Tag 17 im Dschungel. Erstmals in der Geschichte des erfolgreichsten Reality-Formats im deutschen Fernsehen entscheidet sich an einem Sonntag, wer Königin oder König aus Brandenbu… – nee, halt: Königin oder König des Dschungels wird. Und bereits vor einigen Tagen erklärte Sonja Zietlow, warum das so ist: "Weil wir dieses Jahr eine Sendung mehr haben, Punkt. Außerdem müssen wir nicht begründen, warum wir was machen, ne? Weil wir es können. Weil es Spaß macht. #isso."
Und das passt natürlich wunderbar zur Selbstzufriedenheit, in der sich die Format-Verantwortlichen angesichts herausragender Marktanteile auch in diesem Jahr wieder suhlen können wie ein Dschungelprüfling im Mehlwurmbad.
Aber es lohnt sich zum Abschluss der nun zu Ende gehenden Staffel trotzdem, ein bisschen was auseinander zu sortieren.
Plötzlich im Ehrlichkeitsmodus
Zum Beispiel, dass man der Großmutter aller Reality-Formate auch im 16. Jahr nach wie vor die Besonderheit ansieht, mit der diese Show für zwei Wochen am Stück tagesaktuell in deutsche Fernsehhaushalte hineinprojiziert wird. Moderationsneuzugang Jan Köppen ließ auch nach souverän bestandener Premiere keinen Zweifel daran aufkommen, dass er sich in seiner Rolle an Zietlows Seite sichtbar wohl fühlt beim Riesenadilettenbasteln, Spontanstepptanzen und Dschungelflohmarktveranstalten. Der Cast hat (erneut) eine Dynamik entfalten können, die der Show über unerwartet lange Zeit gut getan hat. Und dass "Ich bin ein Star" seit jeher eine einzige Einladung zu Selbstöffnung und Lebensbeichte ist, um Prägendes aus der eigenen Vergangenheit mit einem Millionenpublikum zu teilen (ob nun knallhart kalkuliert oder als spontaner Ausbruch), verleiht dem Format weiterhin etwas Einzigartiges – und seinen Protagonistinnen – auch solchen, von denen man es vorher nicht erwartet hätte – bisweilen ungeahnte Tiefe.
Schon für die kleinen, besonderen Momente lohnt sich der ganze Aufwand – so wie die Szene, in der Cosimo vor ein paar Tagen einen Gag auf Djamilas Kosten wieder gut machen wollte, und dafür plötzlich in den Ehrlichkeitsmodus umschaltete: "Ich gönn dir wirklich von ganzem Herzen, dass du irgendwann mal den Mann findest, der dich liebt, wie du bist, dein Lachen, deine Motivation schätzt, und dass er dich auf Händen trägt."
Und als der völlig sprachlosen Djamila deswegen die Tränen über die Wangen kullerten, sah man Cosimo kurz überlegen, ob er etwas Falsches gesagt hatte, und dann hinterher schieben: "Alles okay, alles gut. Du weißt, ich mein das gut. Du bist 'ne tolle Frau. Bleib so wie du bist, änder dich für niemanden."
Pizza-Gate und Bolognese-Beichte
Und auch wenn das mit dem Klarmachen des Rangers als Date für Djamila, an dem sich Cosimo nachher noch versuchte, nicht so ganz klappen wollte, war es doch ein Augenblick, wie er in anderen Realityshows sonst nie, nie, niemals Platz hätte. Dafür muss man den Dschungel einfach lieben.
Bloß eins nervt inzwischen fürchterlich: die leidigen Diskussionen übers Essen.
Natürlich ist es seit jeher festes Bestandteil der Sendung, die Teilnehmer:innen während der Show hungern zu lassen, wenn sie nicht selbst genügend Nahrung fürs Team erspielen; diese Entbehrungen mögen Teil der gewollten Grenzerfahrung sein, sie setzen ganz sicher auch ungeahnte Dynamiken frei und provozieren unter den Hungernden interessante Situationen und Geständnisse. (Pizza-Gate und Bolognese-Beichte aus diesem Jahr werden für treue Fans noch auf Jahre hinweg Referenz bleiben.)
Auf der anderen Seite sorgen sie aber auch für schlechte Laune, Trägheit und schlaff vorm Lagerfeuer in sich zusammengesunkene Kandidat:innen, die sich nach einigen Tagen aufraffen müssen, um überhaupt noch miteinander zu interagieren.
Die leidige Gaumenprovokation
In dieser Staffel war das Essen wieder ganz besonders häufig Thema; und wahrscheinlich bleibt einem als Sender auch nichts anderes übrig, immer alle Zutaten fürs Abendessen einzeln referieren zu lassen und ausführlich zu dokumentieren, wenn die Gruppe kurz vor der Meuterei steht, weil eine pedantische Fantasie-Regel besagt, dass es erst am übernächsten Tag wieder neues Speiseöl gibt – zumindest wenn man Tag für Tag anderthalb Stunden Sendezeit füllen muss, anstatt sich wie in den ersten Staffeln aufs Wesentliche zu beschränken und die Besonderheit von "IBES" auch an seiner erzählerischen Dichte zu messen. (Vorbei.)
Aber dann sind da auch noch die leidigen Essensprüfungen, mit denen die Gaumen der Camper:innen zwischendurch provoziert werden müssen.
Der Verzehr ungewöhnlicher tierischer Körperteile und höllisch zubereiteter Früchte, die sonst auf keinem Restaurant-Speiseplan stünden, haben das Format seit jeher geprägt – und war zu großen Teilen auch für seinen langjährigen schlechten Ruf verantwortlich.
Aber selbst wenn Zietlow glaubt, nicht erklären zu müssen, was sie und ihr Team da veranstalten, muss sich "Ich bin ein Star" die Frage gefallen lassen, ob es fast zwei Jahrzehnte nach dem Start nicht arg aus der Zeit gefallen ist, weiterhin Schlachtfeste wie beim "Großen Dschungel Bar-Bäh-Cue" (Tag 1), "Pfui-Dora" (Tag 6), "Ohne Fleisch kein Preis" (Tag 9) und "Unhappy Hour" (Tag 14) zu veranstalten. Weil die vermeintlichen Ekelprüfungen nämlich längst auf vielen Ebenen nicht mehr funktionieren.
Krokodilaugen im Schädel, Rinderzunge im Unterkiefer
Auch wenn es absurd scheint, ausgerechnet die diesjährige Camperin Tessa als Stimme der Vernunft heranzuziehen, hat sie's – aller Geneigtheit ihrer Mit-Insassen zum Trotz – doch auf den Punkt gebracht, als ihr und dem Team nach dem Einzug aufgespießter Schweinepenis, Krokodilaugen im Schädel, Rinderzunge im ganzen Unterkiefer, Bullenhoden im Skrotum über blutigem Teller und Ziegenanus zu Verzehr und Publikumsbelustigung vorgesetzt wurden: "Das sind Leichenteile von fühlenden Individuen und das ist nicht okay."
Man muss gar nicht Vegetarier:in oder Veganer:in sein, um dem zuzustimmen, manchmal reicht auch: Klaas Heufer-Umlauf. In "Baywatch Berlin", seinem Podcast mit Jacob Lundt und Thomas Schmitt, ärgerte sich Heufer-Umlauf vor anderthalb Wochen, "wie widerlich und eklig und unwürdig" die ganze Präsentation der vermeintlichen kulinarischen Zumutungen auf ihn wirkt habe: Man müsse "keine Krokodilaugen aufspießen", "kein abgerissenes Tier [zeigen], wo hinten noch die Gedärme raushängen", um sich dann "in barbarischer Weise darüber lustig zu machen, wie ekelig das ist". "Das hat mir richtig den Spaß verdorben. Das hat mich richtig genervt."
Wobei die Inszenierung der Erstprüfung, auf die sich diese Kritik bezog, wenige Tage darauf noch gesteigert wurde, als Jolina und Markus im Schlachthaus-Ambiente Schweinehirn, Kamellunge, Kuhnase, Rindernase, Pansen und Eingeweidesaft verzehren sollten, während sie in der eigens dafür angefertigten Kulisse zwischen (scheinbar) blutbeschmierten Wänden saßen, hinter ihnen aufgespießte Rindsköpfe und Gedärme hängend, ein ganzer Schweinskopf in der Vitrine daneben, und das Moderatoren-Duo abwechselnd rief: "Kauenkauenkauen!" oder "Komm, Gas geben!"
Nur ganz sanft mit dem Handrücken
Es ist eine lustige Doppelmoral, die sich "Ich bin ein Star" für diese offenbar ganz unbedingt gewollte Ekel-Inszenierung nach wie vor leistet: Am einen Tag huscht ein 72-Jähriger Kult-Doc im blauen Anzug ins Bild, um Prüflingen einzubimsen, dass sie die ihnen gleich begegnenden lebenden Schlangen, Spinnen und Ratten bitte nur ganz sanft mit dem Handrücken wegschieben sollen, um ihnen nicht weh zu tun, wenn sie im Weg sind; und am nächsten Tag ist das alles vergessen, weil: hoho, aufgespießte Rinderzunge im kompletten Unterkiefer, jetzt aber zackig kauenkauenkauen!
Erschwerend kommt hinzu, dass sich Reiz und Effekt der Ekelprüfungen – gut kauen und nicht die Nase dabei zuhalten! – nach anderthalb Jahrzehnten längst abgenutzt haben.
Während die Kandidat:innen in Action- oder Denkprüfungen Konzentration, Teamwork, Koordination oder die Überwindung der eigenen Ängste demonstrieren müssen und durch immer neue Konstellationen unvorhersehbare Dynamiken entstehen, ist das Erlebnis beim Essen immer dasselbe: Aushalten oder Kotzen. Ein einziges großes Husten, Würgen und Röcheln, dem man in all den Staffeln jetzt schon so oft hat zusehen können, dass eine Wiederholung nicht mehr von Nöten ist – es lebe die Vorspulfunktion bei RTL+!
RTL und die Kotzfruchtvorräte
Die allermeisten Essensprüfungen bei "Ich bin ein Star" sind schlicht und einfach – öde. Und ja, zugegeben: Wahrscheinlich hat ausgerechnet in diesem Jahr noch nie seit dem Start des Formats jemand so theatralisch-unterhaltsam eine ihm vorgesetzte Dschungelmahlzeit nicht gegessen wie Cosimo beim "Dschungel Bar-Bäh-Cue", bei dem nachher alle vor Lachen unterm Tisch lagen.
Aber wie geht ein altes Sprichwort? Man soll aufhören, wenn's am schönsten ist! Und schöner wird's im Dschungel bestimmt nicht mehr, wenn RTL im nächsten Januar wieder einkaufen geht, um die Kotzfruchtvorräte aufzustocken, Schweinen die Nasen abschneiden zu lassen, Fischen die Augen rauszuholen und Krokodilherz ins Kakerlakenbrötchen zu packen.
Anders gesagt, lieber RTL-Dschungel: Hör endlich auf mit den überflüssigen Essensprüfungen. Sonst bleibt dir vielleicht aus Versehen irgendwann vor lauter Gewiehere der vegane Räucherlaxx deines Sponsors im Halse stecken.
Und damit: zurück nach Köln.
RTL zeigt das Finale von „Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!“ an diesem Sonntag ab 22.15 Uhr.