Es ist das Ende einer Ära: Noch fünfmal schlafen, dann zeigt das ZDF nach 26 Jahren die letzte Ausgabe seines Promi-Nacherzählmagazins "Leute heute" und lässt damit die dem Publikum während der Anfangszeit eingebimste Behauptung wackeln: "Alles wird gut"?
Nee, stattdessen will der Sender Teile seines Budgets zu Gunsten jüngerer Programme umschichten und verzichtet deshalb aus freien Stücken auf den bislang in München separat produzierten Hort der achtsamen Promi-Berichterstattung, mit dem man sich all die Jahre von den schmuddeligen Boulevard-Pendants der Privaten abheben wollte.
Statt auf schmierige Skandale und peinliche Ausrutscher konzentrierte sich "Leute heute" vor allem auf Positives, Glanz und Glamour (auch wenn für aktuelle Trennungen und Gerüchte immer ein festes Plätzchen reserviert war).
In Erinnerung bleiben werden die Nichtmal-15-Minuten allerdings auch für ihre kuriose Mischung aus blutleeren Berichten von Preisverleihungen, Hollywood-Geplänkel und vermeintliche Ereignisse in europäischen Königshäusern, gemischt mit Kurzbesuchen bei deutschen Stars, die zur Promotion ihres neuen ZDF-Films pflichtschuldig anderthalb harmlose Privatheiten in die Kamera zu referieren hatten, um anschließend wieder in Ruge, äh: Ruhe gelassen zu werden.
Klasse, wir gratulieren natürlich
Wobei: In seiner ganzen tristen Uninspiriertheit, mit der sich "Leute heute" täglich im Vorabendprogramm zu Wort meldete, war das schon wieder spektakulär.
Wesentliche Teile des zuletzt von einem Entzündunsghemmer aus der Apotheke und Hauptmoderatorin Karen Webb präsentierten Magazins bestanden längst aus Kurzreferaten dessen, was Prominente zuvor selbst bei Instagram gepostet hatten und (wiederkehrenden) Glamour-Ereignissen aus Übersee, garniert mit ein bisschen Roter-Teppich-Berichterstattung aus Deutschland und schamloser Werbung für den eigenen Sender – eine Achterbahnfahrt unjournalistischer Belanglosigkeit, bei der sich Interviewer nicht mal zu doof dafür waren, am Schluss ihres Beitrags zu zeigen, wie sie begeistert ein Selfie mit der bzw. dem Interviewten machen, und Stellvertretungsmoderatorinnen die Filmchen mit kleinen Einordnungen abzumoderieren versuchten, um ihnen zusätzlich Pepp zu geben ("Klasse", "Wir gratulieren natürlich", "Schöner Abschluss").
Eine kurze Zusammenfassung, falls Sie's im laufenden Monat verpasst haben:
Robbie Williams hat augenzwinkernd gegen Kreisverkehre demonstriert und Dwayne "The Rock" Johnson überraschend mit Besucher:innen einer Studiotour gequatscht; Jennifer Aniston ist gerade mit Freundinnen im Urlaub und Felix Neureuther hat seine Tochter eingeschult. In New York City hat die Fashion Week begonnen, bei den MTV Video Music Awards war's "das Jahr der Frauen" und in München ist Oktoberfest (Webb im Dirndl: "Am Samstag hat der Wiesn-Wahnsinn wieder angefangen"), wo Fürst Albert von Monaco zu den ersten Gästen gehörte, aber ohne Gattin.
Getrennt, gestorben, gegessen
Apropos Gattin: Karl-Theodor zu Guttenberg und seine Frau haben sich getrennt, Hugh Jackman auch, Ariana Grande und ihr Mann haben die Scheidung bestätigt, hat sich Adele heimlich trauen lassen?
Roger Whittaker ist gestorben, aber im ZDF läuft nochmal, was er "Leute heute" 2006 beim Besuch in Irland gesagt hat und 2012 in Südfrankreich.
Die Basketball-Nationalmannschaft ist nach ihrem WM-Sieg wieder zuhause, und Kapitän Dennis Schröder verriet dem ZDF, dass er bald seinen Geburtstag in Braunschweig feiert. Bei der Aufführung des Abba-Films in einem Kölner Kino ist überraschend Björn von Abba vorbeigekommen und hat "Leute heute" davor ein "sehr relaxtes Interview auch zum Thema Liebe" gegeben ("I'm sitting here and you find a reason to interview me – that itself is a miracle").
"Ein Loblied auf Rippchen haben Stars bei der Eröffnung eines neuen Restaurants in München gesungen – dabei essen viele der Gäste gar kein Fleisch mehr"? Da fragt man sich doch: Was kommt bei den Stars sonst so auf den Teller?
Mein neues Buch, mein neuer Film
Und jetzt halten Sie sich bitte fest: Julia Engelmann hat ein neues Album veröffentlicht, auf dem sie Botschaften an ihr 13-jähriges Ich singt; Joey Kelly hat ein neues Buch veröffentlicht und zeigt "Leute heute" den Eiswagen in seiner Garage; Tim Bendzko hat ein neues Album veröffentlicht, fährt schon seit 2017 E-Auto und bereitet sich auf einen Triathlon vor; "Soko"-Darstellerin Katharina Blaschke spielt Theater und mag Tango; Wolfgang Lippert hat ein Buch mit den schönsten Momenten von "Ein Kessel Buntes" geschrieben; Thekla Carola Wied wurde für ihr Lebenswerk geehrt; Florian David Fitz ist zuhause als Vater deutlich weniger geduldig als im Film, der jetzt ins Kino kommt; Anastasia singt auf ihrem neuen Album eingeenglischte Songs von Unheilig, den Toten Hosen und Peter Maffay, der nächstes Jahr das letzte Mal groß auf Tour gehen will, aber das eine hat mit dem anderen nix zu tun. (Glaub ich.)
Derweil bringt Herbert Knaup mit dem ZDF-Zweiteiler "Hotel Barcelona" "Urlaubsfeeling in deutsche Wohnzimmer", beim Treffen in der Berliner Paris Bar hat "Leute heute" in sein leeres Promo-Gesicht geblickt und ihm die Bestätigung entlockt: Ja, seine Frau und sein Sohn waren tatsächlich zu Besuch bei den Dreharbeiten! "Da waren wir einmal essen, das war so lecker." Jetzt bräuchten wir bitte noch ein paar Schnittbilder am Savignyplatz.
Eva Habermann hat einen neuen ZDF-Film gedreht und gönnt sich kleine Yoga-Auszeiten in der Natur; Max Simonischek verrät vor der Ausstrahlung seines neuen ZDF-Krimis, dass er Union-Berlin-Fan ist; In der ZDF-Komödie "Mit Harpunen schießt man nicht" spielt Eugene Boateng, der gerne tanzt, den Taxifahrer Simon; und die ZDF-"Bergretter"-Fanwanderung mit 350 Gästen und den "TV-Helden zum Anfassen" muss auch als Statement für den Umweltschutz verstanden werden.
Royale Restlos-Verwertung
Nichts aber wird von "Leute heute" so restlos verwertet wie die Bewegungen europäischer Royals. Die der Nebendarsteller:innen: Carl Gustav von Schweden feierte 50. Thronjubiläum, zu den Highlights gehörte die Fahrt mit der königlichen Schaluppe. Prinzessin Leonor von Asturien hat im Zuge ihrer Militärausbildung in Saragossa den Offizierssegen erhalten. In den Niederlanden war Prinsjesdag und Prinzessin Alexia durfte wegen erreichter Volljährigkeit erstmals vom Balkon winken.
Vor allem aber natürlich: die der Big 5 des gerade-noch-so-europäischen Adels – Charles, William & Kate, Harry & Meghan.
Was hat Prinz Harry am ersten Todestag seiner Großmutter gemacht? Worin besteht derzeit die größte Herausforderung von König Charles? "Leute heute" fragt den königlichen Koprrespondenten des Fachblatts "Daily Mirror". Prinz Harry kommt nach der Eröffnung der Invictus Games 2023 in Düsseldorf ins "Aktuelle Sportstudio", was sagen die Moderator:innen dazu? Prinz Harry war beim "Aktuellen Sportstudio" und hat nach dem Torwandschuss einen Schal von Mainz 05 geschenkt bekommen. Nach dem Ende der Invictus Games: Prinz Harry hat eine Rede auf der Abschlussfeier gehalten, Meghan wirkte trotz Trennungsschlagzeilen "glücklich und interessiert"!
Tischtennisduell beim Staatsbesuch
William & Kate waren derweil mit Prinzessin Anne in einem Rugby-Podcast zu Gast, und Kate outete sich als Fan von Eisbaden ("Das hat uns doch überrascht").
König Charles ist mit Camilla auf Staatsbesuch in Frankreich, abends gibt es ein Bankett, die "Leute heute"-Korrespondentin ist vor Ort – um morgen nochmal nachzuerzählen, was heute schon angerissen wurde, und vom "straffen Programm" zu berichten: "Trotz des Regens" gab es einen Besuch auf dem Blumenmarkt, Camilla lieferte sich ein "Tischtennisduell" mit Brigitte Macron, später noch Baustellenbesuch in Notre Dame und Bankett, aber ohne Gänsestopfleber.
Selbst als Verfechter öffentlich-rechtlicher Unterhaltung muss man sich schon sehr, sehr weit über den königlichen Balkon lehnen, um in dieser Form des ebenso sanften wie überflüssigen Tratschs auch nur Spuren von wünschenswertem Programmauftrag zu entdecken.
Und nicht bloß den Versuch, die um diese Zeit aus Gewohnheit einschaltenden Promi-Gaffer:innen nicht kampflos dem Werberahmenprogramm der Konkurrenz zu überlassen.
Werbliche Überambition
Weswegen auf dem frei werdenden Sendeplatz ab kommender Woche ja auch nicht etwa ein regelmäßiges Magazin zur Klimaerwärmung o.ä. läuft, sondern halt eine verlängerte Version des Unfall-und-Verbrechen-Magazins "hallo Deutschland", das die Promi-Berichterstattung künftig kurzerhand miterledigt, damit in München niemand mehr extra vor einer virtuell ins Studio reingerenderten Glitzerwelle stehen muss.
Das ist immerhin insofern eine Zäsur, als dass die bislang vorrangig von Sodbrennenmittelchen-, Hörgeräte- und Treppenlift-Herstellern belegte "Sonderplatzierung im erfolgreichsten People-Magazin" in einer "klassischen Werbeinsel" aufzugehen scheint.
Weitergehende werbliche Ambitionen mit seinem Erfolgsformat musste der Sender leider schon vor längerer Zeit aufgeben: Vor exakt zwanzig Jahren stand das Zweite kurzzeitig in der Kritik, weil man "Leute heute" als Marke an eine Parfümeriekette vermietet hatte, die Zuschauer:innen über eine Vorschaltseite auf ein eigenes "Leute heute"-Angebot lotste, wo zwischen Geburtstagswünschen für Pierce Brosnan und Ricky Martins Konzertauftritt in Honkong "coole Sommerdüfte" und andere käuflich zu erwerbende olfaktorische Sensationen im Mittelpunkt standen.
Ins Netz hinein parfümiert
Der "Focus" ließ sich das von einem Rechtswissenschaftler als "eindeutig rechtswidrig" einordnen; der "Spiegel" urteilte: "In bisher einmaliger Weise vermischt ausgerechnet das öffentlich-rechtliche ZDF auf seinen Internet-Seiten Werbung und Inhalt."
Und jetzt kann ich's ja sagen: Dafür bin ich dem Sender bis heute unendlich dankbar.
Weil mich kaum etwas anderes so sehr davon hätte überzeugen können, professioneller Medienkritiker zu werden, wie als ZDF-Praktikant eine zeitlang täglich die Botschaften eines Werbepartners mit Meldungen von "Leute heute" im Netz zusammenzuparfümieren, damit durch "solche Verwertungserlöse (…) die Rundfunkgebühren einigermaßen erträglich gehalten werden" können, wie man sich in Mainz auf Anfrage zu erklären wusste.
Besagter Drogeriekette hat die Partnerschaft auf lange Sicht eher wenig geholfen, der Sendung nun ja bekanntlich auch nicht – aber als Blitzschulung dafür, auf welche doppelten Irrwege sich von der Gesellschaft finanzierte Medien begeben können, wenn man ihnen den Freiraum dafür lässt, anstatt ihnen dafür auf die Finger zu hauen, war das wirklich einmalig. Herzlichen Dank für alles, "Leute heute"!
Und damit: zurück nach Köln.
Das ZDF zeigt die letzte Ausgabe von "Leute heute" am Freitag um 17.45 Uhr.