Man muss wahrlich kein Astro TV einschalten, um zu erkennen: Die Zeichen fürs duale System, diesem kuschelweichen Nebeneinander von öffentlich-rechtlichen und privatwirtschaftlich finanzierten TV-Sendern in Deutschland, stehen schlecht.

Die eine Seite ist vor Überraschung noch ganz perplex, dass wachsende Teile der Gesellschaft ihr bisheriges Angebot nicht mehr in der bisherigen Üppigkeit finanzieren will; und die andere muss mit einer Zurückhaltung im Werbemarkt umgehen, die von der Delle so langsam zur Kuhle wird. Beide stehen wiederum vor der Herausforderung, dass vor allem jüngere Zuschauer:innen sich zunehmend von linear gesendeten Programmen verabschieden und auf anderen Wegen erreicht werden müssen.

Oder wie's Netflix-Deutschland-Content-Vize Katja Hofem – ehemals RTLzwei-Programmchefin, Sixx-Mitgründerin und Kabel-eins-Frontfrau – kürzlich kassandrahaft formuliert hat: "[D]ie Fernsehlandschaft steht an einem Kipppunkt, vielleicht sind einige Sender auch schon drüber. Wir werden ganz bestimmt die ein oder andere Konsolidierung erleben."

Warten, dass was kippt?

Die Frage ist: Warten die Sender darauf, dass was kippt? Oder kippen sie sich einfach selbst, um die Kontrolle zu behalten?

Und weil sonst vor allem leidenschaftlich darüber diskutiert wird, wie die Zukunft von ARD und ZDF aussehen sollte, machen wir heute einfach mal das Gegenteil – und fragen, ganz im FDP-NRW-Style: Wird's nicht höchste Zeit für ein paar radikale Schritte? Aber ja! Zwei Vorschläge.

1. Pilawa trifft Reimanns: Sat.Kabel1

Nach dem angekündigten Weggang Daniel Rosemanns soll in Kürze der Problemfa… – äh: die Geschäftsführung von Sat.1 in den Besitz von Marc Rasmus übergehen. Und wie das beim Erben nunmal so ist: Man übernimmt nicht nur das Programmvermögen des Erblassers, sondern auch dessen Quotenschulden.

Einfache Lösung dafür: Anstatt das stabil in der Sendergruppe stehende Kabel Eins, für das Rasmus bislang verantwortlich war, seinem Stellvertreter zu überlassen, läge es nahe, dessen größte Schätze mitzunehmen – und in Sat.1 zu integrieren. Das wäre in diesem Sinne gar keine Übernahme, eher eine Fusion unter fast Gleichberechtigten, die mehrere Probleme auf einen Schlag lösen könnte.

Für Sat.1 wäre Rasmus' Mitgift der lang ersehnte Befreiungsschlag, insbesondere am Vorabend, wo das über Jahre hinweg etablierte "Mein Lokal, Dein Lokal" gemeinschaftlich mit "Achtung Kontrolle!" die immerwährende Sat.1-Pechsträhne beenden könnte und neue Kreativverrenkungen überflüssig machen würde.

Und wenn Peter Giesel in "Achtung Abzocke!" Betrüger:innen in der Teppichreinigungsbranche auf die Schliche kommt, ist das mit an Sicherheit grenzenderWahrscheinlichkeit auch bei der großen Schwester ein Primetime- Straßenfeger. Die erfolgreich von der Konkurrenz wegakquirierten Reimanns würden einem runderneuerten Sat.Kabel1 nicht nur die ersehnte Bodenständigkeit verleihen, sondern auch einen ganzen Schwung treuer Fans und ein bisschen Hawaii-Feeling mitbringen.

Rosin ist doch schon halb da

Kabel-eins-Legende Frank Rosin hat dank "The Taste" ja ohnehin schon einen halben Fuß in der Tür, und bevor er die nächste Staffel seiner Kochbruderschaft "Roadtrip America" einem noch etwas größeren Publikum serviert, kommt für die 17. Staffel von "Rosins Restaurants" vielleicht auch jemand auf die Idee, ein klassisches Stundenformat nicht mehr auf das Zweieinhalbfache zu dehnen. Und für "Yes we camp" und die "Truckerbabes" ist – vielleicht ja sogar in einer zackigen Sonntagvorabend-Variante oder im Anschluss an ein mal nicht auf Überlänge gedehntes Pilawa-Quiz – sicher auch noch Platz.

Kabel Eins wiederum würde sich die Arbeit sparen, für weite Strecken des Tages- und Nachprogramms auszuwürfeln, welche Wiederholungen von "Castle" und "Navy CIS" dort laufen sollen.

Und am Ende wären alle zufrieden: die Zuschauer, weil sie ein lineares Best-of relevanter Unterföhring-Inhalte serviert bekämen. Und die Sendegruppe, die Werbekund:innen ein reichweitenstabileres Umfeld böte als bisher mit zwei parallel sendenden Komplementärkanälen, bei denen die Programmeigenleistung ohnehin nicht für 24 Stunden am Tag reicht. Oder um’s mit den Worten von Marc Rasmus zus sagen: Manchmal muss man so lange an was arbeiten, „bis man wirklich alles ausprobiert hat“.

Ach so, ja: "Quiztaxi"-"The Voice"-Spin-over-Special mit Tom und Bill Kaulitz, bitte!

2. Vollgas mit Reality: RTL+zwei

Der noch kritischere Fall ist freilich RTLzwei, das besonders darunter leidet, dass die lineare Nutzung der früheren Kernzielgruppe rasant gegen null tendiert – und deshalb Programmakrobatiken wagt, bei denen man es im Hintergrund förmlich knirschen hören kann, wenn "Berlin Tag & Nacht" und "Glücksrad" aneinander rumpeln.

Während RTLzwei-Chef Andreas Bartl zum 30. Sendergeburtstag im DWDL-Interview seinen größten Fehler aus der Anfangszeit rekapitulierte, nämlich: "die Idee, RTLzwei breiter aufzustellen", mehr Genres auszuprobieren, umschrieb der amtierende Programmdirektor seine aktuelle Strategie nur wenige Wochen später mit dem Ziel, "in der Ansprache breiter, also auch älter zu werden, ohne die jungen Zielgruppen aufzugeben". Vornehmlich mit Reality allerdings.

Und, hey: good luck, Grünwald – wenn ihr das Geheimrezept raus habt, mit dem das funktioniert, sagt doch bitte kurz ARD und ZDF bzw. allen anderen einstigen Vollprogrammen Bescheid!

Oder ihr macht euch ehrlich mit euch selbst und erkennt an, dass RTLzwei, dem selbst ernannten "Home of Reality", sogar die Kernkompetenz langsam abhanden kommt: Im Linearen entpuppte sich die neuste Staffel von "Love Island" für den Sender – trotz langer Pause und "eventisiertem Live-Gefühl" – gerade als veritable Enttäuschung; gleichzeitig steigen die bei den Jungen beliebten Streamer immer stärker ins Reality-Business ein. Ausgerechnet RTL+ macht's seit einiger Zeit vor und zieht so zahlende Abonnent:innen zu sich. Jetzt macht Joyn mächtig Wind für seine Trash-"Survivor“-„Variante Good Luck Guys" und schickt Promi-Paare ins "Forsthaus Rampensau Germany". Das ist die Reality!

Mehrere Promi-Abgänge

Dazu kommt, dass RTLzwei zuletzt gleich mehrere prominente Abgänge zu verkraften hatte: Die Auswanderer-Reimanns ließen sich, wie erwähnt, bei Kabel Eins nieder; und im Sommer musste man gute Miene zum Abgang von Daniela Katzenberger machen, die ihren Lebensunterhalt künftig wieder auf Sendung bei der Halbschwester Vox verdient.

Blicken wir doch der Wahrheit ins wimpernverlängerte Gesicht: Die besten Tage von RTLzwei als klassischem TV-Sender sind gezählt; eigentlich ist es nur eine Frage der Zeit, um die Marke dorthin zu verlagern, wo die frühere Zielgruppe schon ist.

(Okay, der mitgesellschaftende Bauer-Verlag möchte dem unabwendbaren Niedergang offensichtlich noch ein bisschen länger zusehen, bevor man sich dazu durchringt, seine Anteile doch noch an RTL Deutschland zu verkaufen.)

Für die Monetarisierung wäre das zugegebenermaßen ein schwieriger Schritt, weil die lineare Werbevermarktung trotz Marktdelle immer noch deutlich lukrativer ist als die Online-Alternative (der Printjournalismus lässt schön grüßen!). Aber die soll künftig ja ohnehin wieder vom selbst gegründeten El Cartel zum bisherigen Mitbewerber, der Ad Alliance, verlagert werden. Und der Rest? Wird schon! Bereits jetzt entfällt laut RTLzwei-Chef Andreas Bartels schließlich "ein nicht ganz unerheblicher Anteil der Nutzung von RTL+ auf Formate von RTLzwei", was "ein wesentlicher Beitrag zu unserem Geschäftsergebnis" ist.

Ein echtes Powerhouse

Inhaltlich und zuschauer:innenmagnetisch wäre ein Streaming-fokussiertes RTL+zwei jedenfalls ein echtes Powerhouse, angeführt vom "Kampf der Realitystars" und einem Näschen fürs Genre, wie es in Deutschland keine zweite Programmmarke hat – vor allem aber mit der Aussicht, Energien nicht darauf verschwenden zu müssen, sich auf Nebenschauplätzen programmlich so zu verrenken, dass es ein paar Älteren dort gefallen könnte.

Für Nostalgiker:innen ließe sich das klassische RTLzwei ja immer noch als FAST Channel fortführen, der Lieblingsinhalte bündeln und wie gewohnt nacheinander wegsenden könnte.

Drei bis fünf neue Geissens-Spin-offs dürften dann ja wohl auch drin sein: "Die Geissens – Dubai Danger", "Roberto Geissinis Next Topmodel" und ein tägliches Fremdkoch-Spezial zur Robert'schen Lunch-Primetime ("Die Geissens – Erstmal Mittagessen") – im Streaming ist für alle Platz. Außer für Sender, die sich so lange selbstverwässern wollen, bis keiner mehr weiß, wofür sie eigentlich noch stehen.

Und damit: zurück nach Köln.