Sie kennen das: Völlig verschiedene Haushalte testen beim Vox-Hit "Hot oder Schrott?" Woche für Woche außergewöhnliche Produktneuheiten aus der ganzen Welt, vom Riesenfeuchttuch bis zum Schnellbackofen im Pizzakartondesign. Der Sprecher kündigt aus dem Off an: "Die Allestester sind gnadenlos: Halten die Produkte ihre Versprechen? Und sind sie ihren Preis wert?" Anschließend rastet Berufs-Choleriker Detlef Steves wegen irgendeiner Lappalie aus ("Ich ersetz' doch keine Dusche durch 'nen Scheißlappen!"), jemand liest die schönsten Stilblüten aus einer kurios schlecht ins Deutschen übersetzen Bedienungsanleitung vor, und – zack: schon wieder ist eine Stunde Dienstagabend rum (Episoden bei RTL+ ansehen).
Warum bei Vox noch niemand auf die Idee gekommen ist, dasselbe auch mal mit den TV-Trends des Jahres zu veranstalten, ist mir ein Rätsel – trifft sich aber prima, weil: Dann machen wir das jetzt einfach selbst.
Bleiben Sie dran für die erste Ausgabe von "Hot oder Schrott? Der große TV-Formatumtausch": Halten neue Shows und Genres ihre Versprechen? Sind sie ihre Quote wert? Oder kommt das Ganze, wie die Mehrheit der Geschenke, mit denen Sie heute morgen aufgewacht sind, direkt in den Umtausch?
Revival-Shows: Nur noch als Event?
3,71 Millionen Zuschauer:innen ab 3 Jahren hat der ZDF-Showsaurier "Wetten dass…?" innerhalb eines Jahres von einer Revival-Show zur nächsten abgenommen, wobei über 10 Millionen dem ZDF natürlich allemal reichten, um direkt eine Fortsetzung fürs kommende Jahr anzukündigen. Viele andere TV-Formatklassiker haben diesen Luxus der verschmerzbaren Publikumsabschmelze im Millionenbereich aber nicht.
Im "Hauptquartier der guten Laune", wie Moderator Daniel Boschmann die von ihm moderierte Sat.1-Gameshow "Geh aufs Ganze" nennt, ist jedenfalls Krisenstimmung: ein Jahr nach der Neuauflage sind die Marktanteile inzwischen einstellig, und "Zockergott" Draeger fragte zur Quittierung der Preisanlieferung gerade: "Wie bekloppt müssen die bei Sat.1 sein: Wer soll das alles gewinnen?" Naja, im Zweifel halt alle 316 Studiogäste nacheinander, damit ihnen Boschmann einen Topf vorhalten kann, aus dem lauter "Ich bin dabei"-Lose gezogen werden können, bis der Fitnessspiegel, der Schaschlikgrill mit acht Spießen oder die Schlagbohrmaschine mit 300-teiligem Zubehörset weg sind.
RTL geht's mit "Der Preis ist heiß" nicht anders: Beide Formate verzeichneten bei ihrer Ausstrahlung in diesem November bzw. Dezember neue Tiefstwerte, die Neugier auf die ebenfalls zurückgekehrte "100.000 Mark Show" schrumpfte mit jeder weiteren Ausgabe zusehends. Und langsam zeichnet sich ab, dass die Zuschauer:innen sich vielleicht doch nicht ganz so nachhaltig ins Fernsehen der 90er zurücksehnen, wie sich das die Sender bislang eingebildet haben.
Offensichtlich reicht es den allermeisten, TV-Klassiker als einmalige Events wiederzusehen, und das auch nur in wenigen Ausnahmen jährlich wiederkehrend.
So bleibt vom Revival-Trend auf lange Sicht wahrscheinlich bloß der schöne Tribut an Moderator:innen wie Jörg Draeger, Ulla Kock am Brink und Harry Wiijnvoord, die sich für ihre Verdienste ums deutsche Privatfernsehen zurecht feiern lassen dürfen. Aber halt auch nicht den Fehler machen sollten, zu glauben, es ließe sich 25 Jahre später einfach da anknüpfen, wo sie mal aufhören mussten. Oder um's mit "Geh auf Ganze" zu sagen: Möööp, danke fürs Mitspielen.
Umtauschen, bitte!
RBB-Aufklärung: Sondersendung Selbstdemontage
Was war das für ein irrer August, als der RBB plötzlich eine Sondersendung zum Rücktritt seiner bisherigen Intendantin Patricia Schlesinger zeigte, Reporter die Beitragszahler:innen mit in den 13. Stock nahmen, um dort das vorgeölte Ökoparkett aus Italien, die 22.000-Euro-Sofas und die sich selbst bewässernde Pflanzenwand zu zeigen – ohne zu ahnen, dass es noch viel, viel, viel dicker kommen würde mit den Enthüllungen über einen im Selbstbegünstigungssumpf versunkenen Regionalsender.
Anschließend stand der zum Interims-Intendanten beförderte Hagen Brandstäter im Studio und musste sich von Moderator Raiko Thal fragen lassen: "Da wird weiterrecherchiert. Was könnte da noch ans Licht kommen?" Woraufhin Brandstäter erklärte: "Wenn ich das wüsste, würde ich Lotto spielen und mir die Zahlen vom kommenden Samstag voraussagen lassen." Weil: wer soll denn von den mickrigen Boni-Zahlungen, die man so als RBB-Verwaltungsdirektor in Anspruch nehmen durfte, auf Dauer leben können?
Eine Woche später blamierte sich der Lottoträumer nach vorheriger Zusage von "100-prozentiger Transparenz" und Vertrauensreparatur ("Dafür stehe ich") im Hauptausschuss des Brandenburger Landtags so grundsätzlich, dass er nachher mehrwöchig krankgeschrieben war und von der neuen Senderchefin das Dienstverhältnis vorzeitig beendet bekam.
Man kommt mit der Auflistung der Unglaublichkeiten gar nicht hinterher, die in den vergangenen Monaten mühsam aus dem RBB herausinvestigiert werden mussten, und das ist nicht nur traurig und erbärmlich. Sondern vielleicht auch eine gute Gelegenheit, sich der Forderung der Kolleg:innen vom ORF anzuschließen, die ihren eigenen Führungsskandal zu verkraften hatten – und daraufhin u.a. ein regelmäßig ausgestrahltes Medienmagazin verlangten. ARD, are you listening?
So ein Format im Ersten könnte sich auch hierzulande einmal im Monat kritisch mit dem eigenen Senderverbund auseinandersetzen und dafür weitgehende redaktionelle Freiheiten und Unabhängigkeiten erhalten, ohne fürchten zu müssen, bei der nächsten Sparrunde das Budget zusammengekürzt zu kriegen. Drunter kann's die ARD bei ihrer Reform, deren Notwendigkeit sie anschaulich unter Bewies gestellt hat, inzwischen kaum mehr machen.
Das behalten wir!
Außenseiter:innen-Serien: Erfolg der Eigenartigen
Hat ja keiner ahnen können, aber: Eine frisch geschiedene Bipolare, ein Computerspiele zockender Verschwörungstheoretiker und eine sich die eigene Wirklichkeit zusammenfantasierende Anti-Influencerin sind die Stars der deutschen Serie im Jahre 2022. Zumindest haben diese Nicht-Held:innen den TV-Kosmos aus ihren Nischen heraus nachhaltiger bereichert als das zahlreichen Mainstream-Produktionen der vergangenen Jahre gelungen wäre.
Im Frühjahr musste sich Josefine Preuss' Serienfigur Fina in "Muspilli" erst fast von Tristan Seiths Ove in der Küche erdolchen lassen, um ihn anschließend zu erpressen, sich mit ihr das Sorgerecht für ihre Tochter zurückzuholen. Nach acht Mini-Episoden in der ARD Mediathek war leider schon wieder Schluss mit den unterhaltsamen Abgründen.
Kurz darauf kämpfte sich dann aber Maia Emdes Helene in der Magenta-TV-Produktion "Oh Hell" durch eine ganze Reihe zwischenmenschlicher Durcheinander, um das Publikum die verrückt gewordene Welt durch ihre Augen sehen zu lassen – und das war so wunderbar schräg, ungewöhnlich und toll, dass auch die Jury des Deutschen Fernsehpreises nachher nicht mehr anders konnte, als "Oh Hell" zur aktuell besten deutschen (Comedy-)Serie zu küren. Was darauf hoffen lässt, dass das Jahr der Außenseiter:innen in Serie 2023 fortgesetzt werden könnte.
Danke für das schöne Geschenk!
Impro-Fernsehen: Plädoyer für bessere Texte
Manche TV-Trends gibt es in mehreren Abstufungen, um ganz unterschiedliche Zielgruppen anzusprechen; aber nur dem leicht überstrapazierten Impro-TV gelingt es derart universell, die eigene Überflüssigkeit zu demonstrieren.
Das soll kein Plädoyer gegen die "Comedy Märchenstunde" auf Sat.1 sein (hier bei Joyn ansehen) – nein nein. Meinetwegen können Evelyn Burdecki und Tom Gerhardt da dem Publikum stundenlang Rotkäppchen und der Böse Wolf vorspielen, Wigald Boning und Volker "Zack" Michalowski dazu troubardieren und Uwe Ochsenknecht als Märchenonkel den Vorleser geben (Titelfoto). Aber dass die Beteiligten Spontan-Blind-Dates oder Einbruchsgeschichten mit Sätzen, die nacheinander mit allen Buchstaben des Alphabets beginnen, in das auswendig Gelernte hinein spielen sollen, macht das alles überhaupt nicht besser. Bloß viel länger.
Die Freiheit, eine Figur im Moment des Spielens weiter zu entwickeln, mag vor allem für Schauspieler:innen eine Riesenbereicherung sein – so wie in Jan Georg Schüttes "Kranitz – Bei Trennung Geld zurück", bei dem sich gerade in Staffel zwei wieder dabei zusehen lässt, wie Leute sich auf Sofas gegenübersitzen und sehr originell sind. Aus Zuschauer:innen-Sicht ist aber ohnehin nicht erkennbar, was improvisiert wurde und was einer lose vorgezeichneten Geschichte folgt. Wozu auch?
In den allermeisten Fällen ist Impro-TV vor allem ein Plädoyer für bessere Dialoge, die so geschrieben sein müssten, dass sich die zu ihnen gehörenden Protagonist:innen lebensnah, echt und ungekünstelt spielen lassen – ohne sich zur gegenseitigen Originalitätsdemonstration gegenseitig ins Wort zu fallen.
Umtauschen, bitte!
Show-Zeitzeug:innen: Damals war's
Heimlich, still und leise hat sie sich im TV-Programm eingenistet und ist selbst zu einer Art Genre geworden, das es in dieser Form so noch nicht gab: die Nacherzählung lange zurückliegender Show-Auftritte – von Kandidat:innen, die heute besser aussehen als ihre in 90er-Jahre-Outfits versenkten Ichs, und die sich daran erinnern, wie das vor 30 Jahren war, als Siegespaar von Linda de Mols Riesentorte gedreht zu werden, um eine Live-"Traumhochzeit" im Fernsehen zu gewinnen.
In "Unvergessen – Die Geheimnisse hinter den kultigsten RTL Momenten" gestanden Tanja und Stephan dieses Jahr auch, dass sie ihren Gewinn von damals nicht nur ziemlich beschissen fanden – sondern dass das Esszimmer auch gar nicht in die Dachschrägenwohnung gepasst hätte.
Etwas mehr Glück hatte das Sieger:innen-Paar aus einer der ersten "100.000 Mark Shows", die "Extra" im Frühjahr auftrieb, um das Erlebnis ihrer Showteilnahme für die Zuschauer:innen Revue passieren zu lassen – und freudestrahlend zu verkünden, dass die Redaktion das Golf-Cabriolet, das damals gewonnen und schon vor vielen Jahre verkauft wurde, wieder gefunden hat. Zur Erheiterung – tuut, tuut – fuhr natürlich Kock am Brink darin vor, und alle hatten einen duften Tag.
Was sich jetzt in unendlicher Folge weiterbetreiben lässt: Wie geht's dem Mann, der damals beim "Glücksrad" ein Y kaufen wollte? Was sagt der Typ, der in "Fort Boyard" fast den Tigern zum Fraß geworfen worden wäre? Und auf welchem Schrottplatz steht eigentlich das Kabel-eins-"Quiz Taxi"?
Klaro: Das behalten wir!
Der Rest
Was sonst noch so los war im deutschen Fernsehen, lesen Sie wie jedes Jahr hier auf DWDL.de in den Tops und Flops der vergangenen zwölf Monate.
Ergänzend kann man vielleicht dazu sagen, dass 2022 das Jahr war, in dem das deutsche Fernsehen es hingekriegt hat, Formate zu produzieren, die mehr zur Inklusion beigetragen haben als mancher offizielle Maßnahmnenplan; gleichzeitig nehmen wir Abschied von der Hoffnung, Reality ließe sich auch ins positiv Untrashige drehen, um eingeschaltet zu werden (tschüss, "Club der guten Laune" und "Love is King"). Und ich bin unsicher, wie lange und an wievielen Wochentagen RTL sein Magazinformat "stern tv" noch für überflüssige Spezials überdehnen möchte, bis es endgültig ruiniert ist. Aber das werden wir ja sicher 2023 erleben.
Und damit: zurück nach Köln. Kommen Sie gut ins neue Jahr!