thadeusz den Vermittler und erklärte sowohl Mimik als auch Optik seiner Mitstreiter:innen ("Ich übersetz das mal für die Radiohörer", "Das können die Hörer heute Abend nicht sehen: dass Sie einen gelben Rollkragenpullover zu einem blauen Jackett kombiniert haben, das hat etwas Genscheristisches"), während hinter dem riesigem Mikrofon-Poppschutz zeitweise nur deren Augen hervorlugten.
Aus dem E-Werk ins Regionalstudio
So sehr sich alle Beteiligten auch Mühe gaben, die Radiovariante von "Thadeusz und die Beobachter" zumindest nach Fernsehen aussehen zu lassen: Die kreativ gemeinte Fortsetzungslösung lässt sich auch als Vorbote einer Zwei-Klassen-Talkgesellschaft begreifen, die sich gerade im von Sparmaßnahmen beherrschten öffentlich-rechtlichen Rundfunk breitzumachen beginnt.
Während die Redaktion von "Caren Miosga" wegen eines geplanten Gesprächsanstupsers für Friedrich Merz eine 670 Euro teure Designlampe ersteht, die dann bloß für knappe sechzig Sekunden benötigt wird, kann der RBB dem "FAZ"-Feuilletonisten und Debattenklubmitglied Claudius Seidl jetzt nicht mal mehr ein anständiges Bierglas ins improvisierte Studio stellen. (Selbst für ein sendungsbezogenes Vorschaubild in der ARD-Mediathek fehlen augenscheinlich die Ressourcen.)
Eine Woche zuvor war bereits das SWR-"Nachtcafé" umgezogen – wenn auch glücklicherweise nicht in vergleichbare Kargheit. Vor einem halben Jahr hatte der Südwestrundfunk entschieden, den Talk mit Gastgeber Michael Steinbrecher in sein Mainzer Regionalnachrichtenstudio zu holen und dafür die bisherige Kulisse, das Alte E-Werk in Baden-Baden, aufzugeben.
Unvollständiges Talk-Mosaik
Acht Jahre hatte Steinbrecher Gesprächspartner:innen zuvor in der restaurierten Industriekulisse mit der ungewöhnlichen Illuminierung, dem unverkennbaren Fliesenboden und der großen Uhr über der Holztürenpforte empfangen, nachdem Frank Elstner dort stets seine "Menschen der Woche" hinlotste. Aus Kostengründen spart sich der SWR diesen Aufwand jetzt. Und zeigt Lampen, Fliesen, Uhr und Pforte einfach auf der großen Videowall im Studio, das so zumindest noch die Illusion erwecken will, etwas Besonderes zu sein.
"Es hat uns in Baden-Baden natürlich sehr, sehr gut gefallen, aber das hier ist auch nochmal 'ne Sauerstoffdusche", versuchte sich Steinbrecher den Umzug zuvor in der "Landesschau RLP" schönzureden ("Es bleibt das 'Nachtcafé' und trotzdem ist es neu") sowie noch einmal die Besonderheit der Sendung hervorzuheben, die "wie ein Mosaik" sei: "Mit jedem Gast vervollständigt sich das Bild."
Bloß, dass jetzt halt ein entscheidender Baustein fehlt, der bislang mit dazu beigetragen hat: die Atmosphäre.
Übrigens nicht nur fürs "Nachtcafé": Wegen der SWR-Aufgabe des Alten E-Werks fliegt auch Pierre M. Krause mit seinem heiteren Monatstalk "Gute Unterhaltung" aus der bisherigen Kulisse, von der er sich schon im November kurz verabschiedete. Auf DWDL-Anfrage erklärt der SWR: "Wir freuen uns auch 2024 auf neue Folgen von 'Gute Unterhaltung' - im Frühjahr geht es weiter, ab diesem Zeitpunkt wird dann aus Mainz gesendet."
Standardisierung killt Besonderheit
So angemessen es ist, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk wirtschaftliche Vernunft demonstriert und überlegt, wie er Kosten einsparen kann: Das graduelle Location-Downgrading der Talks in den Dritten ist ein verheerendes Signal für die Zukunftsfähigkeit des Mediums – weil es außer acht lässt, dass Fernsehen immer dann gut funktioniert, wenn es seinem Publikum an besondere Orte hin mitnehmen kann, wie es u.a. Alfred Biolek einst schon für "Bios Bahnhof" erkannt hat.
Der größte Feind dieser Besonderheit ist "eine standardisierte und ansprechende Studioumgebung", wie sie der SWR fürs "Nachtcafé" in Anspruch nimmt; dass die Zuschauer:innen "davon profitieren", wie der Sender behauptet, ist Quatsch.
Glücklicherweise scheint sich der Spardruck auch nicht bei allen Landesrundfunkanstalten in gleichem Maße niederzuschlagen: Der NDR veranstaltete die ersten beiden Ausgaben seines neuen Debattenformats "Die 100 – was Deutschland bewegt" mit Ingo Zamperoni im November in der Kulisse der Göttinger Lokhalle, die mehr Platz (und Atmosphäre) bot als ein herkömmliches Studio.
Wenn der Glanz fehlt, ist auch der Lack ab
Sicher: Fernsehen kostet Geld, macht Arbeit, braucht Personal. Aber damit produziert das auf Visualität fokussierte Medium ja auch eine seiner größten Stärken! Was bleibt am Ende übrig, wenn sich die Sender diesen ganzen Aufwand, den außergewöhnlichen Rahmen, die vielen Details künftig sparen? Vielleicht die späte Rache des Radios am Fernsehen für seine einstige Verdrängung als Medium Nummer eins; und Gastgeber:innen, die irgendwann in der sendereigenen Besenkammer sitzen, wo sie ihr Mikrofon selbst halten müssen – oder, falls ihnen das nicht passt, halt aufhören?
Nein, auch im Fernsehen muss gewiss nicht rund um die Uhr immer alles Hochglanz sein. Aber wenn der Glanz weg ist, ist oft auch der Lack ab – und Autobesitzer:innen wissen: So einen Lackschaden zu reparieren kommt in den allermeisten Fällen ziemlich teuer.
Und damit: zurück nach Köln.
Die aktuelle Ausgabe von "Thadesuz und die Beobachter" ist in der ARD Mediathek abrufbar; der SWR zeigt das "Nachtcafé" freitags nach 22 Uhr und in der Mediathek.