Eine alte Regel programmverantwortlicher TV-Manager, die sich nicht unnötig mit kreativen Ideenfindungsprozessen belasten wollen, lautet: Lass andre ackern ach so hart / Wir machen einfach: Ratgeber-Format. Und weil man ja nichts unversucht lassen soll, um die Massen zu erreichen, sag ich an dieser Stelle: Herzlich willkommen bei meiner ersten in Kolumnenform gegossenen Ersatzapotheke!
Thema heute: Grauer Himmel, kurze Tage, Nieselregen – wie kommen wir gesund durch den Winter?
Eigentlich ganz einfach: Spazierengehen bei Tageslicht kurbelt die Produktion des stimmungsaufhellenden Hormons Serotonin im Gehirn an. Wer seine Muskeln aktiviert, profitiert von angeregtem Stoffwechsel. Mindestens genauso wichtig für die Gesundheit: die richtige Ernährung! Karotten, Grünkohl und Spinat stärken die Abwehrkräfte dank Vitamin A. Vitamin C – aus der Zitrone oder schwarzen Johannisbeeren – hat antioxidative und antibakterielle Eigenschaften. Mineralstoffe wie Spurenelemente Eisen und Zink nicht vergessen!
Für zuhause auf der Couch: Vitamin T und V
Und dann gibt's ja noch die bislang völlig untererforschten Vitamine T und V, die nicht nur den Vorteil haben, den Februar-Blues vertreiben zu können. Sie sind auch die einzigen Stimmungsaufheller, die zuhause auf der Couch sitzend aufgenommen werden können.
Seit "Traumschiff"-Gedenken legt sich das Fernsehen Jahr für Jahr mächtig ins Zeug, seine Zuschauer:innen vom nassen, kalten November-bis-Februar-Alltag abzulenken, indem es sie nach Feierabend in wärmere Gefilde entführt. Selten war das Bemühen, mit televisionärem Ersatzurlaub für hohe Marktanteile zu sorgen, aber so ausgeprägt wie in der aktuellen TV-Saison.
Für seine (kurzlebige) Eigenproduktions-Initiative am Sonntagabend hatte ProSieben schon im vergangenen Jahr eigens das "Traveltainment"-Genre erfunden; und musste anschließend einsehen, dass selbiges niemand so hervorragend beherrscht wie der Wettbewerber Vox, u.a. mit seiner Erfolgsproduktion "First Dates Hotel", die ihre Zuschauer:innen verlässlich aus dem deutschen Schnupfenwetter in südeuropäische Bräunungsoasen entführt.
Von der Kissenschlacht zur Luxus-Yacht
Für Staffel vier wechselte die charmante TV-Kuppelei in diesem Jahr von Kroatien nach Mallorca, wo die umeinander werbenden Singles in einer Ferienanlage untergebracht sind, in die man sich beim Zusehen augenblicklich selbst einquartieren würde. Zum Auftakt sauste die Kamera aus der Drohnenperspektive über das palmengesäumte Anwesen mit dem riesigen Pool, Gastgeber Roland Trettl fuhr im roten Sportwagen vor, und im Hintergrund trällerte es hypnotisch "Summertime – and the living is easy", bevor aus dem Off das Versprechen folgte: "Sommer, Sonne, Liebe – willkommen im 'First Dates Hotel'" auf der "Perle der Balearen", wo "Singleherzen wieder höher schlagen".
Die Zimmer sind dieses Mal noch geräumiger, an der Bar ist noch mehr Platz für kühle Drinks – nur Trettls Kniestrümpfe haben wieder dieselbe irritierende Länge.
Alles ist so unfassbar unrealistisch entspannt, dass das "First Dates Hotel"-Personal zwischendurch Zeit hat, Früchte aus dem Schokobrunnen zu naschen und sich gegenseitig vergnügt Draußen-Kissenschlachten zu liefern; in Schnittbildern balancieren süße Zicklein vor malerischen Windmühlen über Steinmauern; neue Gäste fragt der von den Mühen der internationalen Tourismusindustrie verschont gebliebene Chef: "Hast du das Gefühl, dass das ein Ort ist, an dem du dich verlieben kannst?"; und sobald sich einer der sorgsam erzählten Urlaubs-Flirts als Volltreffer entpuppt, darf das glückshormonell beschwingte Vielleicht-Paar fürs "Second Date" auf eine riesige Yacht wechseln, die den spontanen Sprung ins azurblaue Wasser nahelegt.
Geht das auch auf hoher See?
Kein Wunder, dass Vox angesichts berechenbar guter Quoten in diesem Jahr versucht, am Dienstag noch einen weiteren Dating-Abend zu etablieren. Und zumindest in der Machart ähnelt das mit Wayne Carpendale auf hohe See verlegte "Herz an Bord" doch sehr an das Montagsvorbild: freundlich, respektvoll und charmant mit der gewohnten Vox-Positivität erzählt.
"Jetzt beginnt eine Reise, die uns zu den schönsten Orten Europas führt", kündete der Neustart bereits in den ersten Sekunden und flog dazu über in helles Licht getunkte Metropolen, malerische Häfen und katalogblaue Wässer. Auf der Brücke bestand Präsentator Carpendale die erste Zwischenprüfung im Grundkurs Spanisch: "¡Hola! aus Barcelona!" Anschließend fanden sich die Show-Teilnehmer:innen zur überschwänglichen Begrüßung vor dem hervorragend in Szene gesetzten Schiffsbug des kooperierenden Kreuzfahrtanbieters zusammen, um "das Leben als Abenteuer" zu sehen. Und nach Überreichen einer romantischen "Flaschenpost" durch Carpendale unter blauem Himmel an Deck die ersten Männer kennenzulernen. (Hier geht's zur DWDL-TV-Kritik.)
Bei Flamenco und Tapas im mallorquinischen Gärtchen, Fahrt mit der historischen Straßenbahn ins Tal der Orangen, Partner-Yoga und Sushi-Selberrollen durften sich Verwaltungsangestellte und Versicherungsmakler anschließend näher kommen – und wer daheim am Ende der ersten Folge nebenbei am Smartphone nicht schon die eigene Entspannungskreuzfahrt gebucht hatte, dem ist auch nicht mehr zu helfen.
Wobei die Zuschauer:innen zum Auftakt noch nicht ganz so überzeugt von der Frischluft-Variante im Vox-Datingshow-Imperium waren, wie man sich das in Köln vielleicht gewünscht hätte.
Sofortiger Ersatzurlaubsabbruch am Sonntag
Mit ähnlich ausgeprägten Sehnsüchten war ProSieben, wie gesagt, bereits im September in die aktuelle TV-Urlaubssaison frühgestartet. Senderchef Daniel Rosemann kündigte an, das Publikum von Promis "zu Sehnsuchtsorten" mitnehmen zu lassen: "Große Bilder, spannende Geschichten, Aufgaben und Erlebnisse – einfach Wegträumen zum Wochenausklang." Aber nach nur einer ausgestrahlten Folge der Neu-Produktion "Local Hero" war der Wunsch vom Wegträumen schon wieder ausgeträumt.
Zumindest wollte damals kaum jemand sehen, wie Nikeata Thompson und Jenke von Wilmsdorff in Mexiko auf einem exotischen Markt frittierte Frösche und Zangenkäfer kosteten, bevor einer von beiden am legendären Badeort Acapulco so mutig war, es den Clavadista gleichzutun und aus zehn Metern Höhe von einer Klippe in die Bucht zu springen (DWDL-TV-Kritik).
Nix da: Sonntags schaltet das Publikum lieber verlässlich seinen Schlechte-Laune-Wochenendabschlusskrimi ein! Was in München den sofortigen Ersatzurlaubsabbruch samt Sendeplatzumbuchung zur Folge hatte. Sodass der ursprünglich ebenfalls für Sonntag angekündigte Traveltainment-Nachfolger "Mission: Job unknown" nun mit Verspätung seit vergangener Woche dienstags läuft (DWDL-TV-Kritik).
Ein ganzer Katalog an Sehnsuchtsorten
Zu Beginn knallte der den Zuseher:innen gleich mal einen ganzen Katalog an Sehnsuchtsorten um die Ohren, auf den man sich für die kommenden Wochen einstellen darf: Venedig, Irland, Kuba, New York, Dänemark, Südafrika, Portugal, Mexiko – bevor (fieser Anfängerfehler!) Laura Karasek und Oliver Pocher an einen menschenleeren rumänischen Flughafen gestellt wurden, um sie hernach mit dem Jeep durch Fluss und Wald auf einen Bergbauernhof fahren zu lassen, wo sie auf von Schafen gesäumten sattgrünen Hängen so genannte "Challenges" absolvieren sollten (Eiersammeln, Kühemelken, Heuwegfahren).
Dabei hätte es doch sehr viel näher gelegen, direkt zur aus Sven Hannawald und Mario Basler bestehenden Konkurrenz zu schalten, die am mexikanischen Stand vor faulen Urlaubenden auf Strandliegen ihre Ausbildung zum Rettungsschwimmer starten durfte.
Das Publikum sah ProSieben diesen Patzer dennoch nach, und mit deutlich mehr Abstand zum deutschen Sommer als "Local Hero" gab "Mission: Job unknown" zumindest zur Premiere ein etwas besseres Bild ab.
Westküstentraum in 16:9
Bevor Heidi Klum, im Anschluss an ihre überraschende Gegendarstellung der gesamten deutschen Presse, am Donnerstag zu Beginn der 18. Staffel "Germany's next Topmodel"-Staffel dann den Frischlingen demonstrierte, was eine Harke ist: "Das Besondere dieses Jahr: meine ausgewählten Models reisen direkt nach Sunny California!" Es folgte – bäm! – ein Westküstentraum in 16:9, Palmen, Strände, Hollywood-Glamour, und die zu diesem Zeitpunkt noch nicht mal vorgestellten Kandidat:innen konnten es selbst kaum glauben: "Das war für mich immer ein Traumziel! Ich kann's grad noch nicht glauben." Zack, fast 20 Prozent Marktanteil.
Falls der Tourismusindustrie also irgendwann die Ideen ausgehen, um strandgesättigte Kund:innen noch in die Ferne zu locken, weiß sie ja, wo sich neue Inspiration herholen lassen. Beim deutschen Fernsehen, dem offiziellen Botschafter des gepflegten Ersatzurlaubs mit Serotonin-Garantie! Oder um's poetischer mit "First Dates Hotel"-Chef Roland Trettl zu sagen: "Menschen, die das Schöne sehen, sind hier herzlich willkommen."
Menschen, die das Schöne fernsehen, natürlich erst recht!
Und damit: zurück nach Köln, 10° C.
Neue Ausgaben von "First Dates Hotel" und "Herz an Bord" laufen montags bzw. dienstags ab 20.15 Uhr bei Vox. ProSieben zeigt "Mission: Job unknown" in direkter Konkurrenz dazu dienstags um 20.15 Uhr.